Der Rosengart-Komplex

Die Sammlung Rosengart feiert dieses Jahr Jubiläum. Picasso und Klee gelten nach wie vor als Kassenschlager – aber wie gut ist die Institution selbst gealtert? Eine Einordnung in den aktuellen Diskurs der Provenienzforschung – oder eher der Versuch eines Einblicks hinter die steinerne Fassade.

Braque, Léger, Picasso, Miró, Klee. Die Namen schlängeln sich in grossen Lettern entlang der Fassade der Sammlung Rosengart, die seit der Eröffnung des Museums im Jahr 2002 öffentlich zugänglich ist. Die Künstler prägten nicht nur den männlichen Kanon der Kunstgeschichte, sondern über weite Strecken auch die Sammlung. Sie beherbergt rund 300 Exponate aus der klassischen Moderne, mit einem Schwerpunkt auf Pablo Picasso und Paul Klee. Aber auch Künstler aus dem 19. Jahrhundert sind vertreten, darunter etwa Claude Monet oder Paul Cézanne.

Die Sammlung geht auf den jüdischen Kunsthändler Siegfried Rosengart zurück, der 1920 seine erste Galerie in Luzern eröffnete. Seine Tochter Angela wurde schon im Alter von 16 Jahren involviert; gemeinsam mit ihrem Vater reiste sie viel und lernte jene Künstler kennen, die später in die Sammlung eingehen sollten. Dies wird anhand verschiedener Schwarz-Weiss-Fotografien deutlich, die im Museum zu sehen sind. Nach dem Tod ihres Vaters Mitte der 1980er-Jahre übernahm Angela Rosengart schliesslich die Galerie.

Fragen nach Rekontextualisierung
Aus den erworbenen Werken wuchs nach und nach eine Sammlung heran, worauf Angela Rosengart 1992 die gleichnamige Stiftung gründete. Die darin enthaltenen Werke werden weder verkauft noch ausgeliehen. «Ich wollte, dass das Gesicht, das ich der Sammlung gegeben habe, gewahrt bleibt», sagte sie im Gespräch mit «NZZ Standpunkte» im Jahr 2008. Auch die Platzierung in den Ausstellungsräumen soll sich nicht verändern, so die Stifterin.

Wie neue Kontextualisierungen innerhalb des statisch angelegten Museums stattfinden, darüber gibt das Vermittlungsprogramm auf der Website wenig Aufschluss. In Hinblick darauf stellt sich etwa die Frage, wie heute mit einer Sammlung umzugehen ist, die stellvertretend für den westlich und männlich geprägten Kanon steht, zu dem sich jene, die als Künstlerinnen galten, stets verhalten mussten.

 

Auch die Schweiz war während des Zweiten Weltkriegs ein Umschlagplatz für gestohlene Kulturgüter. Erwähnt wird in der Studie auch die Galerie Rosengart, die am Verkauf von Raubkunst beteiligt war.

 

Auch die aktuelle Debatte um das Thema der Provenienzforschung, die etwa im Rahmen der Sammlung von Emil G. Bührle im Kunsthaus Zürich verhandelt wird, stellt die Frage einer Rekontextualisierung in den Raum. Dass sich in der Sammlung «keine fragwürdigen Stücke» befinden, sagte Angela Rosengart im Jahr 2016 gegenüber «zentralplus». Auf Anfrage, ob dies nach wie vor der aktuelle Stand sei oder ob es Berichte von externen und unabhängigen Expert:innen gäbe, entschied Angela Rosengart nach einem längeren Gespräch, ihre Aussagen zurückzuziehen. Diese Reaktion lässt vermuten, dass es sich dabei um eine Selbstdeklaration handelt. Eine der wenigen Hinweise über den Bestand der Sammlung gibt das bereits erwähnte Gespräch mit «NZZ Standpunkte». Dieses lässt vermuten, dass einige Werke direkt von den Künstlern erworben wurden, darunter etwa von Picasso. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Provenienz anderer Bilder, etwa jenen aus dem 19. Jahrhundert, ebenfalls abgeklärt wurde.

