Die Zukunft der Volksmusik

Jazzkantine, 22.06.2015: Überraschungen in der Musik gibt es noch. So erlebt an den Abschlusskonzerten der Volksmusik-Fakultät der Musikhochschule Luzern. Schwyzerörgeli, Hackbrett und Electro? Schwyzerörgeli, Hackbrett und Electro!

Es gibt sie noch: Konzertabende, nach denen man sich einfach an die Tastatur schmeissen muss, um darüber zu schreiben. Für einen solchen war am gestrigen Montag die Volksmusik-Fakultät der Musikhochschule Luzern verantwortlich. Die Absolventen des relativ jungen Studiengangs boten ein Programm, welches eine ganze Musiksparte neu erfand. Studienkoordinator Daniel Häusler und hochkarätige Dozenten wie Markus Flückiger oder Willy Valotti haben ganze Arbeit geleistet. Schweizer Volksmusik: Von den einen geliebt, von den anderen belächelt. Eine Stubete mag heute nicht mehr jedermanns und –fraus Sache sein. Partys werden zumindest im urbanen Populär-Bereich eher bevorzugt. Doch ist dem wirklich so? Traditionen kommen schliesslich wieder in Mode – oder waren vielleicht gar nie weg? Mit solchen Fragen beschäftigen sich im Endeffekt auch die Musiker und Musikerinnen, welche ihre Studien vorwiegend oberhalb der Jazzkantine praktizieren und die Früchte ihrer Arbeit der Zuhörerschaft präsentierten. Adrian Würsch eröffnete den Abend in der brechend vollen Jazzkantine mit Schwyzerörgeli und Samples sowie Effektgeräten. Durch die interne Mikrofonierung seiner Instrumente – dem Schwyzerörgeli und der diatonischen Handorgel – ist er in der Lage, Reverb, Delays, Ringmodulationen und weitere spannende Charaktereigenschaften in sein Spiel einzuflechten. Diese Technik erzeugte eine ungemein mystische Stimmung und veredelte die dargebotene Leistung vollends. Die Harmonien, der Groove, die Ideen: Das war purer Genuss von Anfang bis zum Schluss. Mal irisch, dann wieder schottisch, mit einem Schuss Patent Ochsner und Hubert von Goisern: stets virtuos und berührend. Sympathische Ansagen rundeten das Konzert angenehm ab – wobei man das obligatorische «Guete Obe mitenand» langsam aus dem Phrasen-Vocabulaire der Musikhochschule verbannen dürfte.

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Die grösste Überraschung kam aber noch: Wieso sollten die oben angesprochenen Begriffe Party und Stubete denn ein Widerspruch sein? Eine Frage, die sich auch Würsch gestellt zu haben scheint. Während um ihn herum eine Trennwand aufgebaut wurde, verwandelte sich das Adrian Würsch Quartett nämlich in das Trio Lectrø. Und jene Formation sorgte für das Highlight des Abends: Die Musiker vermischten Electro-Beats mit den Klängen des Schwyzerörgelis. Arpeggio-Loops und diverse Effekte in Kombination waren das Resultat. Zusammen mit den traumhaft schönen Harmonien wurde so eine verrückte, beeindruckende Soundmischung erschaffen. Dass der E-Kontrabass gelegentlich ein wenig arg matschig klang, mochte man hierbei locker verkraften: Die Darbietung war ein ungemein spannendes Szenario einer Musikrichtung, die sich komplett neu am Erfinden ist und trotzdem nicht Traditionen vernachlässigt. Fantastisch! Wenngleich die abschliessenden Dubstep-Klänge für ein wenig gar fragwürdige Gesichter im Publikum sorgte, goutierte dieses das letzte Stück mit ein paar Juitzern – dem höchsten Glücksgefühl. Was für ein Konzert. [youtube 6C1QTL8Mpbw nolink] Die nächsten Programmpunkte gehörten den Hackbrett-Spielern der Volksmusik-Fakultät. Nayan Stalder's Viertaktmotor besann sich auf eine klassischere Besetzung mit Cello, Akkordeon und Kontrabass – ganz ohne Mikrofonierung. Im Vorfeld muss ohnehin wie folgt betont werden: Das Hackbrett, eine Kastenzither mit historischen Verknüpfungen im nahen Osten und Mitteleuropa, gehört zu den am schönsten klingenden Instrumenten der Welt. Gedämpft kann es perkussiv gespielt werden, ansonsten lassen sich ihm mystische (der Begriff könnte nicht oft genug verwendet werden) Töne entlocken. Stalders Stücke heissen «Et Voila» oder «Bus Nr. 17» (übrigens zum Teil in einer 17/16-Taktart) und lassen sich am ehesten mit Filmmusik umschreiben. Schloss man die Augen, erweckten die Lieder einerseits diese Alpenpanoramen aus SRF-Alpendokumentationen, bei denen man sich immer fragt, wie diese zauberhaften Soundtracks hergestellt wurden. Andererseits würde die Musik ohne Probleme zu einem nordischen Krimi oder sogar asiatischen Anime-Szenarien passen: aufgeweckt und lebhaft, doch auch düster und dringlich. Wenngleich traditioneller als Würsch im Vorfeld, erzeugte Stalder ebenfalls eine spezielle und tief konzentrierte Stimmung.

