Eine Grabrede oder «Oh du liebe Teiggi – Schön war es mit dir» / Ein Nachruf auf dem Kunstraum Teiggi

Kunstraum Teiggi, Kriens, 2012 bis 2016: Der Kunstraum Teiggi und das dazugehörige Areal der alten Teigwarenfabrik in Kriens neigt sich dem Ende zu. Bald fahren endgültig die Baumaschinen auf und machen daraus ein neues Dorfzentrum mit Wohnungen und Werkstätten. Seit 2012 wurde der Kunstraum Teiggi als Experimentierplattform für Kunst und Kultur genutzt, viele Personen waren involviert und haben zahlreiche Projekte realisiert. Mit der Ausstellung «ÜberReste» geht eine lange und spannende Ära zu Ende. Nachfolgend ein paar Anekdoten aus den vergangenen Zeiten mit dem Kunstraum Teiggi.

(Fotos: Michael Sutter)

Alles fing mit einem Telefonat an. Vieles fängt mit einem Telefonat an. Konrad Abegg, seinerseits Krienser Künstler und mein grösster Fan, zumindest als ich als Kind noch Fussball gespielt habe. Am 31. Dezember 2011 ruft er mich an, ich bin in Berlin auf einem Parkhaus, möchte Silvester feiern. «Hey, wir brauchen einen Kurator in Kriens, alte Teigwarenfabrik, kennst du bestimmt. Ja weisst du, wir sind ein paar Künstler, haben von der Gemeinde das alte Andalusische Zentrum erhalten. Machst du mit?» «Ja logisch, voll geil» oder so etwa lautete meine Antwort. Und es gab zum ersten Mal Honorar in meinem noch jungen Kuratorenleben. 3000 CHF, um genau zu sein.

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Mit dabei waren: Konrad Abegg, Bea Portmann, Esther Wicki-Schallberger, Chris Aschwanden und Franziska Schnell. Sie haben den Verein Kunstraum Teiggi gegründet und mich als Kurator engagiert. Also, etwa 160 Jahre nach der Gründung der damaligen Kunstmühle und Teigwarenfabrik der Gebrüder Degen (Wieso wir den Kunstraum Teiggi nicht Kunstmühle genannt haben, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben) annektiert eine Künstlergruppe die Teigwarenfabrik. Die Spanier waren fleissige, aber ziemlich rabiate Handwerker und so mussten in gemeinschaftlicher Handarbeit grüne Wandfarbe, allerhässlichste Stuckarbeiten und an die Wand geklebte Spiegel weichen, herausgerissen werden um einen von der Kunstgeschichte goutierten White Cube herzustellen. Das Engagement war riesig, alle halfen mit, eine kleine familiäre Gemeinschaft ist entstanden. Das Resultat war zwei Ausstellungen mit je 10 Künstlerinnen und Künstlern aus Kriens. VOR ORT 1 & VOR ORT 2 haben im Jahre 2012 rund 1000 Besucherinnen und Besucher angelockt. Vom kleinen Hosenscheisser bis zum alten Tattergreisen.

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Es waren die Zeiten, als Max Christian Graeff in einer NachtundNebel-Aktion die alte (die damals noch fürchterlich nach Fritteusen-Fett gerochen hat) Küche zu einem Kuriositäten-Kabinett umfunktionierte, nur um an der Vernissage am darauffolgenden Tag mit Abwesenheit zu glänzen. Man munkelte, es war sein 50. Geburtstag. Es waren die Zeiten, als Chris Aschwanden aus der ehemaligen Lüftungsanlage (die der aktuelle Chris Meier wohl gerne noch verscherbeln möchte, Interessierte bitte direkt bei ihm melden) einen perpetummobileartigen Brunnen installiert hat und die Elemente umgekehrte. Wo früher Luft angesogen wurde, floss Wasser in den Ausstellungsraum. Apropos Wasser im Ausstellungsraum: Irgendwann kam es bei einer Heizungsentlüftungsaktion durch sogenannte Profis zu einer Überschwemmung im Kunstraum. Seitdem sitzen die unterschiedlichen Parkettböden ein bisschen locker und die gigantischen Entlüfter suchen einem noch heute in den Träumen heim.

