Für einmal anders

Theaterpavillon Luzern, 09.01.2015: Was bringt das neue Jahr? Ein neues Nawal-Stück natürlich. Wer aber hier wieder anspruchsvolles Theater erwartet, liegt falsch. «Ein Mann, zwei Chefs» bietet unterhaltsamen Verwechslungs-Klamauk mit einigen klugen Drehs. Inszeniert wie immer von Reto Ambauen mit einem Ensemble, das seine Leistung von Jahr zu Jahr steigert.

Das neue Nawal ist da. Das hiess die letzten beiden Male eigentlich immer: Man lacht stellenweise, um die restliche Ernsthaftigkeit wegzustecken – bis einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Hier nun das Gegenteil. Eine Pointe jagt die nächste, Verschnaufspausen bieten lediglich die Gesangseinlagen. «Ein Mann, zwei Chefs» ist die Schweizer Erstadaption von Richard Beans «One Man, Two Guvnors», das 2011 am Royal National Theatre in London uraufgeführt wurde, seither Erfolg an Erfolg reihte und auch am Broadway in New York zu sehen war. Bean selber schrieb sein Stück nach der klassischen Commedia dell’arte «Il servitore di due padroni» von Carlo Goldoni (1746). Ein Archetyp der Verwechslungskomödie, dessen Motive noch heute in vielen anderen Verwechslungskomödien durchgespielt werden. Brighton, 1963. Der Gangster Stanley Stubbers (Philip Schönholzer) wird beschuldigt, Roscoe Crabbe getötet zu haben, den Zwillingsbruder seiner Geliebten, Rachel (Anna Stammler). Er flieht daraufhin nach Brighton, wo Roscoe die Tochter des Ganoven Charlie Clench (Florian Fischer) hätte heiraten sollen. Verkleidet als ihr toter Bruder trifft Rachel ebenfalls in Brighton ein und bringt Charlie in Bedrängnis, da Rachel von ihrem Handlanger, Francis Henshall (Marcel Grüter) begleitet wird. Dieser tritt nun auch in die Dienste von Stanley, um sich ein paar Pfund hinzu zu verdienen. Francis, der chronischen Hunger hat, wird so zum Diener zweier Herren, die nichts voneinander wissen und er gerät dadurch in Schwierigkeiten ohne Ende.

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Nawal-Eingeweihte stösst das Stück in den ersten Szenen vor den Kopf. Man sucht die Doppelbödigkeit von «Das Ende des Regens» 2013 oder die Tragik des letztjährigen «Der Krieg hat kein weibliches Gesicht». Vergeblich und nicht weiter schlimm. Ist es doch genauso schwierig (wenn nicht gar schwieriger), komisches Theater zu spielen. Nur alleine deshalb, «weil man als Spieler/-in die Witze nach der 90. Probe immer noch gleich witzig finden muss», wie Reto Ambauen sagt. Im ersten Akt versucht man es mit unglaublichem Tempo: Zack – Wortwitz, Zack – Slapstick, Zack – Schenkelklopfer. Zusätzliche Informationen, Motivationen und Gedanken der Figuren werden mittels Fingerschnipsern, die die Handlung unterbrechen, einbezogen. Die schlechte Nachricht: das Publikum ist in der ersten Hälfte schlichtweg überfordert, nicht alle Witze treffen ins Schwarze, die künstlerischen Lachpausen bleiben teilweise unbeantwortet. Hätte man da nicht ein, zwei Handlungsaspekte vereinfachen oder weniger stark betonen können? Die Gags würden alle sitzen. «À la carte? – Nein, auf dem Tisch.» Die gute Nachricht? Das Nawal-Ensemble ist inzwischen so sicher und versiert, dass es dieses Manko spielerisch problemlos wettmacht. Man fängt einander auf und hat den Elan, einfach weiterzumachen und die Konzentration nicht zu verlieren. Die einzelnen Leistungen sind so stark, dass man sich, wie schon Pablo Haller vor drei Jahren, fragt, was «denn da der Unterschied zu einer professionellen Truppe ist». Der erfahrene Regisseur und Theaterpädagoge Reto Ambauen kann einfach mit Laien arbeiten und das merkt man. Alfie (Mira Heller), ein Harpo Marx/Freddie Frinton-Verschnitt, ist absoluter Publikumsliebling und spielt eine sauschwierige Rolle saugut: jedes Zittern, jede Bewegung sitzt. Der Nawal-Neuzugang Jeremias Bachmann als angehender Schauspieler und Oberhysteriker Alan Dangle ist ein Gewinn und auch das restliche Ensemble zeigt eine beachtliche Leistung mit der für derartige Komödien notwendigen Präzision.

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Hey, wieso eigentlich nicht?

Der Höhepunkt, der danach kommt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Feuerlöscher – nur so viel soll gesagt sein. Das Publikum tobte. Genial gespielt und die Zuschauer an der Nase herumgefürt. Der zweite Akt schliesslich ist ein einziger Genuss. Das Tempo ist zwar immer noch auf 180, man hat sich aber daran gewöhnt und lacht sich bis zum unvermeidlichen Happy-End. Und die Musik? Christov Rolla und seinen Mitmusikanten zuzuhören macht einfach Spass. Egal ob wütender, stampfender Blues oder lüpfige Chor-Ballade: seine witzig komponierten, lebhaften Eigeninterpretationen bringen die Stimmung des Stücks auf den Punkt und sind das I-Tüpfli des Abends. Manchmal wird man das Gefühl nicht los: Steckt da nicht noch mehr dahinter, hab ich irgendwas Subversives verpasst? Die Antwort ist: Nein. Reto Ambauen: «Das Ensemble wollte zur Abwechslung mal an ein heiteres Stück herangehen». Der leichte Humor ist also total ernst gemeint. Und hey: wieso eigentlich nicht? «Ein Mann, zwei Chefs» bietet wunderbare, kluge Unterhaltung mit einem Laienensemble, das in Luzern seinesgleichen sucht.  

Aufführungen noch bis 6. Februar, Theaterpavillon Luzern.  Inszenierung: Reto Ambauen, Regieassistenz: Elsbeth Saurer Musikalische Leitung: Christov Rolla; Bühne: Ruth Schürmann und Beni Egli; Kostüme und Maske: Werner Duss; Lichtdesign: Martin Brun; Grafik: Ruth Schürmann; Sprechtraining: Silvia Planzer; Produktionsleitung: Andrea Kammermann; Licht: Corinne Huwyler und Maria Schönholzer. Spielerinnen und Spieler: Marcel Grüter; Florian Fischer; Virginia Gisler; Marcel Grüter; Mira Heller; Andrea Kammermann; Zora Schelbert; Philip Schönholzer; Anna Stammler; Christov Rolla; Jeremias Bachmann; Philipp Arnet.