Die Katastrophen der Liebe

Niko Stoifberg zeigt mit seinem literarischen Debüt «Dort», dass er zu ganz grossem Storytelling fähig ist. Ein Roman über Unrecht und Schicksale, Liebe und Generationenkonflikte.

Titelbild: zVg

Storytelling nennen es die Amerikaner und lehren und lernen es auch. Es ist die Fähigkeit, eine Geschichte zu haben und diese auch erzählen zu können. Der Luzerner Niko Stoifberg, ein Anagramm, den Leserinnen und Lesern von «041 – Das Kulturmagazin» von der einzigartigen Kolumnen-Serie «Vermutungen» her bestens bekannt, hat genau das und kann genau das.

Die Grundidee ist brillant. Und alle Ideen, die sich daraus entwickeln, sind es auch. Niko Stoifberg setzt nie auf einen falschen Erzählstrang, auf eine unausgereifte Figur oder eine fehlerhafte Szenerie. Er erzählt eine aussergewöhnliche Geschichte aussergewöhnlich gut. Er tut dies mit einer Schreibe, der Präzision wichtig ist, Stil auch und Wissen. Er beherrscht jede Balance, die zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig, die zwischen dem zu Romantisch und zu Abgeklärt, die zwischen dem zu Platten und zu Exaltierten, die zwischen Traum und Fantasy. Und doch ist der Roman nie in einer Schwebe oder nie gar durchschnittlich. Er verfügt über Innerlichkeitsprosa und Action, er ist tief und zugleich ein Pageturner.

Das ist die Ausgangslage in «Dort»: Ein junger Mann möchte eine junge Frau kennenlernen. Und nimmt dafür den Tod eines Kindes in Kauf. Er stösst das Kind in den See und springt ihm sogleich hinterher, um es zu retten. Doch vergeblich, der Bub ertrinkt. Das ist nicht akribisch geplant, mehr dem Zufall, dem Moment geschuldet. Wie das Leben halt so spielt, denkt man beinahe. So kommen sich Sebi Zünd, der Gartenbauer, und Lydia Fischlin, die Food-Fotografin, näher. Zwei junge, sehr moderne Menschen. Sie stehen mittendrin, doch nicht ganz dabei. Man fühlt sich angezogen von ihnen. Und zugleich auch abgestossen. Man versteht sie. Und auch überhaupt nicht. «Sebi Zünd und Lydia Fischlin. Zwei, die es sich einfach machen.»

Es ist also ein Buch über Unrecht und Lebensfragen, über Schuld, die einen fast erdrückt. «Für etwas kämpfen», sage ich, «ist schön und gut, das lohnt sich, ja, das tut mir gut, so was zu hören, dass man sich einsetzen soll. Dass man sein Glück verfolgen darf. Die Frage ist dann höchstens noch, ob...» «Was?» «...ob man fürs eigene Glück jemand ins Unglück stürzen darf.»

Es ist auch ein Buch über die Generationen. Darüber, auf welchen Ebenen Eltern-Kinder-Konflikte ausgetragen werden, oder eben auch nicht. Abwesende Eltern, die dauernd präsent sind. «Wir haben uns nicht oft gesehen, ich und er, in letzter Zeit. Es ist nicht mehr wie früher mit ihm, seit dem Tod von Mama. All die Festtage, Familienessen, auf die ich mich immer freute, ihnen fehlt die Mitte, fehlt die Seele, könnte man fast sagen. Wenn ich jetzt den Vater treffe, ist da gleich Verlegenheit. Nicht dass er mir nicht nahestünde. Er ist mir viel ähnlicher als Mama, denkt und handelt gleich, sieht fast gleich aus wie ich, nur Jahrzehnte älter, sagen alle. Mama aber war für uns das Bindeglied, wir brauchten sie.»

Und es ist ein Buch über Geheimnisse und Abgründe.

Er habe die ganze Erzählung geträumt, hat Niko Stoifberg in einem Interview gesagt, vor 20 Jahren in einer einzigen Nacht. Ein wahrlich grossartiger Storyteller, dieser Niko Stoifberg. Se non è vero, è ben trovato, heisst’s in der italienischen Literaturschule. Aber das ist eine andere Geschichte. Auf die nächste von Niko Stoifberg warten wir schon.

Niko Stoifberg: Lesung «Dort»
DI 19. Februar, 20 Uhr
Neubad, Luzern

Niko Stoifberg: Dort. Verlag Nagel & Kimche. München, 2019. 328 Seiten, CHF 35.90.