Finnischer Tango, fröhlicher Tango

Zug, 15.–25.9.11: Zum vierten Mal, nach dem letztjährigen Unterbruch, ist in Zug das Internationale Akkordeon Festival angesagt. 13 Konzerte und 11 Tage lang. Zu hören gabs bereits Furios-Fantastisches aus Finnland, Einheimisches und Weissrussisches, das in Luzern bestens bekannt ist. Alles geht noch bis am übernächsten Sonntag.

Ich studiere lange an einem Vergleich herum, wie die frisurentechnische Exquisität von Johanna Juhola aus Helsinki am besten beschrieben werden könnte. Von Weitem, nur viel bunter, vielleicht an Frankensteins Braut erinnernd? Der «Tages-Anzeiger» bzw. dessen Autor Thomas Bodmer hat dann treffend eine Lösung gefunden: wie eine Artischocke, so extrem mit Spitzen nach oben gesprayt. Türkis und rötlich die kubistisch-dadaistischen Kostüme von Juhola und Tastenspielerin Milla Viljamaa, die Herren eher dezenter. Immerhin, Kontrabassist Tarmo Anttila trägt rote Krawatte und Hosenträger. Er sei «gestern in die Schweiz gezogen», wohl kein Witz (aber wie zum Teufel proben die dann künftig?). Sein Deutsch ist gelinde gesagt noch bescheiden («Das ist schön.» – «Vielen Danke»), dito sein Englisch («The Switzerland»). Aber alles ist charmant-sympathisch. Und gekonnt. Reaktori nennt Juhola, die Spitzenakkordeonistin, ihre neue Band, was sie interpretieren, ist «Fantasie-Tango». Man kennt das ja: Finnen, Melancholie, Depro-Musik etc. Aber nicht hier. Sie würden «some kind of tango» spielen, wird angekündigt. Tango bleibt es, aber in einer freieren und eben fröhlicheren Spielart, wo ein Humpel-Stück rhythmisch entsprechend tönt. Bei einem Stück erklärt Juhola, dass sie die Coda, also das dem Stück am Schluss Angehängte, sehr mögen – «aber leider kommt sie nur einmal». Und natürlich wird gescherzt über das Dunkle, Nasse und Kalte daheim in Helsinki, Gründe, um eben wenigstens in der Musik (oder bei Zuger Konzerten) etwas temporär (Bassit Anttila endgültig?) in südlichere Gefilde zu flüchten. «Sehnsucht nach Süden» heisst ein Stück, ein anderes ist dann wieder übers schlechte Wetter (in Schweden). Links ist ein Laptop aufgeklappt und hier sitzt der Vierte in der Runde an seinem Elektro-Board: Tuomas Norvio steuert Beats bei und speist die Samples ein, Schnipsel von Wetterberichten, die Stimme eines von Tansania nach Helsinki Gezügelten, bei einem weiteren «guest star» läuft synchron ein Video, projiziert auf die Vorderseite von Viljamaas Harmonium: ein schwedischer Rasta-Rapper in Sandalen flowt gewissermassen zu den finnischen Live-Tönen im Theatersaal des Casinos Zug, wo das begeisternde Eröffnungskonzert am Donnerstag stattfindet.

Kunterbuntes wird am Freitag am See (Landsgemeindeplatz) beim Gratiskonzert mit Folka geboten. Kunterbuntes, das im Innersten zusammengehalten wird durch eben die Band, die eine Kapelle ist, die da zu viert aufspielt. Es ist Hausmusik von Vater Roland von Flüe (Klarinetten, Sax, Kontrabass, Piano) und seinen Kindern Lukas (Schlagzeug), Vera (Geige, Kontrabass) und Julian (Akkordeon, 1x Schwyzerörgeli). Julian ist der Sprecher der Familienkapelle, die eigentlich eine Band ist. Kompliziert? Als Kapelle mit traditionellem Ländlerrepertoire haben die vier (aus Hünenberg am See) angefangen, was sie inzwischen machen, sei, so Julian, «Kapellenmusik, aber bandmässig». Er sieht es im Idealfall als eine Art «Status Quo mit Akkordeon» an, und grooven möchten sie eigentlich, was ihnen natürlich auch gelingt. Verjazztes «Vogelliesi», Selbstkomponiertes (darunter «Blues-Tango»), bisweilen virtuos gespielt und im Auftritt unprätentiös, gerade auch durch die launigen Ansagen von Julian von Flüe, der eine VW-Bus-Vorliebe hätte und einen Cowboyhut auf dem Kopf hat.

Am Freitag geht’s weiter in der Industrie 45 mit Gurzuf. Der Name kommt uns hier von Sedel- und B-Sides-Auftritten bestens bekannt vor. Das Duo mit Egor Zabelov am Akkordeon und Schlagzeuger Artem Zalessy ist eine Art Attwenger aus Weissrussland. Die Mannen aus Minsk fusionieren Folk mit Rock und anderem. Das Intro wird gleiche eine einzige lange Grosskomposition von einer guten halben Stunde Länge, und man hört aus dem alles andere als ruhigen Fluss sehr wohl auch psychedelisch-progressive Klänge. Oder ist es Postrock mit Handorgel? Am Bühnen-Boden blinkt es mannigfach von den unzähligen Effektgeräten. Und höre da: Nach dem Intro mit den doch auch sehr harten Tönen spielt Zabelov ein getragenes Solo im Sitzen.

4. Internationales Akkordeon Festival Zug, bis Sonntag, 25.9. Gratis: Samstag, 17.9., 17.00/Sonntag, 18.9., 14.00, Landsgemeindeplatz, Kinderprogramm «Die Martha im Koffer» (bei schlechter Witterung: Chollerhalle)