Dringlichkeit, Mystik und Energie: eine Musikgalerie

Wer mit Schnellertollermeier über Musik redet, hat sich hoffentlich Apnoe-Skills für einen Tiefseetauchgang angeeignet. Manuel Troller und David Meier lassen nämlich kaum Atemzüge zu beim Gespräch zur neuen Platte «5». Also einatmen – 1, 2, 3, 4, 5 – und runter in die Tiefe!

«Langjährige Rezepte neu zu suchen und alte Gewohnheiten zu hinterfragen, statt im Zorn dagegen anzurennen, ist eine mögliche musikalische Antwort, die Schnellertollermeier auf die Fragen unserer Gegenwart anbieten» – selten hat ein Stück Pressetext die Attitüde einer Band wie jene von Andi Schnellmann (b), Manuel Troller (g) und David Meier (dr)  besser auf den Punkt gebracht.

Im Gespräch mit letzteren beiden wird schnell der Eindruck erweckt, dass da entweder ungemein revolutionäre Traditionalisten oder traditionelle Revolutionäre am Tisch sitzen, die sich innert kürzester Zeit durch die gesamte Kulturgeschichte zu buddeln vermögen.

Doch der Reihe nach: 2020 bringt das in Luzern gegründete Supertrio Schnellertollermeier sein inzwischen fünftes Album nach «Rights» (2017), «X» (2015), «Zorn Einen Ehmer Üttert Stem» (2010) und «Holz» (2008) auf den Markt. Das unspektakulär betitelte «5» ist die dritte Veröffentlichung beim amerikanischen Label Cuneiform und markiert erneut eine Weiterentwicklung, was ihnen wichtig sei, wie Troller betont: «Bandentwicklung, etwas auf den Punkt bringen, mit Relevanz – das ist sicher ein Anspruch von Schnellertollermeier.» Und er fährt fort: «Wir wollen auch nicht in einem elitären Ecken sitzenbleiben, sondern Leute begeistern, die sich bisher nicht mit solcher Musik beschäftigt haben.»

Spätestens in Form von «Rights» ist das dem Trio schon mehr als gelungen, was Touren auf der ganzen Welt – unter anderem in Indien, Japan oder Amerika – belegen. Auf dieses Rezept mag sich die Band aber nicht verlassen, dementsprechend schlägt «5» wieder einen einen anderen Kurs ein.

Was fällt also auf beim neuen Werk im Vergleich zum Vorgänger? Folgendes: Während «Rights» mit Bögen – leise, laut, leise – oder Kurven arbeitete, ist «5» viel geradliniger organisiert. Das heisst, die verschiedenen Elemente, Patterns, Ideen sind auf einer Art Timeline angeordnet, entwickeln sich in kleinen Schritten weiter und können als einzelne, thematisch zusammehängende Kurzstücke verstanden werden. Oder schlicht: als verschiedene Bilder im Raum einer Kunstgalerie, die zu einem grossen Ganzen gehören.

So geht mensch denn von Raum zu Raum, von Bild zu Bild oder von Songpart zu Songpart und fängt langsam an, das Konstrukt zu verstehen, sieht ihm beim Wachsen zu und verweilt, mal still, mal tanzend. Richtig, tanzend: Die bisher eher dem Eklektizismus-Jazz, Minimal oder Hardcore verschriebenen Schnellertollermeier «entdecken» den Backbeat auf «5».

So gibt es gleich bei den fantastischen ersten zwei Stücken «209 Aphelion» und «Before and After» abgesessen-groovige Parts und veranschaulichen die zuvor aufgestellte These zugleich ganz unterschiedlich: Beide Songs beginnen mit einem klaren Tempo. Während aber erstere Komposition sich daraus entwickelt, hat letztere thematische Brüche, Time-Variationen und Moodwechsel. Diese beziehen sich jedoch klar aufeinander und ergeben in der Folge ein stimmiges Ganzes, welches im Schlussteil zu einer regelrechten Tanz-Eruption führt.

