Eine Nische Grossstadt

Seit mehr als zehn Jahren prägen der Klub Kegelbahn und das Kaffee Kind die Baselstrasse. Wer steckt hinter den Betrieben? Und: Lässt sich Musik eigentlich mit Pizza finanzieren?

Es ist mitten am Tag, doch wie immer im Frühjahr bleibt die Sonne vor der Gleisüberführung zu Beginn der Baselstrasse zurück. Das spärliche Tageslicht ist wohl einer der Gründe, warum gerade hier, am Rande der Stadt, das Nachtleben floriert. Lokale kommen und gehen, und gewohnt hat in der Strasse lange Zeit nur, wer sonst nirgends etwas finden konnte. Und doch gibt es auch hier Konstanten, die sich dem Wandel des Quartiers widersetzen: Der Klub Kegelbahn ist eine davon. Ein Club, der mittlerweile seit einem Jahrzehnt die Baselstrasse prägt. Das schmale Kellerlokal ist über die Jahre zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt der hiesigen Musikszene geworden. Es ist ein Ort für elektronische Musik abseits des Mainstreams, wo bis frühmorgens getanzt wird und sich in Luzern bisweilen eine Nische Grossstadt entwickelt hat.

Hinter diesem Unternehmen steht eine hartnäckige Truppe, die nicht nur mit Geschäftssinn, sondern auch mit viel Einfallsreichtum seit Jahren den zum Teil prekären Bedingungen trotzt. 2013 wurde der Klub Kegelbahn eröffnet und drei Jahre später um eine Bar auf der gegenüberliegenden Strassenseite ergänzt. Seit 2023 führt das Unternehmen eine eigene Pizzeria in der Pfistergasse.

Erwachsen geworden

Raphael Märki, Inhaber und Gründer der Dein Ding AG, der Firma, die die drei Lokale verwaltet, empfängt mich im Kaffee Kind. Die Bar, die von Stammgäst:innen liebevoll «Kind» genannt wird, ist noch leer an diesem frühen Nachmittag. Der Raum ist dunkel, die Fenster sind mit Schriftzügen verziert – «TRRN TRRN TRRN» steht dort in grossen Buchstaben. Ungewohnt ist es hier ohne das Stimmengewirr und den dichten Zigarettenrauch, der noch Tage später in den Kleidern hängt. Nina Winiger, die ihre Rolle im Team «am ehesten als so was wie Art Director» beschreibt, sitzt bereits am Tisch. Der Booker Flo Dalton, der lieber mit seinem DJ-Pseudonym erwähnt werden möchte, und Stefan Bernasconi, ebenfalls Mitgründer der Firma und «leidenschaftlichster Buchhalter der Stadt», wie er später mit einem Grinsen von sich behaupten wird, stossen kurz darauf und leicht verschlafen dazu. Wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass sie die Nacht durchgearbeitet haben.

 

Viele sind «irgendwie hineingerutscht», als Gäst:innen oder DJs, liefern nachmittags Pizza aus und legen nachts im Club auf.

 

Die vier machen bloss einen Bruchteil der Menschen aus, welche die drei Betriebe an der Baselstrasse – den Klub Kegelbahn, das Kaffee Kind und Disco Pizza – prägen. Vielleicht zu sechst seien sie mittlerweile in der Geschäftsleitung, sagt Nina Winiger etwas vage. In diesem «vielleicht» schwingt die ganze Schwierigkeit mit, die verschlungenen Strukturen des Unternehmens zu entflechten. Die Organisation der drei Betriebe sei, so Winiger, auch aufgrund ihrer organischen Entstehung teilweise unübersichtlich, dafür durchlässig: Wer ist zuständig für was? Welche Rollen gibt es und wie werden sie definiert? Fragen, die sich das Team oft stellt, ohne sie abschliessend beantworten zu können. Mit dem Wachstum – zu Spitzenzeiten beschäftigt das Unternehmen aktuell 75 Mitarbeiter:innen – müssten sie vieles überdenken, meint Raphael Märki. «Es geht darum, professioneller zu werden, funktionierende Strukturen aufzubauen und so eine gewisse Ruhe in die Betriebe zu bringen.» Früher, da sei das noch nicht so gewesen, da hätte immer die Leidenschaft an erster Stelle gestanden. «Mit Disco Pizza sind wir erwachsen geworden», fügt Märki an.

