Das Wildschwein in der Rüstung

Sammeln, bewahren, erforschen, ausstellen und vermitteln – Museen habe eine ganze Reihe von Aufgaben. Für alle können interdisziplinäre Ansätze zweifellos bereichernd sein. Doch ob das als Grundkonzept für moderne Museen taugt, ist eine ganz andere Frage.

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Wenn man endlich wieder reisen können wird: Fahren Sie nach Wien und gehen Sie ins 1889 gegründete Naturhistorische Museum. Dort können Sie sich anschauen, wie man damals Museen konzipiert hat: Auf Vollständigkeit ausgelegte Sammlungen, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sauber sortiert und beschriftet. Das alles ist bis heute in faszinierend schön gearbeiteten Vitrinen versorgt. In Luzern hingegen diskutieren wir dieser Tage über das Museum der Zukunft. Die gegenwärtig zwei kantonalen Museen – eines für Geschichte, eines für Natur, beide in der Kantonshauptstadt beheimatet – sollen zusammengelegt werden zum Luzerner Museum für Natur, Geschichte und Gesellschaft – so der Arbeitstitel. Dafür ist eine Änderung des Kulturförderungsgesetzes erforderlich. Angepasst werden soll der Artikel, der zwei Museen vorsieht, so dass künftig nur noch der gesetzliche Auftrag für die Führung einer Institution besteht. Bis Ende April läuft nun noch die Vernehmlassung.

Der Zusammenschluss der Museen, schreibt das Luzerner Bildungs- und Kulturdepartement, folge «der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung, Phänomene und Probleme nicht mehr nur aus der Perspektive einer einzigen Disziplin anzuschauen, sondern sie ganzheitlich und multidisziplinär erfahrbar zu machen». Deshalb soll die Institution – das ist der Stand, der in den Erläuterungen zum Vernehmlassungsentwurf aufnotiert ist – künftig einerseits eine «Dauerausstellung mit einzeln austauschbaren Elementen» bieten, die sich «mit der grundlegenden Entwicklung des Kantons Luzern beschäftigt» und wo «Natur und Geschichte miteinander verwoben» sind. In Sonderausstellungen soll es anderseits in die Tiefe gehen, dort ist dann auch die Möglichkeit gegeben, einen «historischen oder einen Natur-Schwerpunkt» zu setzten.

Zeitgemässe Lernorte schaffen

Das neue Museum soll zudem auch der in der Museumswelt ganz grundsätzlich beobachtbaren Entwicklung folgen, die der Vermittlung wachsende Bedeutung zuschreibt und innovative Werkzeuge dafür einsetzt. Ein gutes Museum schreibt seine Objekte also nicht mehr bloss an (so wie vor hundert Jahren in Wien), sondern stellt sie in einen Kontext, der ihre Bedeutung verständlich macht. Es erschliesst Ausstellungen mit Audio-Guides und leibhaftigen Führungen, mit auf Kinder zugeschnittenen Programmen, mit Vorträgen, Publikationen – nun, allem Denkbaren eigentlich, das dem Ziel dient, das Museum zu einem Ort des Lernens für die breite Bevölkerung zu machen anstatt bloss einer Sammlung von Objekten für Expertinnen.

Sammlungen auch interdisziplinär zu vermitteln – das klingt überzeugend. Denn der Trend, Wissen zu vermitteln und dabei mehr als die Perspektive eines einzelnen Fachbereichs miteinzubeziehen, ist zweifellos gegeben und vermag tatsächlich Spannendes aufzuzeigen. Doch gleichzeitig gibt es auch eine gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklung die dahin geht, dass für die Erforschung von Phänomenen und die Lösung von Problemen immer stärker spezialisierte Expertinnen und Experten verantwortlich sind.

Um diese einer Wildsau gleich durch den Kanton tobende Sparschweinerei zu zähmen, kann man sie durchaus in die Rüstung von Konzepten verpacken.

Ein Beispiel: Konnte man das Fächerangebot an einer Universität vor hundert Jahren noch an zwei Händen abzählen, sind es heute selbst an einer kleinen Universität wie der hiesigen mehrere Dutzend. Davon ist in den Erläuterungen allerdings nichts zu lesen. Das erstaunt. Denn mit Blick auf das fachgerechte Sammeln und Beforschen der Objekte wäre es wichtig, auch diese Entwicklung im Auge zu behalten. Das mag widersprüchlich klingen und das ist es auch, aber so ist eben auch unsere Gesellschaft: geprägt von wachsendem Wissen, komplexen Zusammenhängen, Widersprüchen. Und dem sollten Museen der Zukunft Rechnung tragen.

Sparschweinerei zähmen

Ob die Zusammenlegung das tut, das tun kann? Auch auf diese Frage gibt es wohl keine einfachen Antworten. Fakt ist allerdings, dass der Auslöser für die vorgeschlagene Gesetzesänderung nicht elaborierte Überlegungen dazu waren, wie Museen den Herausforderungen unserer Zeit begegnen sollen, sondern die Organisationsentwicklung OE17. Diese soll mit über 100 Massnahmen pro Jahr 40 Millionen Franken im Kanton Luzern einsparen.

Um diese einer Wildsau gleich durch den Kanton tobende Sparschweinerei zu zähmen, kann man sie durchaus in die Rüstung von Konzepten verpacken. Und diese können – das streitet niemand ab – tatsächlich klug und zukunftsweisend sein. Doch die Konzepte wie auch ganz grundsätzlich das Zusammengehen der beiden Häuser sollten in erster Linie der Bevölkerung dienen, die zeitgemässe Museen braucht als Orte der Bildung und der Diskurse. Und nicht den Bemühungen Geld dort einzusparen, wo es um das Verständnis unserer Vergangenheit und unserer Umwelt geht und damit der Basis für Entscheidungen, die unsere Zukunft prägen.