Ein rotes Tuch für Luzern – Über eine vereitelte Kunstaktion von Roman Signer

Roman Signer, einer der bekanntesten Schweizer Künstler, wurde vom Luzerner Kunstmuseum für eine permanente Installation beauftragt. Die Idee war, den (Luft-)Raum mit Lift, der vom Seiteneingang her zum Kunstmuseum führt, zu bespielen und die kühle, unbefriedigende Eingangssituation aufzuwerten. Ende 2019 sollte Roman Signers Installation eingeweiht werden. So weit kam es jedoch nicht – trotz schriftlicher Gutheissung durch die Gebäudeversicherung. Über die Hintergründe, den Standort des Kunstmuseums im KKL und die Frage, warum «Hauswarte Kunst hassen», wie Signer es lakonisch formuliert.

Die Liste vereitelter Kunstprojekte im Falle Roman Signers ist lang. Wer mit Sprengstoff und Zündschnur hantiert, muss damit rechnen, wird manche:r sagen. Paradigmatisch dafür, wie Sicherheitsbedenken, bürokratische Hürden und künstlerische Vision aneinandergeraten, ist der Fall in Altdorf: Im Rahmen des Alpentöne-Festivals wurde Roman Signer 2013 mit einem Projekt eingeladen. Signers ursprünglicher Plan war es, einen Helikopter über einen Fussballplatz hinter dem Tell-Spielhaus kreisen zu lassen, einen Flügel angehakt, der dann fallen gelassen werden und zerschellen sollte. Die Bewilligung dafür wurde frühzeitig eingeholt und selbstredend abgelehnt, worauf sich Signer eine neue Aktion ausdachte: «Der Pianist, der Flügel, vom Helikopter bewindet» – so der in seiner Trockenheit poetische Titel. Ein Pianist spielt auf einem Platz opulent romantische Musik, die Musik wird leicht verstärkt, ein Helikopter nähert sich mit einer Strickleiter, die Motoren sind so laut, dass sie die Klaviersaiten zum Rauschen und Dröhnen bringen; zum Schluss steigt der Pianist die Strickleiter hoch und wird vom Helikopter davongetragen. Auch diese Aktion wurde nicht bewilligt, auf ein drittes Gesuch wollte das Festival verzichten. Was manchem Signer-Fan mit einem Quäntchen Zentralschweizer Patriotismus zumindest ein paar Zuckungen verursachen wird – die Aktion wurde dann wie geplant durchgeführt, jedoch nicht in Uri, sondern in Augst, in Baselland.

«Mit dieser Höhe muss man umgehen können»
Im Falle der geplanten permanenten Installation für das Kunstmuseum waren weder Feuer, Sprengstoff noch Helikopter im Spiel. Ein aufwendig gebauter Prototyp in Signers Atelier: ein Tisch mit einer Gitteroberfläche mit hohen Drahtseilen und an diesen ein rotes Tuch befestigt, das von einem unter dem Gitter installierten Gebläse durch einen Impuls 14 Meter den Drahtseilen entlang in die Höhe gejagt wird, dann langsam herunterflattert und mit einem schlurpfenden Geräusch zurück auf den Tisch sackt (siehe Video unten).
Er habe das furchtbar gefunden, sagt Signer und meint diesen Raum, wo man mit dem Lift in den vierten Stock hinauf ins Luzerner Kunstmuseum gelangt. «Do ine mues öpis farbigs», habe er sofort gedacht und sich an die Arbeit gemacht, als er den Auftrag durch die Kunstgesellschaft und die Direktion des Kunstmuseums erhielt.
Entstanden sei ein «massgeschneidertes, stimmiges Teil», das präzise auf Ort, Raum und Höhe zuge- schnitten gewesen sei, sagt Andi Scheitlin, Präsident der Kunstgesellschaft, der sich zusammen mit der Direktorin des Kunstmuseums, Fanni Fetzer, mit viel Engagement für das Projekt eingesetzt hat. Die Idee hinter der ganzen Sache war, die für das Kunstmuseum ungünstige Eingangssituation – eigentlich handelt es sich beim Aufgang zum Kunstmuseum um eine Art «Lieferanteneingang» – zu bespielen. Man wollte etwas schaffen, das die Leute zum Stehenbleiben, zum Staunen bewegen und Orientierung schaffen sollte, meint Fetzer. Ausserdem wollte man nach der erfolgreichen Turner-Ausstellung im Herbst 2019 ein Zeichen setzen: «Wir sind wieder in der Gegenwart, im Zeitgenössischen.» Signers Installation wäre eine Chance gewesen, den «Ort zu verorten». Man habe natürlich schnell an Signer gedacht, denn «mit dieser Höhe muss man ja umgehen können», sagt Fetzer.

