Eine verrückte Tollheit

Stanser Musiktage, 10.04.2018: Ein schöner Auftakt ist gemacht. Wir haben am Eröffnungstag den Programmpunkt Hanreti Extended with the Gospel Singers Stans besucht. Die grosse Bühne im Kollegi St. Fidelis war angerichtet für eine viel Platz fordernde «verrückte Idee»: eine Band mit Instrumental-Gästen und einem viel-, nämlich 37-köpfigen Chor.

Es vergeht eine Weile bis zur erwarteten Vollbesetzung. Hanreti eröffnen zu fünft: Timo Keller an der Gitarre und am Gesangsmik, Jeremy Sigrist (Gitarre), Rees Coray (Bass), Mario Hänni (Drums) und Perkussionist Lukas Weber. Bei Titel Nummer drei setzt sich Keller ans Keyboard, spielt aber dann auch wieder Gitarre, es kommt ab dem aktuellen Album «Deep Sea Dream» «Masters Of Fear», dann der erste Gastauftritt: Niklaus Mäder (Bassklarinette) und Fabian Mösch (Klarinette) machen mit. Sie bleiben auf der Bühne, auch fürs nächste Stück «Allday». Dann der Winiker, Chregu Winiker, später Christian «Keef» Winiker, das, was man etwas abgedroschen gern als Ausnahmegitarristen bezeichnet. Einer, der vieles kann, aber alles mit Ausdruck.

Wo zum Teufel bleibt der Chor? Vor allem jetzt, wo man «Rambler» anstimmt. Ein Song, der mich immer irgendwie an den Übersong «Tender» von Blur erinnert. Aber vielleicht evoziert es den Vergleich durch die Chorelemente da wie dort (und was alles natürlich auch für Hanreti spricht). Also «Rambler», das Chorstück aus Hanretis «Deep Sea Dream». Und da erschallen sie schon, Überraschungseffekt gelungen. Die 37 Sängerinnen und Sänger der Gospiel Singers Stans unter der Leitung von Alessandra Murer (sie singt, nebenbei bemerkt, im Backing-Chor der Funk-Soul-Band Discosaster) geben Laut, eben nicht von der Bühne herab, sondern in einer Reihe formiert droben auf der Zuschauertribüne. Geschlossen geht’s nach vollbrachtem Werk die Treppe runter, man verschwindet in der rechtsseitigen Vorhangtür und erscheint dann tatsächlich auf der Bühne für die nächsten beiden Nummern. Das ist «die verrückte Idee», die Hanreti hatten, wie Timo Keller in einer seinen raren Publikumsadressierungen sagt: Die Band aufwendig mit einem ausgewachsenen Chor aufzumotzen (-pimpen). Was unter anderem heisst: Die Arrangements und Stimmsätze müssen gemacht werden (with a little help from Christov Rolla), dann proben und schliesslich unter erschwerten, das heisst recht herausfordernden Beschallungsbedingungen live interpretieren. Wenn wir richtig gezählt haben, stehen in Vollbesetzung 5 plus 2 plus 1 plus 38 Musik machende beziehungsweise singende Personen auf der Kollegi-Bühne. Rechne!

hanreti chor

Freudig überrascht wird man vor den zwei Zugaben mit dem Schlussbouquet, das in Gestalt einer uns sehr vertraut vorkommenden Nummer vorgetragen wird. Ein Cover. Mit schöner Choreröffnung: «You Can’t Always Get What You Want» von den Beat... äh: Rolling Stones. Namentlich handelt es sich um die Langversion ab dem Album «Let It Bleed» (1969); auf der Single (Rückseite von «Honky Tonk Women») hatten der lange Chorteil und die vollen siebeneinhalb Minuten des berückenden Songs keinen Platz. Dafür hier in Stans. Die Gospel Singers wiegen sich im Takt, wobei man die Stimmen gerne etwas lauter gehört hätte. Und natürlich sind hier nicht herausragende Vokalklänge von Madeline Bell, Doris Troy und dem originalen London Bach Choir zu hören. Aber immerhin. You can’t always get what you want. Tolle Sache.

Was alles auch zeigt an diesem Stanser Eröffnungsabend mit Hanreti Extended plus Gebläse sowie Vielgesang: Da ist eine herausragend-exzellente Band am Werk, die mit ihrem Können nicht gross auftrumpfen muss. Ihr Spiel ist, tönt vielleicht paradox, verhalten-intensiv, mit Dichte, in die sich viele Feinheiten verpacken. Und immer angenehm nicht so indiemässig verschlirggt. Eine Rockband? Mitnichten. Von einem Medium einst als solche betitelt, erklärten sich Hanreti auf Facebook (4.12.2017): «Wir verstehen uns mehr als Kraut-Afro-Folk-Band mit viel Liebe zu Curtis Mayfield.» Scherz lass nach.

(Fortsetzung folgt)

Stanser Musiktage
Bis Sonntag, 15. April

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