Einfach weggelacht

Südpol, Kriens, 06.12.2019: Die neue Theaterreihe «Müllers» im Südpol ist ein Experiment. In zwei Wochen geschrieben, geprobt, aufgeführt – aktuell, schnell, lustig. Doch der grosse Slapstick-Spass wirkt trügerisch.

Bilder: Ingo Höhn

Eine ganz normale Familie sollen sie sein, die Müllers. Marlis (Miriam Japp), Marcel (Philippe Schuler) und Sohn Leander (Stefan Schönholzer). Sie Hausfrau, er Brötchenverdiener, der Nachwuchs pubertierende 17 Jahre alt, wohnen zusammen in einer Allerweltswohnung. Das Sexleben der Eltern ist auf Eis gelegt. Anstelle eines zweiten Kindes haben sie ein*e Mitbewohner*in, in jeder der drei «Müllers»-Folgen jemand Neues, immer direkt aus den tagesaktuellen Nachrichten. An der Premiere am Freitag lebte also der britische Premierminister Boris Johnson (Romeo Meyer) in der Durchschnittswohnng mit 70er-Jahre-Flair, die im Südpol aufgebaut wurde. Johnson wird als Marlis Müllers Bruder eingeführt.

Müllers am Tisch mit Boris Johnson

So weit, so kurios. Grund für die Wahl des Spezialgasts war die kürzliche Kritik am ehemaligen Londoner Bürgermeister, als seine Tories ihren eigenen Twitter-Account in «factcheckUK» umbenannten, um damit die Wähler*innen zu täuschen. So steht im Mittelpunkt der ersten «Müllers»-Folge die Frage: Was ist Fakt, was ist Lüge? Und wer bestimmt das?

Ernster, als uns lieb ist

«Müllers» ist ein Instant-Theater. Um Aktualität zu garantieren, wurde das Stück in zwei Wochen (!) geschrieben, geprobt und inszeniert. Angekündigt war eine Sitcom und das Bühnenbild hielt dieses Versprechen: Sofa, Tisch, Küche – das typische Set-up von Fascht e Familie bis Friends. Es gibt Lacher ab Konserve, Flachwitze, Gesangseinlagen und Slapstick. Doch das Stück ist weit subtiler als das, der innert Wochenfrist verfasste Text von Christoph Fellmann macht gute Miene zum bösen Spiel. Die Inszenierung von Sophie Stierle parodiert das TV-Format, die künstlichen Lacher werden immer am falschen Ort eingesetzt, die Kostüme sind klischiert, gespielt wird offen mit Script.

Und man lacht, über die Fehler in der Form, über die verwirrenden Unterhaltungen am Küchentisch, über die Flachwitze – dabei wird der Ernst der Realität weggelacht: die Manipulation in der Demokratie, Lügen, Populismus – zugedeckt durch einen Schleier der Komik.

Blind Butcher bei Müllers

Das ist eben Boris Johnson in persona, gegen aussen der dümmliche Clown, in Wirklichkeit ein kühl taktierender Rechtsaussenpolitiker. Johnson, selber als Journalist einst entlassen, weil er ein Zitat erfunden hatte, verspricht dem Luzerner Publikum feierlich: «Ich werde euch nie langweilen!» Es ist die politische Strategie des Populismus; Trump, Köppel, Salvini und eben Johnson, immer laut, immer provokativ, immer entertaining, aber kaum je faktenbasiert. Und das Publikum lacht auch im Südpol über den Clown aus Grossbritannien.

Denn wer braucht schon Fakten? Der Luzerner Boris Johnson-Müller führt die Sprache an der Nase herum, betrachtet Worte als leere Hüllen und füllt sie beliebig mit Bedeutung. So ist eine Mütze keine Mütze, sondern Haare – wenn man das genug oft betont, fangen die Leute an, es zu glauben. Die Aubergine ist Hühnchen, das Hühnchen ist Reis, ein Tisch ist ein Tisch.

Ein Notruf und ein Überhit

Der Text lebt auch von Details. So kommt die Zahl 144 wiederkehrend vor: 144 Likes auf einem Post, 144 Survivaltaschen an der Outdoor-Jacke, 144 mögliche sexuelle Identitäten, 144 Millionen Franken aus dem Finanzausgleich für Luzern, 144 Milliarden Franken für die Suche nach dem Gottesteilchen am Genfer CERN. Ein Notruf, ein Hinweis auf die Ernsthaftigkeit der Situation, in denen sich die Demokratien Europas befinden? Vielleicht – darauf eingegangen wird nicht.

Der Souffleur (Christoph Fellmann) ist ebenfalls Teil der Inszenierung, sitzt da und liest im Skript mit. Bei ihm können die Figuren vergangene Äusserungen überprüfen lassen – als Faktencheck. Der Souffleur gilt als Instanz der objektiven Wahrheit – doch auch er macht Fehler, weil sich die Figuren nicht ans Skript halten. Der Lügner Boris Johnson überlistet sie am Ende alle.

Singen bei Müllers

Ebenfalls gelungen ist die musikalische Darbietung von Blind Butcher. Roland Bucher und Christian Aregger, angezogen als überdimensioniertes Weihnachtsgeschenk und leuchtender Christbaum, eröffnen den Abend mit einem eigens für den Spezialgast Johnson komponierten Song. Und wenn Boris Johnson die Argumente ausgehen, lässt er die Band spielen: «Dance Monkey» von Tones and I, momentan an der Spitze der Schweizer Hitparade, interpretiert von Blind Butcher im Weihnachtsoutfit lassen alle Sorgen um Brexit, Wahlmanipulation und Demokratieverfall vergessen. Na dann: frohe Festtage.

Regie: Sophie Stierle; Text: Christoph Fellmann; Ausstattung: Nina Steinemann; Musik: Blind Butcher
Spiel: Miriam Japp, Philippe Schuler, Stefan Schönholzer; Special Guest: Romeo Meyer

Müllers: Episode 2
FR 6. März 2020, 20 Uhr
Südpol, Kriens

Müllers: Episode 3
FR 22. Mai 2020, 20 Uhr

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