Erwartungsgemäss ekstatisch

Patti Smith. Punk-Poetin, Rock-Ikone, Headlinerin des heurigen Woerdz Festival. Nach einem Überraschungsauftritt am Slam vom Donnerstag gehörte der gestrige Abend im Südpol ihr alleine.

(Bilder: Franca Pedrazzetti)

Nach einer galoppierenden Ansage von Max Christian Graeff – von 15 Minuten auf 1,5 gekürzt, Patti Smith will nicht eingeführt werden: «Look it’s a very simple thing, it’s just poetry» – schlurft die Dichterin in Jeans, Stiefeln und einer von Hazel Brugger ausgeliehenen Mütze auf die Bühne des restlos ausverkauften grossen Saals. Den Gang hat sie sich bei Bob Dylan abgeguckt, wie sie einst erzählte. Überhaupt erstaunlich, das Publikum. Menschen, die man seit Jahren nicht bei Kulturveranstaltungen sah, geben sich die Ehre. Was soll man noch sagen zu Patti Smith. Sie ist eine Schamanin, some kinda Saint. Eine Priesterin, die mit dem Publikum das Sakrament der Poesie feiert. 1946 in Chigaco, der Pionierstadt des Poetry Slam, geboren. Aufgewachsen in New Jersey, in einer tougheren Gegend als Bruce Springsteen. Nachdem sie mit 18 Jahren Mutter wurde, zog sie nach New York City und traf dort im Sommer 1967 auf den Künstler und später als Fotografen berühmt gewordenen Robert Mapplethorpe, der 1989 an den Folgen einer HIV-Infektion verstarb. Sie begegneten einander, redeten die Nacht durch und wollten sich nie wieder trennen. Er sollte ihr das ganze Leben hindurch eine grosse Inspiration bleiben. Kurz vor seinem Tod nahm sie ihm das Versprechen ab, ihre Geschichte niederzuschreiben. Was sie 2010 mit «Just Kids» einlöste, das den National Book Award for Nonfiction einsackte. 1975 erschien ihr von John Cale produziertes Debütalbum «Horses», auf dem sie dreckigen Garagenrock mit der Poesie eines Arthur Rimbaud und der Prosa eines William S. Burroughs kurzschloss. Der Rest ist Geschichte.

Überhaupt die grossen Beat-Poeten: Patti Smith kannte sie alle. Von Ginsberg wurde sie zu Kaffee und Sandwich eingeladen, weil er sie für einen Jungen hielt, Burroughs sang sie in seinem Bunker an der Bowery in den Schlaf. Oder winkte ihm ein Taxi her, wenn er zu betrunken war dafür. Also. Ein Tisch, eine Lampe, ein Stuhl, eine Gitarre, ein Mikro. Vor dem Vorhang leuchtet in Schnüerlischrift «Woerdz». Patti Smith betritt die Bühne, beginnt ihre Taschen auszupacken. «Ich tue bloss so, als wär ich am Flughafen», nuschelt sie. Dann legt sie los. Ein «Prayer». Das erste Gedicht, das sie an ihrer ersten Lesung vortrug. Es endet mit: «To know love without exception / To be a saint in any form». Verhaltener Applaus. Soll man jetzt nach jedem Gedicht applaudieren oder erst am Ende? «Ihr braucht nicht zu klatschen. Wenn ihr wollt, könnt ihr. Ansonsten – hasst ihr wohl einfach das Gedicht.»

Darauf ein Traum-Gedicht. Eines Morgens erwachten Patti Smith und ihr damaliger Freund, der Dramatiker und Schauspieler Sam Shepard, im Chelsea Hotel. Sie hatten beide von Hunden geträumt und schrieben ein Gedicht über Hunde. Smith schrieb eines über Bob Dylans Hund. Der einzige, der kommt, wenn Dylan kommt. Einige Jahre später traf sie ihn auf der Strasse und er meinte: «What's this dog dream thing?» Sie: «I don’t know Bob, it’s just a dream.» Patti Smith hätte auch Stand-up-Comedian werden können. So souverän, wie sie Anekdoten und Witziges zwischen ihre tiefschürfend-poetischen Geschichten und Gedichte einbaut. Gitarre hingegen spielt sie erst seit späteren Jahren selber. Und fliegt beim ersten Stück «Wings» dann auch gleich draus. «Weil ich die Akkorde in Schweizerdeutsch drücke». Und das Instrument ist auch verstimmt. «Sind Musiker anwesend?», fragt sie in den Saal. Lorenz Aenis meldet sich, stimmt ihr die Gitarre und begleitet sie spontan. «Do you know this song?» «No.» Nach der Pause begleitet Aenis erneut. Patti Smith legt eine unglaublich intensive Version von «Pissing in the River» hin. Nun kommt alles hoch. Der Saal wird überzogen von einer andächtigen Ergriffenheit. Pure fucking Poetry.

Viele wichtige Männer in Patti Smiths Leben starben früh. Robert Mapplethorpe und auch ihr Ehemann und Vater zweier ihrer Kinder, Fred Sonic Smith. Mit dem sie sich auf dem kommerziellen Höhepunkt ihrer Karriere zurückzog, um als Familie zu leben, und für den sie zahlreiche Songs schrieb. Und auch das Gedicht «Wilderness», das sie nun liest. «This is where time stops / And we have none to go». Die Zugabe, «Banga» vom gleichnamigen neuen Album – inspiriert vom gleichnamigen Hund aus «Der Meister und Margarita» von Michail Bulgakow – spielt sie dann wieder selber. Ist ja auch bloss ein Akkord. «I hope I'm invited back», rief Smith nach ihrem Überraschungsauftritt vom Donnerstag von der Bühne, rief sie auch gestern Freitag wieder in die stehend applaudierende Menge. Besonders weil sie das Löwendenkmal wiedersehen wolle. Sie sei völlig hin und weg gewesen vom Löwendenkmal. «Ebenfalls!», rufen wir ihr zu, bevor sie die Treppe runterschlurft, hinaus in die Luzerner Nacht. Patti has left the building.