Der Friede in der Einsamkeit

Luzerner Theater, 23.01.2020: Der verbindenden Welt von Social Media und Internet stellt Giacomo Veronesi eine Performance über das Alleinsein gegenüber. Dabei werden intime Geschichten erzählt und eigene Realitäten hinterfragt.

Bilder: Ingo Hoehn

Am Anfang des Stücks «Solitude» im Luzerner Theater steht eine Geschichte, die Regisseur Giacomo Veronesi selbst erlebte. Sie handelt von einem jungen Erwachsenen, der seine Heimat verlässt und nach Brasilien aufbricht. Auf Facebook verfolgen die Daheimgebliebenen, wie er sich in der Ferne ein neues Leben aufbaut. Zehn Jahre später jedoch entdecken seine Jugendfreunde, dass er sein Elternhaus nie verlassen hat.

«Innerlichkeit wird ersetzt durch Sichtbarkeit: Ich werde gesehen, also bin ich.»

Giacomo Veronesi

Hier dockt «Solitude» an. Die auf der Bühne stehenden Performer*innen Sammy Van den Heuvel, Camilla Parini und Schauspieler André Willmund stellen tiefgreifende Fragen nach Realität in Zeiten von Internet und Social Media. So eröffnen sich philosophische Reflexionsräume.

Die Kunst der Einsamkeit

Denn Realität, so Veronesi an der Premiere, finde immer weniger in unserem Innern statt: «Innerlichkeit wird ersetzt durch Sichtbarkeit: Ich werde gesehen, also bin ich.» Höchst selten entziehen wir uns der ständigen Vernetzung, dem kollektiven Raum und widmen uns der Einsamkeit.

Solitude in der Box des Luzerner Theaters

Einsamkeit, so die Macher*innen des Stücks, sei dabei weder etwas Negatives, noch sei es einfach zu erlangen. Die Schwierigkeit der Einsamkeit bestehe darin, dass man eben gezwungen sei, sich auf sich selbst zu beziehen und in dieser Selbstbeziehung Frieden zu finden. Fehlt dieser Friede, suchen wir Ablenkung in Form von Internet oder Gesellschaft.

Das Experiment Alleinsein

«Ich habe mein Handy seit langer Zeit wieder ausgeschaltet. Und ich meine, so richtig ausgeschaltet, nicht im Flugmodus», erzählt Schauspieler André Willmund. Er selbst habe, so erläutert er auf der Bühne, das Experiment gemacht und sich in eine Airbnb-Wohnung eingeschlossen, um den Zustand der Einsamkeit zu erleben. Er erzählt von Langeweile, von einem neuen Verständnis von Zeit, von dem Bedürfnis nach Netflix, von persönlichen Erfahrungen aus seiner Kindheit, die ihn in dieser Situation heimsuchten und von Albträumen. Und er erzählt von wertvollen Einsichten, einer inneren Ruhe aber auch der schliesslich bitteren Erkenntnis, dass er nach dem Experiment wohl wieder in alte Muster fallen werde.

Solitude in der Box des Luzerner Theaters

Immer wieder vermischt sich Willmunds Isolations-Experiment mit der Geschichte des Mannes, der nur anscheinend nach Brasilien ausgewandert ist. Die besagte Person bleibt dabei namenlos. Lediglich mit der Bezeichnung «Person A» nimmt Willmund auf ihn Bezug. Wie konnte sich «A» zehn Jahre lang unentdeckt in der kleinen Stadt aufhalten? Ist er nachts im Dunkeln durch die Strassen geschlichen? Und, so Willmund weiter: «Wie viele A’s gibt es da draussen?»

Ein absurd realistisches Bühnenbild

Seine Erzählungen werden von Interaktionen beziehungsweise Performances von Camilla Parini und Sammy Van den Heuvel umrahmt. Mal stellen sie als Batman verkleidet Fragen an Willmund, mal laufen sie mit Bärenmaske rückwärts über die Bretter der zentriert im Raum aufgestellten Bühne. Die Bretter werden während der Vorstellung hin und her geschoben und offenbaren einen Zwischenraum, aus dem immer mal wieder ein Körperteil oder eine Person aufgetaucht, beziehungsweise verschwunden war.

Solitude in der Box des Luzerner Theaters

Es ist eine absurde Welt, die in «Solitude» geschaffen wird – sowohl durch die Inszenierung, als auch durch die Thematik. Doch irgendwie auch eine Welt, die nicht absurder ist als die eigene. Denn kennen wir nicht alle eine «Person A»?

Solitude
Bis 30. April
Luzerner Theater

Inszenierung: Giacomo Veronesi; Bühne und Kostüme: Sammy van den Heuvel; Choreographie: Camilla Parini; Dramaturgie: Irina Müller; Besetzung: Camilla Parini, Sammy van den Heuvel, Giacomo Veronesi, André Willmund

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