Schnell wird klar, dass die Arbeit hier nicht bloss ein Job ist. Geprägt von wochenendlastiger Schichtarbeit, ist sie kaum kompatibel mit Freundschaften ausserhalb der Nachtwirtschaft und macht den sogenannt «normalen Alltag» zur Herausforderung. «Arbeit und Freizeit vermischen sich in dieser Branche schnell», bestätigt Nina Winiger und ergänzt, dass sie trotzdem oder vielleicht gerade deswegen gerne hier arbeitet. Der Job sei vielseitig, der Umgang miteinander freundschaftlich. «Man muss aber schon ein Nachtmensch sein, die Musik und die Menschen fühlen.»

Das Team ist wild zusammengesetzt, besteht zu einem grossen Teil aus Student:innen, die wenigsten hätten eine passende Ausbildung, so Stefan Bernasconi. Viele seien «irgendwie hineingerutscht», als Gäst:innen oder DJs, viele arbeiten parallel in unterschiedlichen «Ressorts», liefern nachmittags Pizza aus und legen nachts im Club auf.

Pizza per Zufall

Und so ist auch die Gründung von Disco Pizza exemplarisch für das Spontane, manchmal beinah Zufällige, das das Geschäftsmodell ausmacht. «Im Fall von Disco Pizza stand am Anfang der verstaubte Ofen im Keller des Kaffee Kind, den wir bei der Übernahme entdeckt haben. Wir dachten uns: Wieso nicht Pizza machen?», erzählt Raphael Märki. Das Handwerk haben sie sich graduell angeeignet, über YouTube-Videos und Instagram. Nina Winiger erzählt lachend, wie sie kürzlich ein altes Bild gefunden hat aus der Zeit, wo sie Rezepte ausprobierten, als die Küche noch nicht in Betrieb war. Darauf knete Märki mit Zigarette im Mundwinkel den frischen Teig. «Das kommt heute natürlich nicht mehr vor», sagt sie beschwichtigend.

Während der Pandemie, als Klub Kegelbahn und Kaffee Kind zwangsläufig schliessen mussten, wurde die Pizza produktion zur Überlebensstrategie des gesamten Betriebs: Der Lieferdienst, den sie in dieser Zeit ausbauen konnten, machte es möglich, die Angestellten beschäftigt und den Umsatz stabil zu halten. Danach nahm die Nachfrage einfach nicht mehr ab. «Die Pizzeria gibt dem gesamten Betrieb finanzielle Stabilität», sagt Raphael Märki. «Disco Pizza hat noch viel Potenzial und kann von mir aus so gross werden, dass wir damit das gesamte kulturelle Angebot querfinanzieren können.»


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Einfach raven

Der Klub Kegelbahn agiert, wie auch das Kaffee Kind und Disco Pizza, privatwirtschaftlich und ohne Kulturgelder der Stadt. Dass sie keine strukturelle Förderung beantragen würden, sei eine bewusste Entscheidung, sagt Stefan Bernasconi, der die Buchhaltung für das Unternehmen macht. «Wir machen das, um unabhängig zu bleiben und im Musikprogramm weiterhin aus der Nische heraus operieren zu können.» Trotzdem ist es erstaunlich, wie konsequent der Betrieb, dessen Überleben vom Gewinn abhängt, ein solch kantiges Musikprogramm verfolgt. «Good Music Is Beyond Genre» ist seit zehn Jahren der Leitsatz, dem sich das Booking des Klubs Kegelbahn verschrieben hat. Nicht einer musikalischen Richtung folgend, sondern offen in den Stilen, oder wie Raphael Märki es beschreibt: «Schlussendlich muss man einfach raven können.»

Der Slogan hat sich über die Jahre gehalten, während sich das musikalische Angebot in der Umgebung stark verändert hat. «Gerade das Break-lastige, EBM oder Acid Techno, das unser Programm früher sehr geprägt hat, bekommt man heute überall», meint Flo Dalton, Booker der Kegelbahn, der sich bisher zurückgehalten hat und, sobald das Gespräch sich der Musik zuwendet, viel zu erzählen weiss. Die überschaubare Grösse des Clubs verleihe beim Booking auch Freiheiten. Sie müssen nicht die Massen ansprechen, um Räume zu füllen, sondern können experimenteller sein und auch mal Dinge ausprobieren, die in Luzern noch auf wenig Resonanz stossen. Dies gelinge auch dank externer Veranstalter:innen, die an eigene Netzwerke anknüpfen und andere Perspektiven mitbringen, erklärt Dalton und nennt als Beispiel die Partyreihe «Meow Meow :3», die noch an diesem Abend den Club zum Vibrieren bringen wird. Schweizweit eine rare Plattform für nischigen Hyperpop und Nightcore Sound – und gleichzeitig ein immer beliebterer Treffpunkt für eine junge queere Szene.

