Die Lust der Rache

«Von den fünf Schwestern, die auszogen, ihren Vater zu ermorden» von Melara Mvogdobo ist die ironisch bitterböse Abrechnung mit einem übergriffigen Patriarchen.

Bei den Brüdern Grimm gibt es das «Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen». Ein ähnlich sprechender Titel trägt Melara Mvogdobos Roman, doch ist die Mär, die hier erzählt wird, düsterer: Hier sind es fünf furchtlose Schwestern, die nach Kamerun aufbrechen, um sich an ihrem Vater, einem notorischen Sexualstraftäter, zu rächen.

Der Roman der gebürtigen Luzerner Autorin – eine Mischung aus modernem Märchen und derbem Schwank – hat die Form von Rollenprosa. Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht einer der fünf (Stief-)Schwestern oder von deren Müttern. Er beginnt mit Céleste. Diese ist zum ersten Mal schwanger. Für eine jahrelange Bulimikerin wie sie, gelinde gesagt, keine ideale Situation. Eines Morgens erwacht Céleste aus einem Alptraum, in dem sie sich mit einem Messer den Bauch aufschlitzt. Das letzte Bild des Traumes hängt ihr noch nach: Ihr ganzes Bett ein Meer voller Blut, darin ertrinkt das frisch geborene Kind. Die glorreiche Idee kommt Céleste noch am selben Morgen: Statt sich und ihr Kind zu gefährden, muss sie zum Ursprung ihres selbstverletzenden Verhaltens zurück und ihre Zerstörungswut gegen jenen Mann richten, der sie sowie ihre Schwestern jahrelang missbraucht und tyrannisiert hat – ihren Vater. Und wie es in Märchen eben so läuft, sind auch die Schwestern schnell überzeugt.

Hexe, Hysterikerin, Nymphomanin

Über sexuellen Missbrauch ist in jüngster Vergangenheit viel geschrieben worden. Originell ist bei Melara Mvogdobo die Form des «Racheromans» – so der Untertitel –, der die Vorurteile der seit der Antike bis heute in verschiedenen Variationen erzählten Geschichte sich rächender Frauen zitiert und humoristisch überzeichnet.

Lakonisch erzählt der Roman die verschiedenen Tötungsszenarien, die sich die Schwestern ausdenken, bevor sie nach Kamerun reisen: Sollen sie den ewigen Schwerenöter, wie in den Sonntagabendkrimis, an einen Stuhl binden und kastrieren? In ein entspannendes Fichtenbad locken, um ihn dann zu ertränken? Bei lebendigem Leib begraben? Oder doch lieber auf offener Strasse lynchen? Selbst das Bild, wie die Schwestern ihren Vater in einem Hexenkessel kochen und zu Blutwurst verarbeiten, kommt vor. Das ist häufig sehr explizit – aber eben auch sehr komisch. «Wir hatten schon immer einen makabren Humor», stellt Céleste trocken fest. «Anders hätten wir kaum überlebt.»

Mordfantasien der Schwestern literarische Karikaturen: Da gibt es die Übermutter, die Hysterikerin, die frigide Neurotikerin, die Nymphomanin und die religiöse (Schein-)Heilige. Sie alle nehmen Bezug auf stereotype Figuren, die in unserem kulturellen Imaginären und spätestens seit Sigmund Freud als weibliche Krankheitsbilder aufgrund unterdrückter Sexualtriebe zirkulieren. Entsprechend ironisch verhält sich der Roman zu psychoanalytischem Pseudowissen: Kastrationsfantasien und der Mythos der «vagina dentata», die sich eine der Schwestern von einer Fee wünscht, kommen selbstverständlich vor. Anders als bei Freud sind diese Fantasien im Roman jedoch nicht Symptome eines Penisneids, sondern entspringen der direkten und konkreten Erfahrung sexueller Gewalt. Für Freud war die weibliche Sexualität eben schon immer ein «dunkler Kontinent». Hier setzt auch eine weitere Ebene von Mvogdobos Roman an: beim Stereotyp der Schwarzen Frau, deren Körper in den Medien immer wieder exotisiert und sexualisiert dargestellt wird.

Die Lust an der Rache und ihrer Erzählung ist im Roman deutlich, ja manchmal schmerzhaft deutlich zu spüren, etwa dann, wenn Fäkalhumor und Genitalverstümmelung aufeinandertreffen.

Poetische Strategie

Fast 20 Jahre lang ruhte das Manuskript für diesen Roman in der Schublade. Lange Zeit wollte es keiner der Verlage veröffentlichen, die Melara Mvogdobo angeschrieben hatte. Zu heftig sei der Stoff, die Veröffentlichung ein zu grosses Risiko – bis Edition 8 sich des Manuskripts annahm.

Me-Too-Bewegung gebraucht hatte, um den Roman zu veröffentlichen. Vielleicht. Lohnend ist die Lektüre heute jedenfalls gerade aufgrund seiner Form. Denn der schreckliche Humor entlarvt nicht nur die alltägliche, beinahe banal gewordene Wahrheit, dass sexueller Missbrauch häufig in der eigenen Familie geschieht. Dieser Humor stellt auch eine poetische Strategie dar, mit diesem Schrecken zu leben: indem er durch Komik gebannt und dem Täter, als Karikatur, jede Macht entzogen wird.

 

Melara Mvogdobo: Von den fünf Schwestern, die auszogen, ihren Vater zu ermorden
Edition 8, 2023
208 Seiten


 

041 – Das Kulturmagazin
Oktober 10/2023

Interview: Salomé Meier

Salomé Meier ist freie Literatur- und Theaterkritikerin.

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