Roman Signer


Nur leicht brennbar
Signer freute sich (man ist geneigt zu sagen: wie ein Kind) über den Auftrag und kam mitsamt Assistenten und Prototypen nach Luzern, um diesen vorzustellen. Auch der KKL-Chef und der Chef des technischen Dienstes waren anwesend und begeistert. Zwischenzeitlich wurden die Pläne auch der Gebäudeversicherung vorgelegt. Einzige Auflage war, dass der Fluchtweg mindestens drei Meter betragen muss – dies war gegeben – und dass der Stoff des Tuchs «nicht oder nur leicht brennbar» sei. Signer wählte also einen anderen Stoff aus und die Sache wurde als rechtlich in Ordnung eingestuft.
Doch dann wurde das Projekt in der Trägerstiftung des KKL traktandiert, diskutiert und letztlich aufgrund Sicherheitsbedenken abgelehnt. Die Stimmung sei schwierig gewesen, sagt Scheitlin. Das Ganze habe sich enorm in die Länge gezogen und irgendwann habe man halt aufgegeben. Letztlich sei das eben ein demokratischer Entscheid und er wolle nicht im Nachhinein jemandem in den Rücken fallen, sagt Scheitlin dazu. Natürlich sei es schade und natürlich habe man sich geärgert, meinen Fetzer und Scheitlin. Auf die Frage, ob dies der richtige Entscheid war, sagt Fanni Fetzer: «Ich bin auch nicht in letzter Verantwortung, wenn etwas passiert.»

Seitenfassade der Seitenfassade
Geärgert hat sich auch Roman Signer. Ihn habe das «scho no möge». Aber klar, sagt er, «Hauswarte hassen eben Kunst. Vor allem Wasserobjekte.» Aber es sei doch schon seltsam, dass diese Hauswarte so viel zu sagen haben. Für nichts war das Ganze aber nicht. Irgendwo komme das, irgendwo mache er das einmal, sagt Signer. Vielleicht in Basel? Man wird sehen.
Was sich an dieser Geschichte auch zeigt, ist die Ambivalenz des Standorts des Kunstmuseums im KKL. Beim Architekturwettbewerb fürs KKL war das Kunstmuseum darin nicht vorgesehen. Und man sieht es dem Gebäude an. Dass die Hauptkompetenz des Standorts städtebaulich bei den SBB liegt, trägt das Übrige dazu bei: Das KKL ist die Seitenfassade und das Kunstmuseum gewissermassen die Seitenfassade der Seitenfassade. Trotz faktischer Vorteile der Anbindung ans KKL – Präsenz, Synergien, Gastronomie – wünschte man dem Kunstmuseum einen anderen Standort (vielleicht mitten auf dem Theaterplatz oder in einem Park mitten in der Neustadt?)
Sicher ist: Die Diskussion um Kulturstandorte in der Stadt Luzern geht weiter. Da und dort ein rotes Tuch und Stein des Anstosses können der Diskussion nur mehr Schubkraft verleihen.

Ein Paar Stiefel
Und zum Schluss: Ein Teufel, wer nun an Signers Stiefel im Centre Pompidou und diesen einen Kommentar von ihm dazu denkt. Signer schoss im Centre Pompidou – «schick, aber schwach gebaut» – ein Paar Stiefel mit den Sohlen voran an die Decke. Sicherheitsbedenken waren vorprogrammiert – auch Signer selbst war etwas beunruhigt nach der Inspektion im Centre Pompidou. Wobei, meinte er nachträglich in einem in Buchform festgehaltenen Gespräch mit David Signer, «würde das Centre Pompidou bloss wegen ein paar läppischer Stiefel zusammenkrachen, wäre es ja auch nicht schade drum gewesen ...».

*Roman Signer, geboren 1938 in Appenzell, gehört zu den wichtigsten Schweizer Aktionskünstlern. 1969– 1971 studierte er an der Schule für Gestaltung Luzern, gab das Studium jedoch wegen finanzieller Schwierigkeiten auf. 1974–1995 war er als Dozent an der Schule für Gestaltung in Luzern tätig. Spätestens seit seiner Teilnahme an der Documenta in Kassel und der Biennale in Venedig zählt er im In- und Ausland zu einem der wichtigsten europäischen Gegenwartskünstler:innen.


Interview: Anja Nora Schulthess
Foto & Video: Beat Bieri

Dieser Beitrag erschien in der Sommerausgabe 17-08/2021 von 041 – Das Kulturmagazin.

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