Der Mann im Spiegel

PlattenWechsler: Am 14. März fand in der Luzerner Schüür nicht die Plattentaufe von Mimiks’ Ende Januar erschienenem Album «Für immer niemer» statt. Der Grund dafür ist bekannt. In Zeiten der sozialen Distanzierung sind Musikalben ein Kulturgut der Stunde – und entsprechend gibt es hier eine Album- statt Konzert-Besprechung.

Bilder: zVg

Am Freitag, dem 13. März, wachte ich im Glauben auf, dass ich am nächsten Tag an eine Plattentaufe gehen werde, um sie zu rezensieren. Gegen Abend waren dann die neusten Bundesratsbeschlüsse im ganzen Land bekannt. Zum Beispiel keine Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen. Wir und unsere Politik reagieren (vielleicht zu wenig) rasant auf die Entwicklungen, Tag für Tag neue Meldungen. Mimiks’ Album wurde in einer Welt vor Covid-19 getextet. Wenn die Tracks des Luzerner Rappers ein Politikum aufgreifen, dann vor allem den Klimawandel. Und damit komme ich zum Hauptpunkt meiner Rezension: Sollten wir die Seuche überleben, lasst uns währenddessen äusserst aufmerksam beobachten, zu wieviel wir und unsere Politik fähig sind, und es als Lehrstück nehmen. Denn der Klimawandel bedroht unser Leben ebenso, nur hat die Welt Fieber.

Einatmen. Ausatmen. Das letzte Album von Mimiks erschien 2017, im selben Jahr folgten noch zwei Singles. Dann Ruhe. 2018 beim Virus Bounce Cypher erstmals kein Auftritt. Im April 2019 dann das Comeback im Lyrics TV mit «A-Team». Und im August schliesslich die erste Promo-Videoauskopplung für das Album, der titelgebende Track mit dem covergebenden Clip.

«Für immer niemer» (der Track & der Film) wird seinen festen Platz in der Geschichte des CH-Rap einnehmen. Der Acht-Minuten-Song trägt das ganze Album. Die übrigen 11 Tracks fühlen sich wie Fussnoten dazu an. Auf witzige Punchlines, doppelbödige Wortspiele und Flow-Eskapaden wird verzichtet. Es ist die Deutschschweizer Version von Eko Freshs «700 Bars». Es ist ein geradliniges Selbst-Résumé, kunstgerecht aufgebaut in drei Akten: Zuerst das Publikum abholen in der Jetzt-Situation mit Verweisen auf die bekannte Vorgeschichte. Dann der Aufstieg. Schliesslich der zu Demut führende Fall. In der Hook die Aspiration, im Outro die Resolution.

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«Für immer niemer» (das Album) hört sich thematisch nach Recycling an. Die Sprache von Mimiks kommt gezähmt, vereinfacht daher. Umso mehr ist die Musikalität gewachsen. Die Stücke sind rund, geschmeidig, das Album insgesamt kann zum Beispiel ein ausgewogener, kompakter Beleber während einer Tagesaktivität sein.

«41» eröffnet mit Bläsern, die 20st-Century-Fox-Stimmung aufkommen lassen (das Album als grosser Unterhaltungsfilm). «41» gehört zusammen mit «Kei VIP», «Mach ned so» und «David Bowie Iced Out» zum ‹Draussen mit den Jungs›- und ‹Von unten aus nichts was gemacht›-Sagenkreis. «Oh Mama» passt hier als Anti-Coming-of-Age-Hymne ebenfalls dazu. «Blauliecht», «Nordpol», «RIP», «Wiit wäg» und «J & B» richten sich alle in verschiedenen Variationen an ein Du. Die treibenden Kräfte sind Unnahbarkeit, Unrast und Loslassen.

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Der beste Track unter den Fussnoten ist «Chrone». Ein Generationenportrait für uns 90s-Kids aus der Unter- und unteren Mittelschicht. Sandkasten-Nostalgie, Elternscheidung, Geldprobleme und die NATO-Bomben flackern wieder im Bildschirm auf: «nochbere alli vo onde / grosses härz aber grosse chommer / wöll de färnseh bi ene zäigt üs de chrieg / näi käis gäld öberdeckt die wonde / mer hend zämeghebt egal wer vo wo esch / alli gliich egal wer vo wo esch». Gleichzeitig ist die titelgebende Krone für einmal nicht Attribut eines Rap-Königs, sondern in eine Baum-Metapher für persönliches Wachstum integriert.

Wenn man wie Mimiks auf unzählige eigene Rap-Texte zurückgreifen kann, bieten sich viele Querverweise an. Sein neues Album ist nicht nur in sich gut verdichtet, es fügt sich trotz neuerdings Major-Deal auch konsistent an das bisherige Schaffen an. Mimiks bleibt authentisch, das heisst im HipHop-Jargon: real. Da ist zum Beispiel der David-Bowie-Komplex. Wiederholt taucht in Mimiks’ Texten die Tatsache auf, dass sein Zweitalbum es wegen Bowies «Blackstar» nicht auf Platz 1 der Charts schaffte («wiiter obe ide charts isch nur en rockstar-liich»). In «Chrone» finden wir heraus, dass seine Mutter zuhause Bowie hörte. Das Albumcover ist eine Homage an «Blackstar». In der Tracklist ist «David Bowie Iced Out». Sieht sich Mimiks mit der Kernmessage «Für immer niemer» als Antiteilchen des Weltstars? (Das hier besprochene Album wurde in der Einstiegswoche übrigens von Eminem auf Platz 2 verdrängt – man darf sich auf neue Referenzen freuen.)

Eine andere Konstante ist der Mensch im Spiegel. 2016 rappte Mimiks auf «Westcoast»: «säg wo wetsch du hi? / ond wenn du’s weisch denn hesch jetzt no ziit / ond i paar johr gsesch / en alte maa luegt i spiegel ond chillt / luegt i spiegel ond macht s’westcoast zeiche». Die Zwischenbilanz kommt vier Jahre später in dem Track, der ein Album bedeutet:

wöll mitem strebe nach no meh wird mini seele ned frei
säg was bruch ich zum glücklich wärde?
isch es für anderi öpper si oder de frede met mer sälber?
keis hus, kei charre, kei gold
kei usverchaufti halle deför bhalt ich min stolz
baby ich bi cool mit dem typ wo ich gseh im spiegel
ey de simmer halt für immer niemer