Cupidi-was? Sei nicht so gierig!

Kunsthaus Zofingen, 2. März 2019: Warum wollen wir immer mehr und mehr? Die Künstlerin Nina Staehli hat sich zwei Jahre lang mit der Gier und einem dazugehörigen Organ im Menschen beschäftigt. Der Werkzyklus ist präzise inszeniert – bleibt aber unnahbar.

Titelbild: Filmstill «Battlefield of Cupiditas», Nina Staehli

«Aber im Wort Neugier ist Gier ja auch dabei. Und Neugierde ist ja etwas Positives. Ist das auch Cupiditas?», fragt eine Besucherin am Rundgang mit der Künstlerin Nina Staehli (*1961) im Kunsthaus Zofingen. Zwei Jahre lang hat sich die Kunstschaffende vollkommen der Recherche und Forschung nach Cupiditas, zu Deutsch Gier oder auch Leidenschaft, gewidmet. Dazu besuchte sie das medizin-historische Museum in Berlin, konsultierte Literatur aus Philosophie und Kunstgeschichte und beobachtete intensiv ihr Umfeld. «Ich wurde sehr achtsam und habe die Menschen um mich herum beobachtet. Ich wohne Teilzeit in Berlin in einem Quartier, in dem viel passiert und sich verschiedene Leute aneinander reiben. Ich grüble viel und bin komplett in diesen Kosmos abgetaucht», erzählt die Zuger Künstlerin. Sie möchte, dass ihr Werk für sich spricht und führt sicher und bestimmt durch ihre Einzelausstellung «Battlefields of Cupiditas».

So beobachtet sie auch in Zofingen genau, wie die Besucher*innen mit Taschenlampen Skulpturen aus gebranntem Ton in einem abgedunkelten Raum erforschen. Diese sind in verschiedenen Konstellationen auf 13 asymmetrischen Tischen mit Spiegeloberfläche angeordnet. Sie werden von Nina Staehli als Spiegelsplitter bezeichnet und sollen die Betrachter*innen mit den eigenen, inneren Battles um Cupiditas konfrontieren.

Die Skulpturen, Tische und die Spots, welche die Schatten der wiederkehrenden Formen an die Decke projizieren sind sehr gezielt gesetzt. Nur werden durch die präzise Anordnung die angestrebten Reibungspunkte zwischen den Beobachter*innen und dem Werk verhindert. Die geforderte Konfrontation mit sich selber gerät dadurch in den Hintergrund.

Nina Staehli_2

Bild: Ullmann Photography

Der Anfang ist das Ende und umgekehrt

Staehlis Interesse zum Thema Gier kam nicht von einem Tag auf den anderen. Vielmehr war es ihr Werkzyklus «Glory Land», der sein Ende im Anfang von «Cupiditas» gefunden hat. Nina Staehli konnte im Rahmen des Zuger Reisestipendiums Flex durch Amerika reisen und hat verschiedene Menschen, unter anderem Cherokee-Indianer*innen, zur Existenz eines Gier Organs im menschlichen Körper gefragt. Dass unsere Spezies nicht nur in Hochzeiten der Kolonialisierung immer und immer mehr wollte, sondern auch heute Nichts genug ist, muss doch einen biologischen Ursprung haben: Wo im Körper befindet sich das Organ und welche Farbe, ja welche Form hat es?

Wie es für die Künstlerin aussieht, wird in der Ausstellung ersichtlich: länglich und mit röhrenförmigen Ausstülpungen, die an einen Mäuseschwanz erinnern. Das künstlerische Forschungslabor im Erdgeschoss des Kunsthauses gibt uns einen guten Einblick in das Arbeiten und Denken der Künstlerin. Das «Cupiditas System Manifest» ist in medizinischem Fachjargon geschrieben und verweist kontrastvoll auf verschiedene Aquarelle in bunten Farben, welche ihre Forschungsergebnisse präsentieren.

Nina Staehli 3

Bild: Ullmann Photography

Bunt geht es auch weiter: Vibrierend grünes Latex um kleine Gier-Organe in Plexiglaskasten, Dreifarben-Siebdrucke und dann die pneumatischen Gier-Organ-Modelle in edlem Gold und Pink. Diese Hypertrophien drängen die Besucher*innen an die Wand, zu einer Videoarbeit, in dem die Gier – personifiziert und im Anzug – auftritt. Verschiedene Gesichter hat sie auch in den Malereien «Gueules Cassées» im Obergeschoss. Entstellte Fratzen stellen die Auswirkungen der Gier dar.

Viel. Mehr, immer mehr. Am Ende besteht für die Besucher*innen ein Überangebot. Ein umfassender Werkzyklus, der aus den Vollen schöpft und sehr überlegt gesetzt, platziert und inszeniert ist. Nur fühlt man sich teilweise verloren in dieser Fülle. Nina Staehli macht niemandem etwas vor, sie ist Expertin im Cupiditas-Kosmos und gewährt uns einen Einblick in ihre bunte Welt, die sich mit konsequenter und gewaltiger Formensprache zeigt.

Sie lässt uns zwar in ihren Kosmos hinein, aber wirklich teilhaben lässt sie uns nicht. Es ist und bleibt ihr Werk und es ist schwierig, sich als Aussenstehende*r damit zu identifizieren.

Nina Staehli: Battlefields of Cupiditas
SO 3. März bis SO 16. Juni
Kunsthaus Zofingen

Die Rezension gefällt? Hier gibt es noch mehr Texte von Gianna Rovere.