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V.l.n.r.: Andi Schnellmann (b), Manuel Troller (g), David Meier (dr)

Der weitere Verlauf von «5» ist dann ebenso vielschichtig wie das von Mathis Pfäffli gestaltete Cover und lässt viel Raum für Interpretation zu. So gibt es Drone-Songs, Freie Improvisationen, Sphärisches, Mystisches, eine ordentliche Packung schräger Sounds (ein Lieblingsmoment beispielsweise wären Meiers Kaffeemühle-artige Geräusche ab Zeitpunkt 03:32 auf «A.o.E.i.n.E.o.A.»), und konsequent-ausgearbeitete Präzisions-Patternmusik, für die das Trio spätestens seit «X» bekannt ist sowie bewundert wird.

Troller ergänzt dazu wie folgt: «Für dieses Album haben wir uns bewusst auf zwei Aspekte konzentriert und reduziert: Einerseits gibt es die rhythmische Ebene, die meist erst durch die musikalischen Elemente aller Mitglieder Sinn ergibt – hier können wir Elemente wegnehmen oder hinzufügen. Und dann gibt es Improvisationen, die oft in Schichten und ohne Puls funktionieren, aber trotzdem Tempo und Fluss haben. Durch diese Reduktionen bekommen andere musikalische Parameter für uns eine neue Bedeutung und eröffnen weitere Gestaltungsspielräume.»

Das ist denn auch, was die Radikalität und Dringlichkeit Schnellertollermeiers auf den Punkt bringt: Konsequenz, an einer Idee dranzubleiben, diese auszuarbeiten und immer und immer wieder zu wiederholen – in der Repetition liegt die Kraft, das haben nicht schon die alten Kung-Fu-Meister*innen gewusst.

Dazu ergänzend David Meier: «Der Ansatz hat insofern etwas Radikales, weil wir alles annehmen, was rauskommt und uns dann überlegen müssen, wie wir das weiterführen können», sagt er und führt weiter aus: «So kann beispielsweise jeder in der Band auf dem Instrument spezielle Techniken angehen und muss zugleich ein physisches Durchhaltevermögen dafür entwickeln – ein Weg, der zu anderen Resultaten führt, als wenn man einfach vorgefertigten Pfaden folgt.»

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Energie, physisches Durchhaltevermögen, Präsenz: Das ist die eine Seite der neuen Schnellertollermeier-Platte – konsequent-gespielte Kraft. Unglaublich, wie druckvoll Schnellmanns Basssound daherkommt aus seinem 72er-Preci und wie glasklar Trollers Telecaster mal singt, mal zischt, mal faucht, und wie warm Meiers Drumset mit Cymbals sowie Trommeln klingen.

Dieses Klangbild, entstanden im Suburban-Sound-Studio unter der Regie von Manuel Egger, beinhaltet aber auch einen Aspekt, der die andere Seite von «5» ausmacht: Limitationen. So sind Troller und Schnellmann mit ihren Instrumenten direkt ins Pult rein beim Recorden, Meier wurde in einem kleinen Raum mit wenigen Mikrofonen aufgenommen, und es kamen praktisch keine Amps oder Gitarrenverzerrer zum Zug. «Wie erreichen wir ein elektronisches Klangbild mit gespielten Instrumenten, wie noch mehr Nähe zur Zuhörerschaft?», erklärt Troller ein paar Grundfragen, an deren Umsetzung eine gute Runde getüftelt wurde.

«Schichten, Ebenen, Dichte und Klang, das ist sozusagen das Konzept der neuen Platte.»

Manuel Troller

So verschwindet denn das «Hardcore-ige» auf «5», trotzdem ist’s immer noch klar Schnellertollermeier. Oder: Schnellertollermeier 5.0! Die altbewährten Hallsounds, Staccato-Rimclicks, gestrichenen Basssounds – mit neuen Effektgeräten, Modifikationen und Überraschungen! Teilweise übernimmt dann die Gitarre Bassfunktionen und gewisse Sounds kommen wiederum aus dem Bass, die man eigentlich eher von der Sechs- denn Viersaitenfraktion erwartet hätte. Insgesamt wurde mit Parametern experimentiert, was auch erklärt, warum «5» so unterschiedliche Wege einschlägt und beispielsweise das Grundkonzept der beiden Startsongs nicht durchzieht.

