Eintauchen auf Tribschen

Die Stadt Luzern gibt mit der neuen Dauerausstellung im Richard Wagner Museum ein klares Statement ihrer Erinnerungskultur ab. Angemessen ist sie leider nicht.

Seit Ende April zeigt das Richard Wagner Museum seine neue Dauerausstellung. Sie darf als wegweisend dafür gesehen werden, wie die Stadt Luzern an den deutschen Komponisten erinnern will. Nur schon, weil es in den 90 Jahren des städtischen Betriebs erst die dritte Neugestaltung ist; ganze 40 Jahre sind seit dem letzten Umbau vergangen. Aber auch deshalb, weil die Stadt diesen mit 670 000 Franken mitfinanzierte.

Mit Skalpell und Keule

Damit die Besucher:innen in eine «längst vergangene Zeit eintauchen» können – wie es in der Medienmitteilung zur Eröffnung hiess –, hat das Museum die Residenz von Wagner so nachgestellt, wie er sie während seiner Zeit auf Tribschen zwischen 1866 und 1872 eingerichtet hat. Entsprechend war das Ausmass der ästhetischen Arbeit enorm, die während des sechsmonatigen Umbaus vorgenommen wurde. Jeder Farbton und jedes Material, alle Möbelstücke und dekorativen Elemente wurden aufwendig recherchiert, um vor allem im Salon im Erdgeschoss – dem Herzstück der Ausstellung – den samt-seidigen Prunk des späten 19. Jahrhunderts aufleben zu lassen. Die ebenfalls neue Sonderausstellung im oberen Stock zeigt diese detektivische Suche nach Wagners grossbürgerlichem Geschmack, chronologisch geordnet und mit historischen Bildern und Briefen belegt.

Denkmalpflegerisch mag das alles wertvoll sein. Allerdings umfasst der öffentliche Auftrag eines Museums auch eine kulturhistorische Aufarbeitung. Zunächst müsste das Museum eine valide Argumentation vorlegen, wieso dieser restauratorische Aufwand sein Geld wert sein soll. Dann wäre es insbesondere gefordert, die eigene Ausstellungs- und Vermittlungspraxis in ein kritisches Verhältnis zum Antisemitismus Wagners zu setzen. Leider fehlt diese Reflexion vollständig. Diesen Mangel werden weder der neue Audioguide, der in wenigen Minuten das Thema Antisemitismus bespricht, noch eine auf Oktober angesagte Themenführung dazu beheben. Nur schon das Ziel, in «Wagners Welt einzutauchen», verunmöglicht jede Distanz, die für eine kritische Rezeption nötig wäre. Der Unterschied in der ästhetischen und intellektuellen Arbeit könnte kaum grösser sein: Restauriert wurde mit dem Skalpell, argumentiert wird mit der Keule. So liegt der Sinn der Ausstellung weitgehend darin, Retromanie und die Sehnsucht nach der bürgerlichen Idylle zu stimulieren.

Wagners Idyll

Bei ihrem Antritt im Jahr 2021 erklärte die Leiterin Monika Sigrist gegenüber der «Luzerner Zeitung», sie wolle den Fokus nicht auf die «problematischen Seiten» Wagners legen. Diese Haltung irritierte schon vor zwei Jahren. Die jetzige Ausstellung beweist, dass wesentliche Kontinuitäten der eigenen Bildsprache und Wagners Antisemitismus noch immer nicht verstanden werden. Das bürgerliche Idyll und Wagners Antisemitismus können nicht voneinander getrennt werden. Das Idyll ist der imaginäre Raum, den eine antisemitische Sprache braucht, um überhaupt kulturell anschlussfähig zu sein. Es ist selber nicht per se antisemitisch, aber es bereitet Antisemitismus vor. Im Idyll ist eine kollektive Identität – ein «Wir-Gefühl» – an eine Harmonie zwischen Mensch und Natur gekoppelt. Die Gewalt ist damit vorprogrammiert: Das Idyll kann nur gegen das existieren, was es als widernatürlich ausgrenzt. Es ist ständig bedroht vom «Fremden», was auch Wagner  sinngemäss in seinem Werk besonders perfide formuliert; er schrieb immer wieder von jüdischen Parasiten, die das Idyll von innen heraus zersetzen.

 

Denkmalpflegerisch mag das alles wertvoll sein. Allerdings umfasst der öffentliche Auftrag eines Museums auch eine kulturhistorische Aufarbeitung.

 

Wenn also das Museum auf einem Werbeplakat mit der Überschrift «Willkommen in Wagners Idyll» das «Genie» Wagner inmitten eines kultivierten Gartens zeigt, in seinen Armen ein Kind, zu seinen Füssen ein Hund, dann zeichnet es ein bürgerliches Idyll nach, das aus schöpferischer Kraft, patriarchaler Familienordnung und domestizierter Natur besteht. Und es schreibt damit an den Voraussetzungen von Wagners Antisemitismus nahtlos weiter.

Braunes Bürgertum

Dasselbe Argument gilt für Kontinuitäten von einem bürgerlichen Personen- zu einem faschistischen Führerkult: Büsten, Masken, Gedenktafeln, den Gipsabdruck seiner rechten Hand; unentwegt bekommen wir einen vollen bürgerlichen Personenkult zu sehen. Zu diesem gehören auch zwei Tugenden, die sich die Stadt Luzern gemäss ihren eigenen Eröffnungsreden besonders zu Herzen nimmt, wenn es darum geht, Wagners zu gedenken: Ehrfurcht und Treue. Tugenden, die – einem militärischen Kodex entlehnt – in einer faschistischen Ordnung aufblühen und einem Führerkult zudienen.

Die neue Ausstellung verkennt, dass es Faschismus nicht nur im totalitären Zustand gibt, sondern sich Teile davon mitten durch die bürgerliche Gesellschaft ziehen – und sich umgekehrt ein reifer Faschismus an Teilen der bürgerlichen Kultur bedient. Genau um solche Kontinuitäten offenzulegen und kritisch zu befragen, würde sich der Betrieb des Richard Wagner Museums weiterhin lohnen. Aktuell taucht man jedoch auf Tribschen nur ungern in den braunbürgerlichen Wagner-Sumpf ein – viel lieber in den See nebenan.


 

041 – Das Kulturmagazin
Juli/August 07+08/2023

Text: Jan Miotti
Illustration: Luca Mondgenast

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