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Es waren auch die Zeiten, als ich als Mustervorlage für die Werkbeschreibungen bei den Ausstellungen VOR ORT 1 und VOR ORT 2 sowas geschrieben habe: Bitte eure Angaben in dieser Form übermitteln: Vincent Knoblauch, Jahrgang 1988, Werktitel: Goldbraun gebratenes Epiliergerät (2008). Was mich dabei geritten hat, weiss ich echt nicht mehr. Aber das Kunstwerk könnte man mal herstellen. Es waren auch die Zeiten (das kommt jetzt noch ein paar Mal), als die Ausstellungsplakate aussahen wie die monatliche Erinnerung an die Abfallentsorgung der Gemeinde oder ein SP-Wahlplakat. Es waren auch die Zeiten, als man begonnen hat das KriensInfo als Medienpartner zu verteufeln. Ich erlaube mir ein Seitenhieb an Alfred Gut, der nicht viel gut gemacht hat.

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Aber: Es waren auch die Zeiten von gemeinschaftlicher Harmonie, engagierter Zusammenarbeit, spannenden Gesprächen, der Kunstraum Teiggi wurde sehr schnell zu einem Ort der Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur, es gab Konzerte, Lesungen, Podiumsdiskussionen. Manchmal kamen drei Leute, manchmal 100, und manchmal war auch geschlossen obwohl geöffnet sein sollte, oder umgekehrt.

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Das waren schlussendlich knapp zwei Jahre vollster Freude und für mich persönlich, ein unbezahlbarer Erfahrungswert. Nach den beiden Ausstellungen divergierten – wie so oft – die Vorstellung der Weiterführung des Kunstraumes. Die älteren Semester verliessen den Verein und zu dritt (Chris Aschwanden, Franziska Schnell und ich) haben den Kunstraum Teiggi nicht hergeben wollen, haben ihn in bitter-zarten Verhandlungen mit der Gemeinde Kriens eine Monatsmiete von – und jetzt halten Sie sich fest – 80 CHF ausgehandelt. Unter diesen Voraussetzungen gibt man natürlich solch hervorragende Räumlichkeiten nicht her, auch wenn man nicht genau weiss, was damit anzustellen.

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Wir sind übrigens irgendwo im Jahr 2013 angelangt und der Verein Kunstraum Teiggi war auf das mindeste Minimum von drei Personen geschrumpft. Die Präsidentin Franziska Schnell, der irgendwann nach Zürich abgewanderte Vizepräsident Chris Aschwanden und ich als Kassier (der von Zahlen eigentlich überhaupt keine Ahnung hatte) haben sich mit spontanen Aktionen, Vermietungen und Gastausstellungen über Wasser gehalten. Beispielsweise habe ich mit «Stadtflucht» oder «Konglomerat» zwei Ausstellungen kuratiert mit befreundeten Künstlern.

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In sagenhafter Erinnerung bleibt, als wir (Franziska und ich) mit der Stichsäge im kleinen Kabäuschen ein Loch in die Decke gesägt haben, ich mir beinahe eine Staublunge geholt habe und dabei kiloweise andalusischer Gerümpel zum Vorschein kam. Plastikkinderschlitten, Gitarren, eine nigelnagelneue Hi-Fi-Anlage, Ramsch, Mörtel, Gipserutensilien, Barhocker, eine kleine Sammlung spanischer Bücher, einen Rinderschädel (den ich auf Tutti für 200 CHF an einen Schlagennarr verkauft habe), eine Sammlung von spottbilligen Pokalen und vielen weiteren qualitativ niedrigen Tombola-Produkten. Drapiert wurden sie anschliessend zu einer Gesamtinstallation, welche die Besuchenden Stück für Stück nach Hause nehmen durften. Der andalusische Hund, eine Anspielung auf Louis Bunuel, war geboren.