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Der eigentliche «Star» des Abends betrat dann zum Finale die Bühne. Während Stalder und Würsch ihre Bachelorkonzerte bestritten, stand für Christoph Pfändler das Masterkonzert an. Und ein Meister war er an diesem Abend durchaus – nur schon beim Auftreten: Stets mit dem Schalk im Nacken, immer für eine Überraschung gut und ein Tier am Instrument. Seine Metalkapelle eröffnete den Abend mit Jodelgesängen von Johanna Schaub (clo, voc) und Evelyn Brunner (kb, voc). Und selbst jetzt, im Stream abgespielt, rühren diese Gesänge zu Tränen und gehen ganz tief ans Herz. Da wurde mit dem einsetzenden Klavierspiel von Steffi Rutz und Pfändler eine herrlich schöne Stimmung erzeugt. Doch der Frontmann durchbrach jene  Atmosphäre mit dunklen Klängen, die in ein treibendes Stück übergingen. Wie man dieses am besten in Worte fasst? Indianer-Stimmung trifft auf Banjo & Kazooie vielleicht? Auf jeden Fall ein Genuss!

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Die Metal-Arrangements, mit denen Pfändler im breiteren Rahmen Bekanntheit erlangte, wurden an diesem Abend lediglich in Form vom Deep Purple-Klassiker «Fireball» dargeboten. Doch hatte der Hackbrett-Virtuose ohnehin so viele weitere Highlights für seine fliegenden Schlägel in petto, dass er sich nicht auf den alten Zöpfen ausruhen musste. Mal flanierte man durch Pariser  Gassen, trank dann einen Whiskey in einem alten Cowboy-Schuppen zu Zeiten des wilden Westens und erlebte sogar Griechenland dank einer Sirtaki-ähnlichen Sequenz. Ein Querverweis auf aktuelle politische Vorgänge? Pfändler könnte die augenzwinkernde Aktion glatt zugetraut werden. Und auch ansagetechnisch war das wieder ein Spass für sich, wenn beispielsweise ein Stück für die im Raum anwesende Theorielehrerin geschrieben wurde. Dementsprechend begeistert machte das Publikum mit; gar wurde ein Kind von Pfändler gewünscht. Der Hackbrett-Spieler bot aber lieber eine letzte Machtdemonstration und shredderte auf seinem Instrument, dass sich die Saiten bogen – wie wär's denn mal mit einem Cover vom Dragonforce-Klassiker «Through the Fire and Flames»? [youtube Upj0Y3Fzuvc nolink] Abschliessend wäre eigentlich noch viel mehr Raum angebracht, um diesen Abend in Worte zu fassen. Man könnte weiter über Traditionen schreiben, das Aufwachsen mit Volksmusik gerade in ländlicheren Gebieten thematisieren oder die Verbreitung in urbaneren Bereichen ansprechen. Doch verweist man in diesem Kontext lieber auf spannende Anlässe wie das Alpentöne-Musikfestival sowie Auftritte der Alpinen Vernähmlassig und freut sich natürlich auf weitere Konzerte der Volksmusik-Fakultät. Hier kann die Entwicklung der Musik hautnah miterlebt werden. Dank sei Pfändler, Würsch, Stalder und Co. mitsamt ihren Dozenten. Ein Versprechen für die Zukunft der Volksmusik.