Die Getriebene

Kunsthalle Luzern / Löwendenkmal, 30.9.2020 bis 1.10.2020: Ob zehn Tonnen Kuhmist auf dem Berner Bahnhofplatz, ein Weihnachtsbaum aus Blutbeuteln oder spazieren mit fast 30 Kilo Blei an den Füssen – Barbara Kieners Performances sind stets extrem. Nun geht sie in Luzern über ihre eigenen Grenzen hinaus.

Bilder: Sarah Michel

«Das Schlimmste wäre ein Gewitter!», bekennt Barbara Kiener. Fast erstaunlich, denn eigentlich liebt die politische Performancekünstlerin Extremsituationen. Ab dem kommenden Mittwochmorgen wird sie 24 Stunden auf einem selbstgebauten Floss vor dem Löwendenkmal in Luzern verbringen. Ohne Essen, ohne Beschäftigung, ohne Dach über dem Kopf. Treibend auf dem Wasser. Warum tut sie sich das an?

Ein Gespräch soll da Klarheit schaffen. Wir beginnen mit zehn Minuten Verspätung, Kiener musste noch den Weiher beim Löwendenkmal ausmessen.

 

Barbara Kiener, sind Sie gestresst?

Barbara Kiener: Nein, jetzt bin ich ja hier! (lacht etwas gestresst)

Das trifft sich gut, ich habe nämlich viele Fragen. Etwa: Wie in aller Welt kamen Sie auf diese verrückte Idee?

B. K.: So wie ich eigentlich immer auf Ideen komme. Es war ein Geistesblitz. Als mich die Kuratorin der Kunsthalle Luzern eingeladen hat, beim Projekt «Löwendekmal 21» mitzutun, sah ich mir das Löwendenkmal an. Da hat’s mich gepackt. Ich konnte mich nicht mehr lösen vom Gedanken einer 24-Stunden-Performance, treibend auf einem selbstgebauten Floss. Für mich ist klar: Ich will an meine Grenzen gehen und sogar darüber hinaus.

«Für Flüchtlinge baut niemand ein Denkmal.»

Barbara Kiener

Damit thematisieren Sie die Flüchtlingskrise. Was hat diese mit dem Löwendenkmal zu tun?

B. K.: Die Gemeinsamkeit ist der Krieg und seine Folgen, wie etwa die Thematik des Vertrieben werdens. Die Schweizer Gardisten führten ja auch nicht einfach Krieg aus Leidenschaft. Sie mussten ihr Geld mit dem Söldnertum verdienen und wollten sich ihre Freiheit erarbeiten, um später einmal zu Hause in Frieden und nicht in Not zu leben. Auch Flüchtlinge verlassen ihr Land nicht freiwillig. Nur baut für Flüchtlinge niemand ein Denkmal.

Was bringt Ihre Performance den geflüchteten und immer noch flüchtenden Menschen?

B. K.: Wenig. Aus einer Handlungsperspektive heraus: Gar nichts. (Seufzt.) Das einzige, was ich mit meiner Performance beitragen kann, ist eine Sensibilisierung der Gesellschaft.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

#stillworking #barbarakiener #soloexhibition „imagination is reality“ @damihigallery #opentoday 11am-5pm

Ein Beitrag geteilt von Barbara Kiener (@barbarakiener) am

 

Gäbe es denn keinen einfacheren Weg auf dieses Thema aufmerksam zu machen, als 24 Stunden ohne Essen auf einem Floss zu treiben?

«Eine Performance ist für mich weniger stark im Ausdruck, wenn ich nicht dabei leide oder Grenzen auslote.»

Barbara Kiener

B. K.: Natürlich gibt es den, aber das ist nicht mein Weg. Mein Weg besteht darin, in extremen Situationen Themen zu verarbeiten, die mich beschäftigen. Durch meine Performance will ich erlebbar machen, wie es sein muss, auf dem Meer zu treiben, nur das Nötigste dabei zu haben und auf Hilfe zu hoffen. Das ist viel extremer als alles, was wir uns vorstellen können.

Woher kommt diese Tendenz zum Extremen? Weshalb sind Extreme überhaupt notwendig?

B. K.: Das kann ich nicht beantworten. Was ich sagen kann: Eine Performance ist für mich weniger stark im Ausdruck, wenn ich nicht dabei leide oder Grenzen auslote.

Barbara Kiener: Löwenritt

Muss Kunst denn immer politisch sein?

B. K.: Ich arbeite sehr politisch. Meine Kunst braucht einfach eine politische Aussage, alles andere interessiert mich nicht. Ich kann jedoch nachvollziehen, wenn jemand Kunst ohne politischen Inhalt macht.

Was wäre das Schlimmste, das in diesen 24 Stunden passieren könnte?

B. K.: Das Schlimmste wäre ein Gewitter, das den Abbruch der Performance zur Folge hätte. Sonst kann ich mir nichts Schlimmes vorstellen. Dass jemand kommt und mit Tomaten wirft vielleicht.

Bei Regen machen Sie aber weiter.

B. K.: Ja. Vorhin, als ich beim Weiher war, herrschte Nieselregen. Da dachte ich: Das wäre eigentlich auch schön! Es würde vielleicht sogar noch die Symbolik verstärken.

Welche Kleidung werden Sie tragen?

B. K.: Farblich habe ich mir da schon Gedanken gemacht.

Und wettertechnisch?

B. K.: (schmunzelt) Ich werde sicher nicht nackt oder im Badekleid daliegen.

«Ich habe einen sehr starken Willen.»

Barbara Kiener

Das wäre sicher zu kalt.

B. K.: Ja, es wird sowieso sehr kalt sein, egal mit welchen Kleidern. Vor allem in der Nacht.

Vielleicht hilft Bewegung?

B. K.: Ich hab’ nicht vor, mich viel zu bewegen. Mein Ziel ist es, möglichst lange in der Löwenpose dazuliegen. Die schwimmende Konstruktion ist ja selbst stets leicht in Bewegung, grosse Bewegungen meinerseits sind nicht möglich.

Wie werden Sie die Löwenpose umsetzten?

B. K.: Wie der Löwe des Denkmals werde ich auf der Seite liegen, die Arme verschränkt unter dem Kopf. Und die Beine auch verschränkt.

 

 

Mal ganz ehrlich: Stehen Sie die 24 Stunden durch?

B. K.: Ja. Ich habe einen sehr starken Willen und bin sowohl körperlich, als auch mental gut vorbereitet. Langsam hab’ ich zwar auch Bammel ... Ich denke manchmal: Was habe ich mir da schon wieder angelacht?

Werden Sie schlafen?

B. K.: Ich zwinge mich nicht, wachzubleiben. Die Frage ist nur, ob es sich auf dem schaukelnden Floss überhaupt schlafen lässt.

Wie sieht es mit Verpflegung aus?

B. K.: Keine Nahrung, nur Wasser werde ich mitnehmen, für den Notfall.

Kein Essen, wenig Schlaf und auch keine anderen Hilfsmittel also. Haben Sie da eine Beschäftigung im Hinterkopf?

B. K.: Nein. Ich werde während diesen langen Stunden aber sicher sehr fokussiert und konzentriert sein.

Löwenritt
MI 30. September, 9 Uhr bis DO 1. November, 9 Uhr
Löwendenkmal, Luzern

Im Rahmen der Ausstellung:
Die Dunkle Seite Des Löwen
Bis SO 13. Dezember
Kunsthalle Luzern