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Der Kunstraum Teiggi wurde in der Folge zahlreiche Male untervermietet, immer wieder zu unterschiedlichen Konditionen. Es kam zu einer Ausstellung von DADO von Dominik Lipp und Daniel Häller, die Ateliergemeinschaft Hilton hat mit «Meet me in the Lobby» ebenfalls eine Gruppenschau realisiert. Im ehemaligen Lokus a.k.a. Schiessscharte wurde ein Schlüsselkästchen montiert, der erste Zahlencode war übrigens 531, eine Zahl die ich mir bis heute nicht merken kann. Dies machte die Vermietung an Dritte viel einfacher.

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Und das Jahr 2013 war auch der Auftakt der drei legendären performanceABENDE, die ich zusammen mit Lorenz Hegi organisieren durfte. Die maximale Besucherzahl von knapp 100 Leuten wurde regelmässig überboten und als die Heizungen auch im Sommer noch liefen, war man nahe dran an einem Sauna-Feeling. Es wurde vielseitig performt, getanzt und gestikuliert. Studentische Performer wie auch nationale Grössen aus der Performance Kunstszene sind aufgetreten, haben irritiert und teilweise Spuren hinterlassen. Die heftigste von allen war Irène Maag aus Basel, die in ihrer Hommage an Yves Klein nackig in ein Kinderbecken stieg, das mit einer Mischung aus Wasser, Acryl und Pigmenten zu einer braunen Pampe vermischt war und sie anschliessend an der ganzen Ausstellungswand verteilt hatte. Resultat: Ein ganzer Tag Hardcore-Putzaktion für Lorenz und mich, weil man nicht einfach darüber malen konnte.

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Es waren auch die Zeiten, als mein persönliches Highlight stattfand: I’VE GOT THE POWER! Ein einmaliges, exklusives, lange elaboriertes Musical-Theater von den Bewohnerinnen und Bewohner vom Gelben Haus. An einem arschkalten Februar-Sonntagabend, wo der Ottonormalbürger eigentlich den Tatort schaut und sich nicht auf Montag freut, haben rund 30 Menschen ein Musical inszeniert, das sich förmlich im mein Hirn eingebrannt hat. Auseinandergenommen wurde eine kontroverse Figur des öffentlichen Hollywood-Lebens. Arnold Schwarzenegger wurde in vier kongenialen theatralischen Akten durch den Kakao gezogen. Arnie als Gouverneur, Arnie als Actionstar mit grenzdebilem Englisch, Arnie als homoerotischer Muskelprotz und Arnie als scheinheiliger Fremdgeher (er hatte das Kindermädchen geschwängert) wurde in Persona non grata von zwei gutaussehenden Typen gespielt, die sich gemeinsam in eine Art Sumoringer-Kostüm gezwängt haben und von Akt zu Akt mit mehr Muskeln und Bräunungsmittel verstärkt wurden. Ich höre das Gelächter und Gejohle des Publikums (es waren wohl nie wieder mehr Personen im Kunstraum!) des Publikums noch Heute. Einfach GRANDIOS war diese Performance! An dieser Stelle noch ein kurzes Intermezzo, was alles nicht realisiert wurde: Kammerflimmern / Eine Ausstellung über Amateurvideos BMX-Rundkurs Kunstquiz-Abend mit MC Graeff Eine Werkschau von Otto Gilli (weil er kurz davor verstorben ist) Pigmenteexperimente, eine explosive Ausstellung zu Ehren des kleinen farbigen Krümels Die Ausstellung mit den schlechtesten Kunstwerken Ein Kunstmarkt (weil wir uns vehement dagegen gewehrt haben) Wettstricken und Wettschnitzen Eine absurde Idee zum Wolpertinger Hanghuhn (Fabelwesen) Dafür hat die Pfadi Kriens ihr «80 Joor Jubiläum» gefeiert! Und wie: Im Kunstraum gab es einen hölzernen Schnipselteppich, die Männertoilette wurde zu einem Latrinen-WC umfunktioniert mit komplettem Bretterverschlag, man konnte im Zelt übernachten und auf dem Vorplatz wurde beinahe 24h grilliert.

