Ein Schiff wird kommen

Luzern/Venedig, 29.08.2018: Frohbotschaft für die Luzerner Filmemacherin Corina Schwingruber Ilić: Ihr neuster Kurzfilm «All inclusive» zum Thema Kreuzfahrtmassentourismus ist ans renommierte Filmfestival von Venedig (29.08.–08.09.2018) eingeladen worden. Kulturteil fragte nach: Wie kam es dazu, wie wars, was bringst und was wird noch werden?

Man stellt es sich als das nackte Grauen vor oder fühlt sich vom Schrecklichen fasziniert. Dann nämlich, wenn es um das Thema «Kreuzfahrt» geht. Ein ökologisch fragwürdiger, in den letzten Jahren sich epidemisch verbreitende Trend des Massentourismus ist zum grossen Boom geworden. Ob mediterran oder (trans-)atlantisch, die Schiffe kommen und gehen und kreuzen in der Weltgeschichte herum. Und auf ihnen die Massen von Ferienmachenden, das einst einfach schwimmende Hotel ist längst zur schwimmenden Stadt, zum Unterhaltungs- und Konsumort geworden, wo es alles gibt – «All inclusive», alles ist inbegriffen.

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Dieses Phänomens hat sich also die Luzernerin Corina Schwingruber Ilić (*1981) in ihrem 10-minütigen Kurzfilm «All inclusive» angenommen. Nach dem poetischen Maschinenballlett von «Baggern» (u.a. Zürcher Fimpreis 2012) oder der international mehrfach preisgekrönten arbeitsmonografischen Dokumentation «Ins Holz» (2017, Ko-Regie mit Thomas Horat) eine weitere Arbeit, in der sie Wirklichkeitsmaterial auf eigene Art filmisch verdichtet.

Qualitäten hat der neue Film bereits bewiesen. So bekam er etwa den Postproduktionspreis der letztjährigen Kurzfilmtagen Winterthur. Und nun aktuell die Einladung des renommierten italienischen Festivals von Venedig zur Weltpremiere: «All inclusive» ist in der Wettbewerbssektion «Orizzonti» an der 75. Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica in Venedig zu sehen.

Corina Schwingruber Ilić sagt: «Mir scheint, dass ein Kreuzfahrturlaub alles zusammenbringt, was unsere Konsumgesellschaft ausmacht. Er ist ein Abbild unserer Gesellschaft auf engstem Raum, ein Mikrokosmos, in dem Gegensätze unserer Zeit aufeinandertrefffen: Reichtum auf Armut, Masse auf Einsamkeit, Natur auf Künstlichkeit und Kultur auf Kommerz.»

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Fünf Fragen zu den 10 Filmminuten.

Kulturteil: Was war der inspirative Anstoss zum Thema des Films?
Corina Schwingruber Ilić: Eine bosnische Freundin von mir ist Meeresbiologin und lebt seit 15 Jahren in Dubrovnik, wo ich sie fast jährlich besuche. Von ihrer Terrasse aus beobachtete ich Jahr für Jahr den Hafen, wo immer mehr und immer grössere Kreuzfahrtschiffe anlegen und Tausende von Touristen auf die kleine Altstadt loslassen und diese verstopfen. Da hatte ich schon seit längerem die Idee, etwas darüber zu machen.

Wie gingen dann konkret die Dreharbeiten vonstatten?
2016 machte ich mit dem Pfeifermobil (zweimonatiges Wohnmobilstipendium der Otto-Pfeifer-Stiftung) eine Recherchenreisen entlang der Häfen am Mittelmeer. Die Filmemacherin Antonia Meile begleitete mich dabei und half bei den Aufnahmen und bei den langen Fahrten. Danach ging ich 2017 mit meinem Ehe- und Kameramann Nikola Ilić auf eine Kreuzfahrt im Mittelmeer. Da diese aber zu wenig hergab und die Passagiere jeden Tag an Land gingen, haben wir uns fast ein Jahr später auf ein grösseres, absurderes Schiff in die Karibik begeben, wo nur wenig Landausflüge stattfanden und das Leben an Bord somit viel exzessiver war. Danach hatte ich dann alles Material für den Film beisammen und konnte es im Schnitt durcheinandermischen, denn ich wollte ja nicht eine bestimmte Reederei kritisieren, sondern das Phänomen und unsere Gesellschaft mit diesem unglaublichen Konsumverhalten.

Unter welchen Bedingungen konnte gedreht werden, offen, heimlich?
Meine Produzentin Stella Händler von freihändler Filmproduktion hat im Vorfeld mit den Reedereien Kontakt aufgenommen, und die Abmachung war, dass wir einfach keine verbotenen Bereiche filmen dürfen. Meistens ging es eh um die Masse. Personen, welche alleine gefilmt wurden, haben wir einfach mündlich um Erlaubnis gefragt. An Bord wird eigentlich sowieso die ganze Zeit gefilmt und fotografiert. Wir haben’s dann, statt auf den sozialen Medien gepostet, einfach zu einem Film verarbeitet.(schmunzelt)

Welche Erwartungen sind mit der Teilnahme in Venedig verbunden, oder anders gefragt: Was bringt ein Festival am Ende des Tages?
Momentan bringt es nur Ruhm und Ehre, wir haben mit der Reise und der Promotion mehr Ausgaben. Aber zum Glück werden wir für den Festivalbesuch teilweise von swissfilms finanziell unterstützt. Durch die Teilnahme in Venedig haben wir nun aber auch eine Sales-Firma aus Kanada gewinnen können,, und je nach dem, wie die Verkäufe laufen, springt dann schlussendlich doch noch was raus. Aber ich rechne da nicht mit viel, zudem Sales-Verträge im Kurzfilm knallhart sind. Aber der Film bekommt mit dem Venedig-Auftritt natürlich einen riesigen Schub. Viele andere Festivals wollen den Film nun haben, und viele Leute wollen ihn sehen. Das freut mich am meisten.

Wann wird «All inclusive» in der Gegend zu sehen sein?
Es gibt leider noch nichts Konkretes. Ich hoffe, dass er in Winterthur an den Kurzfilmtagen läuft, oder dann Anfang nächstes Jahr an den Solothurner Filmtagen. Regional dann hoffentlich am einen oder anderen Filmevent, wie an der berühmten Kurzfilmnacht, Openair-Veranstaltungen, Kurzfilmreihen u.a. Wir versuchen den Film auch an iTunes und an SRF zu verkaufen. Aber zuerst kommen jetzt einmal die Festivals.

Corina Schwingruber
Mit ihrem Kreuzfahrtkurzfilm «All inclusive» am Festival in Venedig im Wettbwerb: Regisseurin Corina Schwingruber Ilić (Bild: Beat Brechbühl)

Der Schreibende gelobt zum Schluss, die Lektüre des zum Thema unverzichtbaren Buches endlich in Angriff zu nehmen: David Foster Wallace: «Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich». Marebuchverlag, Hamburg 2002. Unbedingt lesen.

All inclusive
Dokumentarfilm, 10 Minuten
Buch und Regie, Montage: Corina Schwingruber Ilić
Kamera: Nikola Ilić
Musik: Heidi Happy
Sounddesign: Robert Büchel

TRAILER hier.

All Inclusive - Trailer from freihaendler Filmproduktion on Vimeo.