Dass Fragen der Provenienz auch für die Schweiz relevant sind, verdeutlichte Thomas Buomberger in seiner Studie «Raubkunst – Kunstraub», die bereits 1998 erschien. Darin weist der Historiker darauf hin, dass sich Kunstraub nicht nur in Deutschland und den besetzen Ländern ereignete; auch die Schweiz war während des Zweiten Weltkriegs ein Umschlagplatz für gestohlene Kulturgüter. Erwähnt wird in der Studie auch die Galerie Rosengart, die am Verkauf von Raubkunst beteiligt war. Mit dem Begriff der «Raubkunst» wird auf Werke aus jüdischem Besitz verwiesen, die während der NS-Zeit konfisziert wurden oder aus behördlichem Zwang verkauft werden mussten. Wird festgestellt, dass eine Zwangslage der Verkäufer:innen ausgenutzt wurde oder der Preis weit unter dem Marktwert lag, gilt das Werk als restitutionswürdig. Allerdings kommt es hier auf die Prüfung des einzelnen Falles an. Die international gebräuchliche Definition, die Raub- und Fluchtkunst umfasst, lautet «NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut».

 

Die Anfrage, ob die Bestände der Sammlung Rosengart dennoch offengelegt werden könnten, um mehr Transparenz zu schaffen, lässt Angela Rosengart unkommentiert. 

 

Raubkunst in Luzern?
In seiner Studie erwähnt Thomas Buomberger unter anderem «Nature morte à la corbeille de fruits» (1927) von Georges Braque als Beispiel von Raubkunst. Das Bild gehörte dem jüdischen Sammler Alphonse Kann und wurde 1940 durch den Einsatzstab des Reichsleiters Alfred Rosenberg konfisziert. Danach erwarb es der Luzerner Auktionator und Kunsthändler Theodor Fischer für 4000 Franken, bot es 1942 für 12 000 Franken dem Basler Kunsthändler Willi Raeber an, der es einen Monat später für 15 000 Franken Siegfried Rosengart gab. Dieser verkaufte es anschliessend für 18 400 Franken an eine Privatperson. 1949 wurde das Bild dem Estate von Alphonse Kann in London restituiert. «Viele Raubbilder haben etliche Male die Besitzer:innen gewechselt, woran die involvierten Kunsthändler:innen verdient haben», sagt Thomas Buomberger. «Es stellt sich die Frage, wie die Sammlung heute damit umgeht, dass Siegfried Rosengart von solchen Verkäufen bewusst oder unbewusst profitierte.»

Dass in der Schweiz zu Unrecht entwendete Kulturgüter zirkulierten, verdeutlicht auch die Auktion, die 1939 in Luzern stattfand. Dort versteigerte Theodor Fischer insgesamt 125 Werke aus deutschen Museen, die als «entartete Kunst» bezeichnet wurden. Den Auftrag, die Werke zu verkaufen, hatte er von der deutschen Verwertungskommission erhalten.

(Un)verantwortungsvoller Umgang
Dass auch Schweizer Institutionen ethisch in der Verpflichtung stehen, aktiv Provenienzforschung zu fördern und allfällige Restitutionen in die Wege zu leiten, wurde in den «Washington Principles» von 1998 festgelegt. Diese wurden von 44 Ländern unterzeichnet, darunter von der Schweiz. Allerdings sind private Sammlungen rechtlich davon ausgenommen.

Die Frage, ob die Bestände der Sammlung Rosengart dennoch offengelegt werden könnten, um mehr Transparenz zu schaffen, lässt Angela Rosengart unkommentiert. Dieser Reaktion steht Thomas Buomberger kritisch gegenüber, schliesslich gäbe es viele Dokumente, die Aufschluss über die Sammlung geben würden. «Das Archiv war immer das Kapital von Kunsthändler:innen. Es gab nicht nur Auskunft über Transaktionen, sondern auch über die Vorlieben der jeweiligen Kund:innen.»

Das Gespräch mit Angela Rosengart wurde am 13. Januar 2022 in Luzern geführt. Danach entschied sich die Stifterin, ihre Aussagen zurückzuziehen. Die Korrespondenz liegt der Redaktion vor. Und so stellt sich die Frage: Braucht es nicht mehr, um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte zu finden? Diese Verantwortung liegt nicht zuletzt bei Stadt und Kanton, die das Museum finanzieren. Wie hoch die Subventionen proportional zu den restlichen Einnahmen sind, darüber gab die Sammlung Rosengart keine Auskunft. Sollten diese einen substanziellen Beitrag ausmachen, müsste die Institution als öffentliches Museum bezeichnet werden, das den «Washington Principles» unterliegt.


Text: Giulia Bernardi
Bild: zVg

041 – Das Kulturmagazin im Februar 02/2022.

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