Everybody knows ... sure? – «Luzern bucht» im Kleintheater & in der Kornschütte

Als der grüne Nationalrat Louis Schelbert in der Kornschütte seine Eröffnungsrede hielt, war ich noch im Dienst. Knapp schaffte ich es auf den Beginn des traditionellen Krimiabends ins Kleintheater. Was dort geschah & wo heute und morgen weiter geBucht wird, ist bloss ein Klick von dir entfernt.

«Die Zukunft ist ethisch oder gar nicht!» (Frei nach André Breton (Surrealistenpapst & anderes)). Ausgeschnittene Worte blitzen mir entgegen, als ich an der Hirschmattbuchhandlung vorbei haste. Auch heute wird ihr Personal, diese engagierten Partisanen des geschriebenen Wortes, wieder im Foyer zugegen sein, um dem nach dem neu entdeckten Stoff dürstenden Publikum die drinnen vorgetragenen Werke anzupreisen. Wie immer. Mein Hut! Im Kleintheater ist das Lesefest bereits im Gange. Der Berner Roger Strub hat soeben zwei Männer aus dem Publikum auf die Bühne gebeten, um eine Wandtafel zu halten, auf die er die beschrifteten Fotos der Verdächtigen haftet. Ein letzter Überblick bevor die als Kommisarin Lena Bellmann agierende Zara Nydegger ihre Rede hält, gleichzeitig vor realem Publikum und der imaginären Gründungsversammlung einer ominösen Selbstjustiz-Bewegung, der auch ein Altbundesrat angehört, der eine Million Franken zu spenden bereit ist, wenn die Statuten von den Anwesenden durchgewinkt werden. Sie ruft auf, den Gesetzen zu vertrauen, während der Pulk diese zu lasch findet und das Recht in eigene Hände nehmen will. Irgendwie aktuell. Morde sind geschehen und jemand schwebt in grosser Gefahr. Dann ein abrupter, nicht wirklich origineller Abbruch, bei dem Nydegger (jetzt als reale Person) einen Anruf vorspielt, den sie nehmen muss. Katharina Huter ist an der Reihe. Sie hat zuletzt «Mord in der Villa» veröffentlicht, ein Buch mit wahren Kriminalfällen in Luzern. Klingt durchaus spannend, leider hält die Sprache nicht mit. Sie liest einen Blutrache-Fall vor, der sämtliche Jugo-Klischees des Durchschnittslesers von Bornhausers Monopolplatt bestätigt und am Ende zu einem Werbetext für den Gefängnisaufenthalt in der Schweiz ausartet. Dabei gäbe es durchaus spannende Fälle mit mehr Lokalkolorit, wie beispielsweise den Wesemlin-Postraub, der von zwei Junkies durchgeführt wurde, die ihr Leben in Brinkmannscher Manier auf Band aufnahmen, so auch den Überfall und die Flucht. Live und authentisch. How about a Tapescript? Käm wahrscheinlich bloss beim Datenschützer nicht durch ... Der Aargauer Virgilio Masciadri, der nach einer schönen Einleitung der Moderatorin Martina Kuoni über Literatenpseudonyme von Uniprofessoren – er ist mitellateinischer Philologe und heisst wirklich so! – liest, trägt vorhersehbarerweise – aber trotzdem leider – nicht seine von mir sehr geschätzten Gedichte, die in wunderschön aufgemachten Ausgaben im Orte Verlag rauskamen vor, sondern aus seinem neusten Krimi-Wurf «Dämonen im Murimoos», was auch ganz nett ist. Ich spiele ein wenig an meiner Eintrittskarte rum, so seltsamer-Tick-mässig und entdecke, dass ganz klein irgendwo dazwischen noch «DURST» draufgedruckt ist. Das letztjährige Motto, entlehnt von Beat Portmanns gleichnamigen Debüt. Portmann wird auch heute wieder irgendwo Durst haben. Wer aber hier Durst hat und zwar dringlichsten, ist Wolfgang Bortliks Protagonist und Antiheld Fischer aus seinem sel-noir-Krimi «Fischer hat Durst». Kuoni sagt ihn an, mit einem Zitat, das Google ausspuckte. Den letzten Abschnitt liess sie – wie sie sagte – aus Scham weg, hier ist er nachzulesen. Bortlik kam nicht alleine, sondern mit dem Musiker Gogo Frei, der auch schon Pedro Lenz begleitet hat. Sie spielen zwischen Fischers durstigen Episoden – die Sprachlich brilliantesten an diesem Abend – «Everybody Knows» von Leonard Cohen, «Heavenly Club» von den Sauterelles und «2000 Light Years from Home» von den Stones. Ok, man könnte jetzt über Bortliks Englisch mäkeln, aber alles in allem wars einfach ne geile Performance. Zu  «Heavenly Club» gibt's im Buch diese schöne, (fiktive) Episode, dass sich einst Friedrich Dürrenmatt bei der Band als Schlagzeuger beworben hat – vor allem wegen der schönen Backgroundsängerinnen – jedoch dem androgyn agierenden Toni Vescoli zu männlich war. In einer anderen Sequenz hat Peter Bichsel einen auftritt, der ihm gerecht wird. Es geht um Rotwein. Danach lesen noch Andrea Maria Schenkel und Jörg Maurer, aber Bortlik hat mich dermassen inspiriert, dass ich in der nächsten Beiz Peter Bichsel nacheifere. Eine durchaus interessante Randbemerkung ist, dass mindestens die Hälfte der Lesenden Lehrer waren oder sind. Was sagt das uns?

Das weitere Programm: Heute Abend um 17.30 Uhr geht im Kleintheater Literatur pur über die Bühne, u.a. mit Anne Weber und Urs Widmer. Ab 18.45 Uhr findet eine Diskussion mit Liliane Studer, Martin Walimann, Verena Stössinger und Alice Schmid statt zum Thema: «Wie wird ein Text zum Buch? Hilft ein Förderpreis dabei?» Meine kommenden Höhepunkte: Die Verlagsstände in der Kornschütte (noch bis morgen, Sonntagabend), Peter Stamm, heute Samstag um 15 Uhr, Simon Libsig, um 16 Uhr, Christoph Simon, morgen Sonntag um 15 Uhr. (Alles Kornschütte).

Offene Fragen: Warum müssen diese Abende im Kleintheater so lange dauern? Würden es nicht auch vier Autoren tun? Irgendwann lässt das Konzentrationsvermögen dann doch nach ... Wo blieb Matto Kämpf, der dieses Jahr im Menschenversand-Verlag seinen Krimi «Krimi» veröffentlichte? Ich meine, die Besetzung war von OK bis wirklich gut, doch dieser Autor ist ein verdammter Hammer, der zwischen schelmischer Parodie und exzellenter Literatur alle Nägel einschlägt!

PS: Das diesjährige Motto von «Luzern bucht» lautet «Luft & Liebe», angelehnt an den neuen Titel der heute Abend ebenfalls im Kleintheater lesenden Anne Weber. Das Artwork machte Hubert Hofmann und man munkelt, dass die Programmhefte dieses Jahr deshalb so heiss begehrt sind ...