Der Improvisation ist es egal, wie viele zuhören

«Dogma Jazz» meint nichts Engstirniges: Freiheit ist angesagt, mit wechselnden Mitgliedern. Manchmal funktioniert es, manchmal funktioniert es nicht. Gestern Abend war Auftakt der neuen Konzertreihe «Dogma Jazz» in der Zwischenbühne Horw. Ein Quartett, das sich jedes Mal verändert. Am Donnerstag improvisierten zwei Saxofonisten und zwei Bassisten. Tönt schwierig. Klang gut.

Wie es «Dogma Jazz» will, mutiert die Band mit jedem Konzert. An Neujahr war die Band Veto von Christophe Erb (Tenorsax, Bassklarinette) in Originalbesetzung aufgetreten. Am Donnerstag in Horw fehlte Schlagzeuger Julian Sartorius; für ihn war  Kontrabassist Christian Weber in der Band. Weber und Kontrabassist André Pousaz bildeten eine Achse, die zwei Saxofonisten Christoph Erb und Achim Escher die andere. Das Quartett spielte mitten im Raum. Auf Ohrenhöhe mit dem gigantischen Mikro-Publikum: Sechs Besucher (plus fünf Leute vom Team Zwischenbühne). Das gut 70-minütige Set war eine einzige Improvisation. Sie zog nicht unbedingt eine übergreifende Tiefenspur, sondern entfaltete sich in einzelnen Bögen, die mehr und weniger nahtlos zusammengehängt wurden. Möglichkeiten und Mannigfaltigkeiten wurden angetippt, ausprobiert, durchgespielt. Es war ein Mosaik aus einzelnen Etappen, aber es funkelte gut. Bassist Christian Weber, neu im Projekt, brachte die rauen und jähen Impulse ins Spiel. Bassist André Pousaz bewegte sich in den klassisch-jazzigen Roots. Der sanft eigenbrötlerisch eingeklinkte Achim Escher und der zurückhaltende Christoph Erb bildeten ihrerseits eine Spannungs-Diagonale im Saxofongebiet. Escher spielte permanent, was manchmal zuviel ist. Aber es war nicht banal oder langweilig. Vornübergebeugt auf dem Stuhl kickte er sein Horn durch ein paar wunderbare Einfälle. Die Chemie der verschiedenen Spielweisen generierte ein Spektrum von Mutationen. Befreiende Plateaus wurden erreicht, kammermusikalische Seelengebiete durchwandert. Die beiden Kontrabässe fanden sich zu flinken Walking-Grooves, atmosphärische Klanggebiete wurden mit störrischen Eingriffen gekreuzt, Weber lockerte eine Basssaite und liess sie im repetitiven Groove minutenlang scheppern, Erb suchte die Gegenmelodien, Pousaz eröffnete eine gestrichene Sequenz, Escher blies sein Horn.

Die Nähe zu den Instrumentalisten, wie sie das Konzert bot, ist im Stadion-Zeitalter geradezu exotisch. Und ein Geschenk. Ungestört von Publikumsmassen lässt sich verfolgen, wie sich die musikalischen Fäden spinnen, wie plötzlich etwas erwacht, berührt, sich wandelt, und in der Veränderung noch stärker wird. Die Neugier kann jeden Moment gestillt werden. Das ist das Einfache an der improvisierten Musik. Musiker und Zuhörer sind auf dem gleichen Level der Präsenz, es gibt keinen Vortrag in Songs, der Erwartungen erfüllt. Warum zum Teufel stellen sich immer noch viele Leute solche Musik als schwierig vor? Es muss ein Missverständnis sein, das vor den Rock'n'Roll zurück geht. Die Musiker liessen sich nicht beirren. Sie spielten und zogen den Trip durch. Auch sechs BesucherInnen können nicht irren. Wir haben sie gefragt, warum sie glauben, dass kaum ein Mensch das Konzert sehen wollten. Beni: «Keine Ahnung. Unverständlich.» Rita: «Ich kann es nicht nachvollziehen.» Jörg: «Horw ist eben Provinz. Zu weit von Luzern.» Christiane: «Jazz ist immer noch eine Insider-Geschichte. Nicht massentauglich.» Christian: «Kinder würden kommen. Kinder sind offen.» Pirmin: (macht Notizen). Daraus folgen die sechs edlen Wahrheiten: 1) Jazz ist nicht tot. Jazz lebt noch knapp. 2) Jazz braucht keine Blutauffrischung, nur mehr Publikum. 3) Improvisierte Musik ist auch dann gut, wenn sie nicht in der Hitparade ist. 4) Kein Schwein interessiert sich für improvisierte Musik. 5) Der Improvisation ist es egal, wie viele zuhören. 6) Dem Veranstalter nicht. An der Zwischenbühne-Bar wurde in lockerer Runde befunden, man könnte «Dogma Jazz» zu Dog Jazz reduzieren lassen, um endlich ein grösseres Publikum zu gewinnen. Alle die kommen, nehmen ihren Hund mit. Wie das Mike Müller macht, mit seinen Hunde-Geschichten im Theater. Es wäre einfach eine Hunde-Meeting mit improvisierter Musik. Es hätte Erfolg. Auch die Hunde würden sich sehr freuen.

Das nächste Konzert von «Dogma Jazz» findet am Donnerstag, 12. März, 20.30 Uhr in der Zwischenbühne Horw statt. Saxofonist Achim Escher scheidet aus, für ihn kommt Martin Baumgarner (electronics) in die Band.