Der letzte Mohikaner

Luzerner Theater, Samstag, 7.12.2013; In der Luzerner Inszenierung «Der gute Mensch von Sezuan» will man sich die Finger nicht verbrennen. Nah an der Vorlage wirkt die Aufführung steril, so etwas wie Dringlichkeit und Brisanz vermitteln nur die Schauspieler.

(Bilder Ingo Höhn)

Die Uraufführung dieses Parabelstücks fand in der Oase Schweiz am Schauspielhaus in Zürich während der Schrecken des Zweiten Weltkrieges statt. In einer Zeit, da sich die Frage nach «gut» und «böse» in radikalster Weise stellte. Und bekanntlich drängt sich Bertolt Brecht mit seiner geballten Wirkungsmacht auch auf, dem Zuschauer, dem Schauspieler und dem Regisseur. Die Appelle von Brecht werden alles andere als subtil vermittelt: Auch wenn auf dem Parabelstück «Versuch» draufsteht, eine bestimmte Konstellation aus «der Wirklichkeit» vorgeführt wird und dem Zuschauer zum Vergleich und Nachvollzug gereicht wird, lässt «der Versuch» nur einen Schluss zu: Mit naturwissenschaftlicher Präzision lässt sich aus der gesellschaftlichen Realität das Bewusstsein, die Gesinnung ableiten.

In Sezuan – Platzhalter für die ganze Welt – steht es nicht zum Besten. Den drei Göttern (von Mundart sprechenden Laienschauspielern dargestellt), die irgendwo zwischen durchschnittlichem Theaterbesucher und KMU-Verwaltungsrat angesiedelt sind und damit offenbar so etwas wie den Typus der Schweizer Elite repräsentieren, offenbart sich auf ihrer Expedition eine korrumpierte Gesellschaft. Der Wasserverkäufer Wang, der vom viel versprechenden, neuen Ensemblemitglied Clemens Maria Riegler gemimt wird, erntet von seinen Mitmenschen nur Hohn und Spott auf der Suche nach einem guten Menschen, welcher den Göttern ein Nachtlager bieten sollte. Endlich Shen Te (Daniela Britt), eine Prostituierte, gewährt den Göttern Unterschlupf. Als Dank für ihre Gastlichkeit erhält Shen Te von den Göttern eine grössere Summe Geld. Mit dieser ironischen Deus ex Machina fängt das Unheil erst an: Brecht exerziert ein System durch, welches das Schlechteste im Menschen zum Vorschein bringt. Das gesamte Bühnenpersonal ist wirtschaftlich miteinander verflochten; Betrug, Rache und Gemeinheit stehen auf der Tagesordnung. In diesem an Sodom und Gomorra angelehnten Stück betreffen die Klagen nicht die Sündhaftigkeit der Menschen, sondern eine Welt, die Güte nicht zulässt. Immer wieder klagen die Protagonisten ihr Leid in den für Brecht typischen Liedern. Leider scheint der Gesang nicht die Stärke des Luzerner Ensembles zu sein, immer wieder schrammt es knapp am akustischen Unverständnis vorbei; erschwerend kommt hinzu, dass die Musik (Martin Baumgartner) die Akteure teilweise zu Statisten verkommen lässt. So wie die gelungene Bühne von Max Wehberg, die aus einem übergrossen Plastikteppich besteht, den Schauspielern oft wie Kaugummi an den Schuhen haften bleibt, so klebt die Inszenierung von Andreas Herrmann an der übermächtigen Vorlage. Leuchtende Momente beschert dem Publikum der hervorragende Christian Baus. Drei Rollen hat er zu meistern und füllt diese brillant mit seiner unverwechselbaren Art aus heiligem Ernst und ungezwungener Komik aus. Wenn Wang sich am Ende verzweifelt ans Publikum wendet und auf einem guten Schluss insistiert, dann spricht Brecht noch einmal als letzter Mohikaner zum Publikum.