Die neue Literaturpause ist da!

Die Literaturpause Nr. 60 zum Thema «Faulheit».

Ralph Tharayil + Tanasgol Sabbagh
Der Diener

Laura Leupi
Alarm.
Dialog mit Zervixschleim

Jens Nielsen
Hans fleissig

Lorenz Rieser
Frühaufsteher:in
+ Wellenreiter:in

Manuel Steinmann
Vom ewigen Liegen

Rebecca Gisler
Drei Auszüge aus dem Buch Vom Onkel

Jan Miotti
Lenz unter Schatten.
Acht faule Haiku

Saskia Winkelmann
Protokoll der Erschöpfung oder
Prozesse statt Produkte


 

Die Matratze ist riesig, ein paar Bücher stapeln sich achtlos am Bettrand, der Wecker klingelt und Chantal Akerman, sich selbst spielend und im Pyjama, richtet sich träge auf. In Decken gerollt blickt sie in die Kamera und sagt: «Heute ist Samstag. Und ich werde einen Film über Faulheit machen.»

Der Kurzfilm Portrait d’une paresseuse (1986) der belgischen Filmemacherin dokumentiert die Stunden kurz nach dem Aufstehen, wo neblige Schläfrigkeit auf getaktete Rituale trifft und sogar an einem Samstagmorgen Faulheit, Selbstoptimierung und Leistungsanspruch sichtbar werden; bei der täglichen Gesichtspflege etwa oder dem Vitaminpulver im trüben Frühstücksgetränk, welches das Essen ersetzen soll.

Chantal Akerman, noch immer mit müden Augen im Bett, fährt fort: «Um einen Film zu drehen, muss man erst aufstehen.» Im Grunde eine banale Erkenntnis, die hier meint: Die Faulheit steht ihrer künstlerischen Arbeit im Weg. Doch stimmt das? Ihr Kurzfilm nämlich beweist das Gegenteil: Subtil fängt sie den Widerspruch von Nichtstun und Produzieren ein und stellt die eingespielte Gegenüberstellung selbst infrage. Die Faulheit wird zum Antrieb für den Film. Faulsein, das zeigen auch die in dieser Ausgabe versammelten Texte, ist mehr als Nichtstun: Oder wie der Autor Ralph Tharayil in Der Diener schreibt: «Faulsein ist nicht das Gegenteil von Fleiss im Angesicht eines Morgens.»

Die vorliegende Literaturpause hat neun Autor:innen gebeten, sich mit dem mannigfaltigen Thema der Faulheit zu befassen. Ralph Tharayils Erzählung etwa befragt mit viel poetischer Kraft die Geschichte eines gesellschaftlichen Lasters, das aus einer kapitalistischen Welt hervorgegangen ist. Seine Erzählung handelt von einem Diener, der in seinem Garten Früchte mit kolonialen Namen erntet. Er scheint zufrieden mit einem Leben, das sich ganz nach den in Garten und Haus anfallenden Pflichten richtet. Und obwohl mittlerweile nur sein eigener, bleibt er Diener – eine Rolle, die er wie Akerman bei ihren getakteten Morgenritualen im Alltag gewissenhaft performt. Und die so individuell, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint, womöglich gar nicht ist. Zusammen mit der Poetin Tanasgol Sabbagh, die die Bilder zum Text beigetragen hat, hat Ralph Tharayil den Kurzfilm von Chantal Akerman um eine dekoloniale Perspektive erweitert und Faulheit in eine global verstrickte und von Machtverhältnissen durchdrungene Erzählung eingeflochten. Saskia Winkelmann wiederum erzählt das Erzählen selbst – und tastet das Bedürfnis nach selbstauferlegten Erwartungen ab, die unentwegt auf kreatives Produzieren und Gestalten pochen. «Erzählen hat mit Schöpfen zu tun, und Erschöpfung ist, wenn die Erzählerin zu viel geschöpft hat: von etwas, das nicht in ausreichender Menge vorhanden war», schreibt sie in ihrem Protokoll der Erschöpfung. Faulsein ist innerhalb der gegenwärtigen Leistungsgesellschaft, die immer mehr Menschen in den Zustand des Ausbrennens drängt, nicht nur eine Form der politischen Verweigerung, sondern möglicherweise auch eine existenzielle Notwendigkeit. Da fragt man sich, ob das kostbare Nichtstun denn zuweilen über die Arbeit erhaben ist, gerade wenn aus dieser schliesslich doch nichts Verwertbares entsteht, wie dies bei Kunst oft der Fall ist. Jens Nielsens Hans fleissig zumindest könnte diese Annahme stärken. Sein Protagonist steckt seine gesamte Energie in ein Langgedicht, das vor lauter Ablenkung nie entsteht. Oder tut es das doch?

Sei es die Ambivalenz zwischen Wollen und Müssen, der Selbstzweck von Kunst und ihrer Verortung in einer politischen Welt oder das nonchalante Zelebrieren vom Nichtstun: In den versammelten Texten der neuen Ausgabe der Literaturpause schimmern ganz unterschiedliche Aspekte der Paresse im Sinne Akermans durch – ein Film, der fast vier Jahrzehnte später immer noch mit Widerspenstigkeit besticht.

Wir wünschen eine entspannte Lektüre und Musse-getränkte Sommertage!

Sophia Fries + Robyn Muffler


 

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