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Dann ging das Geld aus, kurz vor 2014. Was machen? Selbst etwas investieren, die Gemeinde anpumpen, die sich zwar mit läppischen 500 Franken jährlich äusserst knausrig zeigte und auch kaum vorbeikam. Die Baugenossenschaft Wohnwerk hat mittlerweile das gesamte Teiggi-Areal als Brauchleihe von der Gemeinde übernommen, die Miete stieg auf moderate 300 CHF pro Monat. Also, was machen? Gelder müssen her! Das heisst: Dossier schreiben, viele Bilder reinpacken und Briefe an Stiftungen versenden. Dazu musste ein Konzept her. Möglichst simpel, möglichst flexibel, möglichst selbsttragend und möglichst unaufwändig. Franziska Schnell und ich haben uns überlegt, den Kunstraum Teiggi für hypergünstige 2 CHF pro Tag zu vermieten. Subventioniertes Gastatelier nannte sich die Geschichte, die am 1. Januar 2014 begann und zwei Jahre später am 31. Dezember 2015 beendet wurde. Insgesamt 38 Projekte haben in dieser Zeit stattgefunden. Das Konzept war wie gewünscht simpel, flexibel, selbsttragend und unaufwändig. 2 CHF pro Tag, eine, zwei oder drei oder manchmal vier Wochen wurde der Raum vermietet und mit der Auflage verknüpft, mindestens einen öffentlichen Anlass zu kreieren, um den Beiträgen öffentlicher Kulturgelder auch Rechnung zu tragen. Es gab wieder regelmässig Ausstellungen, Konzerte, Performances und allerlei Kulturprogramm. Um nur ein paar der kreativen Ausstellungstitel zu nennen: Hauruck! In Himmelblau Teig vom Kollektiv Leinenlos Bis zum Hals Umwelt erfinden Weiss der Kuckuck Amici Miei K8 Rekords Label Launch Satelliten-Ausstellung Pavillon Tribschenhorn Macht nichts (von Dogan Firuzbay) Gamification Zebras gesellen sich mit Zentrifugen Kunstgeschickte À la table Honking Eggs Hin & Her Abgeschlossen wurde die zweijährige Gastatelier/Projektraum-Phase mit einer Weihnachts-Silvester-Abschlussparty, die ich zwar initiiert hatte, aber selbst nicht daran teilnehmen konnte wegen meiner panischen Angst, jeweils die letzten Jahrestage in der Schweiz verbringen zu müssen. In diesen vier Jahren, wo ich mit dem Kunstraum Teiggi zu tun hatte, ergaben sich eine Fülle an interessanten Begegnungen, Gesprächen und Aktionen. Es war genial, es war plump, es war aufwändig, es war mühsam, es war herzlich, es war grossartig, es war verkrampft, es war freigeistig, es war experimentell, es war gut aufgeräumt, es war Notschlafplatz, es waren Mäuse sich am austoben, es war langatmig, es war kurzweilig, es war professionell, es war dilettantisch, es war riskant, es war normkonform, es war einfach ein gigantisch-riesiger Erfahrungsschatz für viele involvierte Personen. Ein grosses Dankeschön an Alle, die jemals etwas dazu beigetragen haben. Die Ära Kunstraum Teiggi, seit dem 1. Januar 2016 als Kunstraum Teiggi 2.0 von einem dynamisch-nomadischen Kunstkollektiv geführt, neigt sich dem Ende zu und Bagger werden ihr endgültig ein Ende bereiten. Wir verabschieden uns würdig. Das war’s! R.I.P. Merci & Ahoi