Doch nicht nur für das lokale Umfeld ist dieser Ort bedeutend: Im Klub Kegelbahn finden sich seit Jahren immer wieder internationale Grössen ein, solche, die normalerweise nur noch vor grossem Publikum auftreten. Wie etwa 2016, als DJ Stingray zu Gast war, eine Schlüsselfigur der US-amerikanischen Technoszene, oder ein paar Jahre später, als der Norweger DJ Sotofett ein Set spielte, das die ganze Nacht dauerte. Wie gelingt das? «Ich glaube, das liegt auch daran, dass wir uns Mühe geben, gastfreundschaftlich zu sein», sagt Flo Dalton. «Manche Artists bleiben ein ganzes Wochenende oder länger, und wir kümmern uns darum, dass sie einen guten Aufenthalt haben. Da gehen wir auch mal zusammen wandern – und das spricht sich dann irgendwie rum.»

Merch auf dem Menü

Der Klub Kegelbahn macht nicht nur wegen seines hochstehenden Musikprogramms von sich reden: Dank mehrerer Generationen von umtriebigen Grafiker:innen ist es dem Unternehmen gelungen, einen Brand zu schaffen, der über Luzern hinaus wiedererkannt wird. Schon früh habe man auf eine schrille Grafik gesetzt, erzählt Nina Winiger. Ein typisches Markenzeichen ihrer Gestaltung seien bis heute die auffälligen Typografien, die vom Grafiker Chlais Achermann entworfen wurden und das Raven visuell darstellen. «TRRN TRRN TRRN», wie das von aussen hörbare Klirren von Fensterscheiben, die von entfernten Bassfrequenzen ins Schwingen versetzt werden. Oder das krosende Geräusch eines erschöpften Lautsprechers. Mittlerweile verkaufen sie ihren Brand auch als Merch – aufgelistet im Disco-Pizza-Menü. Und tuckern diesen auf Rollern durch die Stadt, mit denen sie auch die Pizza ausliefern. Die Ästhetik: irgendwas zwischen Retro, Kult und Kommerz.

Die heutige Popularität der Betriebe sei trotzdem keine Selbstverständlichkeit. «Wir mussten jahrelang erklären, dass wir keine Dive-Bar für die letzten betrunkenen Stunden vor Sonnenaufgang sind und es uns stattdessen um die Musik geht», sagt Stefan Bernasconi. Und auch von Stadtseite her fehle manchmal der Blick für ihren kulturellen Anspruch. «Dort gibt es leider die Tendenz, dass nur, was gefördert wird, auch als Kultur wahrgenommen wird.»

Mittlerweile ist der Aschenbecher etwas voller, das Gespräch etwas loser. Draussen auf der Strasse geht es geschäftig zu und her, im «normalen» Alltag wäre jetzt Feierabend, Wochenende – hier geht es bald erst richtig los. Nina Winiger, Flo Dalton und Stefan Bernasconi müssen weiter, nur Raphael Märki bleibt noch einen Moment sitzen. «Klub Kegelbahn und Kaffee Kind, das ist für mich wie Balsam. Orte, wo so viele Menschen mit Leidenschaft zusammenkommen», sagt er, fast etwas wehmütig. Womöglich ist es gerade das Kollektive, das Chaotische und das Rastlose, das diesen Ort zu dem macht, was er ist: zwar kein Kulturbetrieb, wie er im Handbuch steht, aber auf jeden Fall ein Ort, wo Kunst produziert und gelebt wird.


 

041 – Das Kulturmagazin
Mai 05/2024

Text: Sophia Fries
Bilder: Tom Huber

Sophia Fries ist Kulturvermittlerin und Künstlerin. Sie interessiert sich für widerständige Strategien in einer von der Wirtschaft geprägten Gesellschaft.