Durch den Schinken hindurch

Kleintheater Luzern, 09.01.2019: Die Nachwuchsbrigade der Luzerner Theaterschaffenden, Fetter Vetter & Oma Hommage, kämpft sich durch «Ein Kind unserer Zeit» von Ödön von Horváth. Erschreckend zahm, teils ächzend lahm. Wo sind die «jungen Wilden», von denen in der Luzerner Copypaste-Propaganda die Rede war? Man findet sie nur bruchstückhaft. Die Musik: grandios.

Fotos: Ingo Höhn

Eins vorweg: Der Autor dieses Textes möchte kein journalistisches Besserwissertum simulieren. Weder Ödön von Horváth noch «Ein Kind unserer Zeit» sagten ihm vor der Premiere etwas. Nach der Premiere wusste er noch weniger über das Stück als zuvor. Nach einigen Minuten wurde klar, dass die heutige Inszenierung für das Bildungsbürgertum gemacht ist, welches das Stück natürlich kennen müssen will und bedeutungsschwanger raunt, wenn es Sätze hört, die es kennen wollen muss.

Ödön von Horváth schrieb «Ein Kind unserer Zeit» 1938. Danke, Wikipedia. Es ist die Geschichte eines namenlosen Ich-Erzählers, der aufgrund ungünstiger Bedingungen in den Faschismus rutscht. Am Schluss wendet er sich wieder von ihm ab. Leider aus einem Hass heraus und mit einer Gewalt, die dem Faschismus nicht unähnlich sind. Horváth schreibt seinen Roman kurz, militärisch, rhythmisch: «Ich hasse das bequeme Leben! Vorwärts, immer nur vorwärts! Marsch – marsch!» Er schafft es auf manieristische Art und Weise, den Faschismus mit dessen eigenen sprachlichen Mitteln zu entblössen.

Fetter Vetter & Oma Hommage lassen den Text von Horváth in ihrer Interpretation komplett unbearbeitet. Sie beschränken sich auf das theatrale Drumherum. Die namenlose Hauptfigur spalten sie in ein fünfköpfiges Ensemble auf, das den Text vorträgt. Ohne Unterscheidung zwischen indirekter oder direkter Rede. Mal abwechslungsweise, mal gleichzeitig und mal verschoben. Vielfach schreiend. Anfänglich in rot-weiss-schwarzen, rustikalen Kostümen, sezieren sie nach und nach das Profil eines jungen Verwirrten, der in die teuflischen und vielfach banalen Wirren des Faschismus gerät. Während Fetter Vetter & Oma Hommage im Hintergrund walteten, spielen im Ensemble bekannte Profis der Zentralschweizer Theaterszene.

Ursula Hildebrand, Matthias Kurmann
Einer der Höhepunkte: Matthias Kurmann und Ursula Hildebrand tänzeln, während Sweet Old den musikalischen Hinterteppich legt.

In langwierigen Passagen beschwört die Inszenierung eine Tiefe, die nicht richtig aufkommen mag. Die bierernste Ehrfurcht vor dem Original schimmert unvermittelt durch. Und die Standard-Begründungen für die Verwendung eines älteren Stoffes, die unbedingte Relevanz und Brandaktualität für die Gegenwart, sie bleiben leere Versprechen. Hier wird heute Abend vermutlich nicht mehr viel entblösst. Horváth, ein Kind seiner Zeit?

Plötzlich setzt das Ensemble zu einer Kehrtwende an. Hans-Caspar Gattiker peitscht sich mit seiner Soldatenhose den Rücken, Ursula Hildebrand und Patric Gehrig stopfen sich stöhnend Tomaten in ihre Fressen und Matthias Kurmann tänzelt in weltfremd-diabolischer Pose die Bühne auf und ab. Die Choreographie wird immer absurder und lauter, Annabelle Sersch brüllt jetzt, aber es hört sie niemand. Horváth geht in einer grusligen Kakophonie unter. Ja, tötet ihn, verdammt noch mal! Fetter Vetter & Oma Hommage finden den Faschismus in einer alles übertönenden Reizüberflutung, die dem gegenwärtigen Finanzkapitalismus nicht unähnlich ist. Und verlieren ihn wieder.

Es wird nie wirklich unbequem, potentiell kontroverse Passagen werden sofort in schläfriger Textgetreue begraben. Der interessante Ansatz, den Ich-Erzähler in einer schizophrenen Fünfköpfigkeit darzustellen, ist in der Ausführung erschreckend konventionell. Das hat man alles schon besser gesehen. Sind die «jungen Wilden» erwachsen geworden?

Die Band Sweet Old (Jeremy Sigrist, Silvan Schmid und Sämi Gallati) hält den Abend mit einem filmähnlichen Score zusammen. Sie ziehen in den richtigen Momenten an und halten sich in den richtigen Momenten zurück. Rhythmische Überlagerungen, minimalistisch-musikalische Tupfer, die zu ausgewachsenen, rockig groovenden Stücken werden und Höhepunkt des Abends sind. Am Ende ist das Ensemble im Schnee erstarrt, es betritt ein Gaststar die Bühne, er liest die letzten Passagen aus «Ein Kind unserer Zeit» vor. Und schüttelt den Kopf. Der entscheidende Twist? Oder Kapitulation vor dem Original? Ein Wink, dass man es besser gekonnt hätte? Oder gibt es doppelte Böden, die dem Autor dieser Rezension entgangen sind?

Weitere Vorstellungen: FR 11. SA 12., MI 16., FR 18. und SA 19. Januar, jeweils 20 Uhr, Kleintheater

Spiel: Hans-Caspar Gattiker, Patric Gehrig, Ursula Hildebrand, Matthias Kurmann, Annabelle Sersch

Regie: Damiàn Dlaboha; Bühne: Elke Mulders; Dramaturgie: Béla Rothenbühler; Licht und Ton: Timo Keller; Musikalische Leitung: Jeremy Sigrist; Musikalische Mitarbeit: Sämi Gallati, Silvan Schmid; Bühnenbau: Christof Bühler; Produktionsleitung: Gilda Laneve; Oeils éxterieurs: Carmen Bach, Jacob Suske