Die Frau muss sterben

Und wieder wird ein Frauenschlächter inszeniert. In «Herzog Blaubarts Burg» jedoch mit dezidiertem Blick auf die Reproduktion von Bildern, die Gewalt an Frauen zeigen, und subtilen Kniffen, die das Publikum zu potenziellen Mittäter:innen machen. Die Oper ist bis Anfang Dezember im Luzerner Theater zu sehen.

Als wir unsere Sitzplätze im Luzerner Theater einnehmen, läuft die Oper bereits. Eine Frau liegt scheinbar leblos auf einem Sockel, so platziert, dass man direkt in ihr Dekolleté blicken kann. Dabei schleicht Blaubart um sie herum, küsst sie, fasst sie an, mal grob, mal sanft. Männlicher Voyeurismus wird hier abermals besichtigt und entblösst. Noch lebt Judith und verlangt von Blaubart, dass er auch die siebte Tür öffnet. Hinter dieser letzten verbergen sich seine verflossenen Frauen, die als konservierte Potenzinsignien zu einer perversen Vorführung Blaubarts herhalten müssen. Nach einer Viertelstunde wird Judith mit dem Schwert der hübsche Nacken durchbohrt. Vor unser aller Augen. So weit, so drastisch. Und wir klatschen.

Wiederholte Erniedrigung 

Nach einem gesprochenen Prolog der Hauptdarstellerin, die sich aus dem Publikum erhebt und sich an einzelne Zuschauer:innen wendet, beginnt die Oper von vorne, mit einer neuen Judith (Solenn’ Lavanant Linke). Diese macht sich auf, Blaubart in seine Burg zu folgen und sich von dem zu überzeugen, was man schon weiss. Als sich der Vorhang also wieder öffnet, kennt man den Tatort bereits und sieht einer Frau dabei zu, wie sie sich in ihren sicheren Tod stürzt. Oder nicht?

Geschickt greift die Inszenierung auf das Motiv der Wiederholung zurück – sowohl dramaturgisch wie auch musikalisch. Dies etwa durch sich wiederholende Intervalle von fies klingenden Halbtönen. Die Oper «Herzog Blaubarts Burg» zeigt damit nicht nur die Figur Blaubart als Wiederholungstäter, sondern auch das Theater als Schauplatz männlicher Gewalt. Die Regisseurin, Anika Rutkofsky, versteht hier den Blaubart-Kosmos als System, das alltägliche und «wiederholte Erniedrigung und Entmündigung» von Frauen akzeptiert und deckt: «Und wir schauen zu. Offenen Auges und doch blind», schreibt die Regisseurin im Programmheft.

«Weil ich dich liebe»

Wer nun ein moralisierendes Lehrstück vermutet, wird enttäuscht. Solche Bezüge bleiben subtil, die Meta-Ebene wirkt hier weder verkrampft noch überstrapaziert, und Ambivalenzen werden offengelassen. Warum nur, fragt man sich immer wieder, folgt hier eine Frau einem, von dem sie weiss, dass er ihren Tod will? Und was soll das Ganze bitte mit Liebe zu tun haben?

 

«Gib mir die Schlüssel!»
«Warum?»
«Weil ich dich liebe.»

 

Von alleine erklärt sich das nicht und es sind eben solche offengelassenen Fragen wie auch das Aufeinanderprallen von männlicher und weiblicher Begierde, die den Stoff über Jahrhunderte so reizvoll machen. Von Lust und Angst, über Wissensdrang und Verdrängung, bis hin zu Sex, Todestrieb und Fetisch.  

Während die erste literarische Fassung des französischen Dichters Charles Perrault noch mit der Moral endet, dass weibliche «Neugier trotz all ihrer Reize» ein «flüchtiges Vergnügen» sei, das «zu viel koste», werden hier das wunderbar schlanke Libretto von Béla Balázs und die noch immer modern wirkende Komposition von Béla Bartók gewürdigt und an entscheidender Stelle subtil geändert. Mit zwei tollen Hauptdarsteller:innen, einer klugen Inszenierung und einem grossartigen Bühnenbild, das ebenfalls der Abstraktion vertraut. Dass das Orchester hier (aus Platzgründen) in reduzierter Zusammensetzung eine gekürzte Fassung von Eberhard Kloke spielt, tut dem Klang keinen Abbruch. Dennoch wünscht man solchen gelungenen Produktionen gebührend Bühne und Publikum.

Bedrohung und Fetisch

Die ermordeten, todgeweihten, sterbenden, aufgebahrten, verschleppten und verschwundenen Frauen sind überall in Kunst, Literatur und Theater vertreten. Wie die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen in ihrer Publikation «Over Her Dead Body» geschrieben hat, muss die Frau als reale oder imaginierte Bedrohung der männlichen Ordnung sterben oder zumindest zum Fetisch werden. Oft geschieht beides gleichzeitig, selbstredend mittels Gewalt und Machtmissbrauch. Entscheidend scheint nun nicht, dass solche Narrative komplett verschwinden (und damit wiederum verdrängt werden), sondern wie sie erzählt und gezeigt werden und wie man sich als Zuschauer:in zu solchen Darstellungen verhält. Bronfen plädiert in ihrer Publikation aus dem Jahr 1992 für ein Oszillieren zwischen empathischer und ästhetischer Haltung. Einer Haltung also, die einerseits mit den Frauen mitfühlt, andererseits die ästhetische Perspektive nicht vernachlässigt. Wozu sonst soll man in die Oper, wenn nicht für diese Verschränkung von Ästhetik und Pathos (und damit Empathie)? Vorhang auf mit den Worten Judiths: «Mein Wimpernvorhang ist weit geöffnet.»

 

«Herzog Blaubarts Burg»
SO 16. Oktober bis MI 7. Dezember 
Luzerner Theater

 


041 – Das Kulturmagazin Oktober 10/2022

Text: Anja Nora Schulthess

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