Die Produktion des Schwindels

PTTH://, Luzern, 12.10.2019: In der Gruppenausstellung «Wavering Grounds» soll das Gleichgewichtsgefühl künstlich und künstlerisch gestört werden. Die versammelten Arbeiten sind sehenswert, die thematische Klammer findet dabei aber nur einen losen Zugriff.

Der menschliche Gleichgewichtssinn ist ein komplexes Zusammenspiel von Sensoren in Ohr, Auge, Muskeln und neuronaler Informationsverarbeitung. Erst verschiedene Störungen wie ein Drehschwindel oder eine sekundenschnelle Verunsicherung der Positionierung im Raum zeigen, wie grundlegend und automatisch die komplizierte Wahrnehmung und Koordinierung von unserem Körper in Raum und Zeit ist. Die Kuratorinnen Sarah Mühlebach und Andrina Keller wollen im PTTH:// den Begriff des Raumes und einer fragilen Verortung in diesem thematisieren. Dafür präsentieren sie Arbeiten von Mahtola Wittmer, Leonie Brandner, Marie Schumann und des Duos Markus Aebersold & Chris Handberg.

Ausgehängt wie Teppiche

Marie Schumann (*1991) zeigt vier Arbeiten aus Textilien und Stahl («Softspace») aus den Jahren 2017-19. Die Textildesignerin und Künstlerin interessiere sich allgemein für «die Möglichkeiten des Fadens» im Textilen. Diese Selbstreferenz auf das Material und die Grenzen des Mediums sind bei textiler Kunst mittlerweile gängig und können in ihrer Allgemeinheit nach ausgiebiger Historisierung und musealer Anerkennung (zentral im Jahr 2014 mit Ausstellungen unter anderem in Wolfsburg, Turin, Bielefeld, Mönchengladbach) samt feuilletonistischer Aufarbeitung (NZZ, Spiegel) nur schwer überraschen. Alleine Reflexionen auf Medium und Material können also nicht für Aufreger sorgen, geschweige denn Wahrnehmungen des Raums irritieren.

Marie Schumann im PTTH://

Nun von einer Thematisierung von Raum sprechen, nur weil die Arbeiten im Raum stehen, führt ebenso zu nichts. Schumanns Arbeiten sind aber gerade trotzdem dann in einer Spannung von Filigranem und Grobem zu betrachten, wenn man sie von allen Seiten beobachten kann, während sie da auf ihren Gestellen hängen wie Teppiche beim Ausklopfen. Weil ein Werk an der Wand des Eingangsraums hängt, wird jedoch eine Betrachtung im Sinne der Malerei nahegelegt. Es ist dann aber das Ensemble im Raum, das skulpturale Dimensionen öffnet.

Blackbox und White Cube

Leonie Brandner (1992*) zeigt «Küchenspektakel» von 2019. Wir sehen eine Videoaufnahme einer Küche, in der in Abwesenheit von Menschen die Katzen, Lebensmittel und Haushaltsgeräte ihr Unwesen treiben. Davor ist ein minimal angeschrägtes Podest mit Stühlen für Zuschauer*innen aufgestellt. Einen der Stühle besetzt eine Ananas, womit das Thema der Arbeit noch einmal gut aufgegriffen wird: Das Dasein von nicht-menschlichen Objekten und Wesen abseits der menschlichen Wahrnehmung. Da die vom Menschen erfundene Kamera dieses vom Menschen konstruierte Treiben hier aufgezeichnet hat, wird diesen alten Fragen von Schrödingers Katze über das Posthumane bis zu objektorientierter Ontologie schnell der Zauber genommen.

