«Das schöne Leben muss man bezahlen.»

Luzerner Theater, Samstag, 11. Mai 2013; Barbara-David Brüesch ist im Theater an der Reuss keine Unbekannte. Mit «Schuld und Sühne» inszenierte sie vor drei Jahren einen der besten Abende, die das Haus in der letzten Zeit gesehen hatte. Am Samstag brachte Brüesch «Diebe» von Dea Loher zur Erstaufführung auf einer Schweizer Bühne.

(Bilder Tanja Dorendorf)

Indes konnte Barbara-David Brüesch die Theaterproduktion nicht bis zur Premiere begleiten: Sie erkrankte in der Mitte der Probezeit. Andreas Hermann, künstlerischer Leiter des Schauspiels, ist eingesprungen und hat die von Brüesch konzipierte und angedachte Inszenierung weitest gehend übernommen. Die mise en scène bringt es fertig, das verzettelte und lose angelegte Stück Lohers zu einem Beziehungsreigen zu schnüren. Eine Leistung, ist doch die in 37 szenischen Skizzen angelegte Vorlage ein weites Einfallstor für geschwätzige Beliebigkeit. Dessen ungeachtet gehört Dea Loher in Deutschland – in der Schweiz wird sie weniger gespielt – zum guten Ton auf den grossen Bühnen. Und nun ist Loher nach der Uraufführung von «Diebe» 2010 am Deutschen Theater Berlin (Regie: Andreas Kriegenburg) in Luzern angekommen. Hier, einen Steinwurf von der Reuss entfernt, wird die Autorin in die Wüste gesetzt. Obschon die unfruchtbare, sterile und in blau-grauen Pastelltönen gehaltene Bühne (Damian Hitz) eher an den Polarkreis mahnt. Damian Hitz, der sich bei «Schuld und Sühne» selbst übertraf, ist auch bei dieser Inszenierung von Brüesch eine gewaltige Stütze und eine solide Rückversicherung. Seine Drehbühne betont durch die einzelnen Einstellungen das Fragmentarische, desgleichen aber auch die halbwegs dramaturgische Verbundenheit der einzelnen Sequenzen. Kreisförmig verbunden ist nicht nur der Bühnenaufbau, genauso ist es die Geschichte von «Diebe, die von einzelnen – vereinzelten – Schicksalen handelt. Alle sind irgendwie, mehr schlecht als recht, von einem Beziehungsnetz gestützt. Finn Tomason (Hajo Tuschy) durchbricht als einziger den Schaltkreis von Abhängigkeit und Fatalismus: Dies indessen tragisch – vom Wahnsinn sich selbst entfremdet – durch einen Selbstmord. Währenddessen sich die anderen Protagonisten sich das Leben aneignen, als ob es ihnen nicht gehöre. In dieser diebischen, selbstverschuldeten Unmündigkeit zerstören Herr und Frau Schmitt (Jürg Wisbach und Bettina Riebesel) alles was die vermeintliche Idylle gefährden kann. So wird «das Tier», Josef Erbarmen (Jörg Dathe), der doch eigentlich – nomen est omen – gnädig und erbarmend ist und fruchtbare Erde in diese kalte Einöde tragen möchte, in ehernem Gemeinschaftswerk ermordet. Der Vater von Finn, Erwin Tomason (Horst Warning), ehedem auch Versicherungskaufmann (in der Abteilung «höhere Gewalt» tätig und sein Leben lang damit beschäftigt, höhere Gewalt als menschliches Versagen zu entlarven), seine Tocher Linda (Juliane Lang) naiv fragt, ob sein Sohn durch höhere Gewalt zu Tode kam. Aber wo fängt sie an, die «höhere Gewalt», wo ist es menschliches Versagen – Diebstahl? In diesem Irrsinn bleibt niemand schuldlos zurück. Da kann Mira Halbe (Annina Machaz) noch so viel Erde fressen, sie selbst hat durch ihre Abtreibung Leben zerstört. Wenn auch an gewissen Stellen derbe Heiterkeit und warmes Licht verbreitet wird, täuscht dies nicht über die latent vorhandene Fragilität und Vereinzelung hinweg. Genauso im Visier sind die vom kapitalistischen System genährten Hoffnungen, die sich allesamt in Zigarettenrauch auflösen. Zurück bleibt ein verstörter, durch Soundsamples der 80er-Jahre atmosphärisch beklemmender Mikrokosmos, der im zweiten Teil vieles liegen lässt, was im ersten aufgenommen wurde. Es fehlt eben doch eine starke Schnur, die eine zwingende Klammer um das Ganze setzt.