Experimentierfreudiger Nachwuchs

Südpol Luzern, 01.05.2015: Die Nachwuchsplattform Tankstelle (Bühne) konnte gestern viel Kreativität, Ausprobiererei und Sinnlichkeit zeigen und warf dabei auch Fragen auf.

Wie viel twerking ist gesund? In der Sparte Tanz war das Projekt «It takes forever» zu sehen. Eine dieser Performances, bei welchen man dreimal den Beschrieb liest, in der Hoffnung, Hilfe zu finden. Dort steht: Was geschieht, wenn unser Körper uns im Stich lässt? Na dann. Die Gruppe bestehend aus Jos Daamen, Jenna Hendry, Emma Skyllbäck und Nina Terruzzi zeigte Tanz als eine Fortentwicklung vieler kleiner Bewegungen. Lange, lange werden rote Haare im Kreis geschüttelt. Lange, lange zittert der ganze Körper. (Mich erinnerte es an Miley Cirus und Konsorte, daher die Überschrift.) Dies war stark, da es viel Ausdruck hatte, die Körper waren in Bewegung, in starker und stärkerer Bewegung, waren synchron und gemeinsam, alleine und verschieden. Der Beschrieb half nicht, aber «It takes forever» sagt ja auch schon was. Schmöcksches? Das Theater «Brühend» von und mit Jan Beller, Joel Kammermann, Julia Nussbaumer und Johanna-Maria Raimund war Sinnlichkeit pur. Man sitzt gemeinsam am Tisch, und vom Kochtopf über einen Ventilator werden uns Gerüche zugetragen, die Nasenflügel der Zuschauer weiten sich. Dabei lauschen wir einem Küchengehilfen, der von Zwiebeln, geschlachteten Tieren und Gänsen gegen Flugangst spricht. Wir rutschen weg vom Text, hin zum Geschehen: Gläser werden gestapelt. Gläser klirren. Teller werden aufgetragen. Man spricht vom Weinen. Das Weinglas überläuft. Wunderschöne kleine Bilder und ein feiner Text. Unscheinbar, leise und doch sehr präzise. Ein Theater der zurückhaltenden Sinnlichkeit. Macht mich Glaube gesund? Heilige Maria!, dachten unsere Köpfe während die Münder offen standen. Die Performance «Hello I am the mother» von Ernestyna Orlowska war gnadenlos. Gnadenlos ehrlich, direkt. Trash vermischt mit Wahrhaftigkeit. Lachen erstickt von Schock. Was für ein Kunstwerk. Also, es ging um den Glauben. Um den Apfel, der uns zu Sündern machte, und es noch heute tut. Sie sagte uns die Zukunft voraus, am Laptop, als wir reinkamen. Sie sprach von der schwarzen Maria. Die für Fürsorge steht. Aber es ging auch darum: Sorry, Ich habe versucht den Glauben zu finden. Das knallt sie uns nach dieser frechen Performance an den Kopf, nachdem sie von ihrer vergewaltigten Mutter und ihrere eigenen Abtreibung sprach. Und dann liess sie uns damit alleine. Geschockt, gerührt, inmitten von Trash. Hilflos. Amen. Lebst du? Das Theater «Sarah» war an die gleichnamige Reportage von Erwin Koch angelehnt. Kennt man diese schon, fehlte der Konflikt der Figuren, die wütend, sauer, pubertierend und ängstlich sind, nur ist das schwieriger, wenn jemand bald stirbt. Kennt man die Reportage nicht, war es ein starkes Theater über eine 14-jährige Todgeweihte. Der jugendliche Übermut prallt auf den Zuschauer und wirkt sehr echt, die Bilder sind stark, das Spiel beindruckend. Wir sind gepackt von der Lebenslust der Jugend im Kontrast zum absehbaren Ende. Und der Hoffnung zwischen drin. (Der Text von Koch ist natürlich nach wie vor schlicht und treffend.) Was kann der Nachwuchs? Viel. Die Plattform Tankstelle ist eine tolle Möglichkeit, um sich auszuprobieren, Kunst und Kultur zu suchen und Grenzen zu erforschen. Genau dies wurde von allen Teilnehmenden mit einem grossen Enthusiasmus getan. Sie zeigten uns neue Wege, Formate und Möglichkeiten. Sie suchten, und wir fanden neue Perlen.  

Weitere Aufführung: Heute Abend 02. Mai um 20 Uhr im Südpol Luzern.