Ananas von Leonie Brandner

Markus Aebersold (*1988) und Chris Handbergs (*1989) Arbeit «All things will know a Name» von 2019 provoziert in der Tat eine Assoziation von den titelgebenden Dingen und Namen. Begleitend von einer monotonen Soundkulisse wird eine Lichtlinie auf wandgrossen Stoff projiziert, der durch Ventilatoren in Bewegung gehalten wird. Dadurch entstehen Formen, die mal wie ein Polarlicht, mal wie eine schwache Flamme, mal wie eine Gebirgssilhouette und mal wie Frequenzlinien erscheinen. Auch wenn beim Aufenthalt in der Blackbox das Zeitgefühl verschwindet und eine meditative Stimmung aufkommt, wird (trotz Lichtreizwarnung) keine Sensation von Schwankungen oder immersiven Schocks im Verhältnis von Körper und Raum erzeugt. Der Thrill der Arbeit entsteht vielmehr in der hypnotisierenden Ziel- und Zwecklosigkeit der tanzenden Linien, die auch ohne Zuschauer*innen (siehe Brandners Arbeit) stur und schön im Wind flackern wird.

Aus Markus Aebersold & Chris Handbergs «All things will know a name»

Mahtola Wittmers (*1993) «Bouncy Cube» konnten Besucher*innen bereits an der diesjährigen Werkschau der Hochschule Luzern – Design & Kunst betrachten. Die weisse, würfelförmige Hüpfburg steht nun mitten im Garten des Kunstpavillons, wodurch die Arbeit eine gewisse Unwirklichkeit gewinnen konnte. Dass Besucher*innen das Gumpischloss auch benutzen, ist gewollt und Teil des Konzepts. Wittmer nimmt hier Stellung zum White Cube – also der modernen, architektonischen, institutionellen und kuratorischen Konvention des weissen Raumes für die Präsentation von Kunstwerken. Wittmer will die Verhaltens- und Bewegungsregeln des musealen Raums aufbrechen und den White Cube durch hüpfende Menschen ins Schwanken bringen.

Existenzieller Schwindel in der Hüpfburg

So eine kritische Bezugnahme auf etablierte kunstweltliche Formen funktioniert ganz geradeaus und erschliesst sich regelmässigen Besucher*innen von Kunstinstitutionen unmittelbar. Gerade Kritik am White Cube wirkt deshalb schnell als gefällige und leere Geste, weil das Konzept eine doppelte Erfolgskarriere hingelegt hat. Während es einerseits global für jegliche Präsentation von Kunst angewendet wird, ist es auch mindestens als Gegenstand künstlerischer und akademischer Kritik so beliebt. Während Wittmers Arbeit sich hier also bloss einzureihen scheint in eine Linie schaler Institutionenkritik (und dann auch nur bedingt relevant wäre), zeigt sich doch eine künstlerische Entscheidung, die den Unterschied machen kann: Wittmer hat eben keinen geschlossenen Cube gebaut, sondern auf eine Wand verzichtet. Damit ist «Bouncy Cube» auch immer eine Bühne. Und wo eine Bühne ist, ist auch ein Publikum. Und wo ein Publikum ist, gibt es Erwartungen. Und wo Erwartungen sind, verhält man sich automatisch zu ihnen (ob erfüllend oder enttäuschend).

Wenn also die Regeln des Museums gebrochen werden, so wird bei Wittmers Arbeit deutlich, dass es dann aber andere Regeln gibt. Das Luftschloss spricht dabei einen einfachen Befehl aus: Habe Spass und lege infantiles Handeln an den Tag. Jedes Lachen und jede Bewegung zeige ich einem Publikum, dessen Erwartung ich doch genau kenne. Wir können den White Cube also hinterfragen und sogar zerstören, dahinter wartet aber immer noch die Gesellschaft mit anderen Normen und Zwängen auf uns. Und sei es «unendlicher Spass». Es sind dann auch genau solche ästhetischen Reflektionen auf Totalität, die einen existenziellen Schwindel erzeugen können.

Wavering Grounds
Bis SA 09. November
PTTH://, Luzern

Bis SO 10. November
Benzeholz, Meggen

 

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