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Dazu Meier: «Wir haben etwa lange mit der Idee gearbeitet, alle Songs tanzbar zu gestalten – doch das hat irgendwann nicht mehr geklappt.» Troller ergänzt: «Schichten, Ebenen, Dichte und Klang, das ist sozusagen das Konzept der neuen Platte. Einige der Stücke habe ich auf einer Drummachine zu programmieren begonnen, dann die Sounds, die ich als sinnvoll erachtet habe, weiterverfolgt und auf unsere Instrumente übersetzt.» Meier: «Wir haben auch Sachen gespielt an Gigs, die wir mega gut fanden und aufs Album nehmen wollten – und dann haben wir’s trotzdem verworfen.» Troller: «Oder ich habe lange begeistert an etwas gearbeitet und das dann am Schluss doch abgeschossen.» Sagt’s und lacht.

Material gibt es trotzdem weiter zur Genüge. Allein im Prozess zu «5» entstanden Songs, die gleich ein neues Album ergeben könnten – oder sicher erste Blaupausen bilden. «Eine Idee, die wir aufgenommen haben, klang beispielsweise wie Gamelan-Beerdigungsmusik», meint Meier und fragt sich dann: «Vielleicht wird eine nächste Platte viel mehr von Volksmusik aus aller Welt geprägt sein?»

«Eine Idee, die wir aufgenommen haben, klang beispielsweise wie Gamelan-Beerdigungsmusik.»

David Meier

Die Welt, das ist allgemein, was Schnellertollermeier verfolgen und was die Band weiterhin beschäftigt. «Rights» selbst ist aus politischer Wut entstanden, «5» positioniert sich hier weniger klar. Und trotzdem dreht sich das Gespräch in der Folge auch um Genderequality, um Diversity oder um Cultural Appropration. Und dreht irgendwann die Kurve zur Strategie und Aussicht, wo es mit dieser Band, die seit bald 15 Jahren miteinander spielt, hingehen wird.

Hier entziehen sich Schnellertollermeier vielen gängigen Marktmechanismen: Auf den geläufigen Streamingplattformen sind sie bewusst kaum auffindbar, einen Businessplan gibt es (offiziell) nicht, und auch in den Sozialen Medien ist das Trio erst seit Kurzem aktiv, wobei hier Booker und «Manager» Kilian Mutter (Orange Peel Agency) für die Präsenz verantwortlich zeichnet. Auch mit ihm gehen Schnellertollermeier, die lange Zeit alles selber gemacht haben und als ausgezeichnete Netzwerker gelten, nicht einer ausgetüftelten Kampagne nach: «Wir wollen Konzerte spielen – denn das sind physische Erlebnisse, da wird Luft und ganz viel anderes verschoben und das spürt man», meint Troller, während Meier bejahend nickt. «Drum setzen wir auch den Fokus auf unsere Musik, und darauf, dass diese einerseits stilistisch vielfältig funktioniert, andererseits aber auch an verschiedenen Orten klappt.»

Ein klarer Plan ist hier also abschliessend im ersten Moment also nicht auszumachen, aber Team und Haltung gibt es doch, was Manuel Troller und David Meier abschliessend zusammenfassen: «Wir setzen lieber den Fokus auf Wühlen und Graben. Wenn dabei jemand mit einem interessanten Konzept an uns herantritt und sagt, unser Sound würde sich dafür eignen, dann sind wir dem nicht abgeneigt, im Gegenteil sogar! Musikalische Kompromisse machen wir aber trotzdem nicht.»

Schnellertollermeier: 5

2020. Cuneiform Records (VÖ: 13. November 2020)