The Dark Side Of Sound

Südpol, 21.02.2015: «Joyful Noise In The Dark» ist eine Grenzerfahrung. In nahezu absoluter Dunkelheit produziert ein Allstar-Ensemble Sounds, während die Zuschauer sich frei bewegen können. So ganz ohne den visuellen Wahrnehmungssinn ergab das neue, ungemein spannende Perspektiven.

(Bilder: Südpol)

Die Konzertreihe – oder besser Musikperformancereihe – wurde ursprünglich von Hans Koch (reeds, electr) und Martin Schütz (clo, electr) ins Leben gerufen. Unter dem Namen «Joyful Noise» spielten jeweils wechselnde MusikerInnen ein improvisiertes Konzert. Schlagzeug-Tausendsassa Julian Sartorius erweiterte das Konzept um die Dunkelheit: In Zusammenarbeit mit dem Soundkünstler Strotter Inst. (alias Christoph Hess) schufen die Künstler so ein ungemein spannendes Grundambiente. Angst im Dunkeln sollte man auf jeden Fall nicht haben.

Lichtaus

Im völlig abgedunkelten, grossen Saal des Südpols versammelte sich ein Grossteil der Luzerner Jazz-Créme-de-la-Créme, zusammen mit dem oben bereits erwähnten Kernteam. Neben Sartorius, Koch, Schütz sowie Strotter Inst. spielten Hans-Peter Pfammatter (keys, electr), Christoph Erb (reeds), Sebastian Strinning (reeds), Urs Leimgruber (reeds), Fredy Studer (dr), Martin Baumgartner (electr), Manuel Troller (g) und Lukas Traxel (kb), der für den aufgrund eines Doppelbookings verhinderten Christian Weber (kb) einsprang. Mit Isa Wiss (voc) und Marie-Cécile Reber (electr) fanden zudem zwei Frauen Einzug in die Runde, doch wäre da nicht mehr Raum für weitere Vertreterinnen gewesen? Alle MusikerInnen wurden im Saal verteilt auf Bütec-Podeste positioniert, unter denen ganz schwach gedimmte Lichter brannten. Die «Elektronik»-Künstler mit ihren Computern und/oder zu hell strahlenden Kisten (wie beispielsweise dem Kaoss Pad+) mussten hingegen hinter dicken Vorhängen in den Ecken versteckt werden. Mal abgesehen von ein paar blinkenden Effektgeräten herrschte dann absolute Dunkelheit. Die eigene Hand war kaum mehr erkennbar vor den Augen – beeindruckend. Gelegentlich blitzte in einem Sekundbruchteil das Licht auf; einerseits als Übergangssignal für die KünstlerInnen, andererseits wohl, damit sich die Augen nicht zu sehr an die Finsternis gewöhnten. In diesem Rahmen erzeugten die MusikerInnen Klänge, Sounds und Musik, teilweise dirigiert durch einen Funkempfänger im Ohr. Soweit also die Ausgangslage. In der Folge wird das dritte Set beschrieben. Laut den Musizierenden das beste. Licht aus! Man hatte im Vorfeld vieles erwartet, aber nicht eine solche Erfahrung. «Joyful Noise In The Dark» war ein Trip zwischen Astralreise, Urwaldexpedition und Drogenflash. Überall piepte, surrte, knackte oder blubberte es. Es entstanden Dialoge, Soli, Rhythmen. Mal wahnsinnig laut, dann wieder ganz leise. Von der Melodie in die freie Impro und wieder zurück: Hier wurde praktisch das ganze Spektrum abgebildet, was Musik von traditionell bis modern sein kann. Unglaublich. Darin versteckte sich zudem viel Potenzial: Durch die Dunkelheit erkannte niemand den anderen. Zu keinem Zeitpunkt Geplapper oder sonstige Unsicherheiten im Publikum: Die Atmosphäre war tiefenentspannt und hochkonzentriert zugleich; man wähnte sich gar in einer Geh-Meditation. Jeder Schritt wurde bewusst gewählt, zu Beginn langsam, dann sicherer und schneller. Das erzeugte jedoch nicht nur für die ZuhörerInnen eine spezielle Stimmung, sondern auch für die PerformerInnen. Schliesslich konnte man, ohne wirklich erkannt zu werden, so nahe wie nur möglich an diese heranstehen. Oder noch mehr wagen, was zu komischen Situationen führte: Ein Besucher setzte sich beispielsweise über einen längeren Zeitraum hinweg vor Lukas Traxels Bass-AMP. Und die Blicke hinter die Vorhänge von Pfammatter/Baumgartner oder Strotter/Reber hatten bestimmt ebenfalls gruseliges Irritationspotenzial, wenn da plötzlich ein fahles Gesicht im gedämpftem Blaulicht der Computer auftauchte. Licht an! Durch die Möglichkeit, beliebig von Ort zu Ort wechseln zu können, ergaben sich interessante bis mitunter komische Szenarien. Mir gefällt ein bestimmtes Geräusch? Ich folge ihm. Ist das ein Saxophon oder eine Klarinette oder was ganz anderes? Nein, der Computer! Oh, was spielt der Bass bei diesem Part? Nichts. Klingt da ein Synthesizer oder Gesang? Sitzt überhaupt jemand auf Hans Koch‘ Platz? Nach fünf Minuten Starren und einem raschen Schnüffler: Nein, da befindet sich kein Mensch. Wieso hört man den Kontrabass nur so leise? Weil der Orientierungssinn so stark verwirrt wurde, dass man zehn Minuten hinter anstatt vor ihm stand. Zugleich das Rätseln: Wer spielt wo? Persönlich wurden beispielsweise Urs Leimgruber und Christoph Erb verwechselt. 70 Minuten Dunkelheit, 70 Minuten nahezu blind, 70 Minuten pure (Ent)spannung: Es hätte ruhig doppelt so lange dauern dürfen. Faszinierend! Direkt geflasht wirkten denn auch alle Beteiligten im Anschluss, als das Licht anging. «Joyful Noise In The Dark» ist ein Erlebnis für alle Sinne, das visionäre Tendenzen aufweist. Man hofft auf eine weitere Ausführung in Luzern. Und wünscht sich gelegentlich einen eigenen Raum, in welchem ein privates «Joyful Noise In The Dark» stattfinden würde. Kinhin!