Coronas Würgegriff: Folgen für die Kulturförderung

Ob und welche Kultur mittel- und langfristig stattfinden wird, hängt nicht zuletzt von finanziellen Ressourcen ab. Eine Übersicht ist schwierig, Gewissheit ist aber leider: Das Virus befällt auch die öffentliche Hand.

Bild: Archiv Kulturmagazin

«Natürlich hat die Finanzkrise auch unsere Stiftung getroffen, da wir nicht nur in tief verzinsliche Anleihen investiert haben.» So liess sich die Zuger Landis & Gyr Stiftung in der Märzausgabe 2009 dieses Magazins zitieren. Der Artikel thematisierte die finanziellen Auswirkungen auf die Portfolios von Stiftungen der Kulturförderung, nachdem in den USA die Immobilienblase geplatzt, die Grossbank Lehman Brothers pleitegegangen und den internationalen Börsen ein starker Taucher widerfahren ist. Üblicherweise vergeben Kulturstiftungen einzig ihre Kapitalgewinne als Fördergelder, die teils millionenschweren Vermögen bleiben unangetastet, investiert in Aktien, Wertschriften und Immobilien – und damit je nach Anlagerisiko den Börsengängen ausgesetzt. 

Summe für Werkstipendien verdoppelt

Wie schätzt die Landis & Gyr Stiftung die Situation heute ein angesichts der weltweiten Einbrüche der Märkte? Geschäftsführerin Regula Koch geht davon aus, dass sich eine zuverlässige Einordnung der Folgen erst ab Herbst vornehmen lässt. Derweil ist die Stiftung nicht untätig geblieben. «Bereits zugesprochene Beiträge werden zu gegebener Zeit ausbezahlt respektive bereits ausbezahlte Beiträge müssen nicht zurückerstattet werden. Ausserdem wird die Summe für die Werkstipendien 2020, welche kurz vor Ausbruch der Krise ausgeschrieben wurden, verdoppelt», sagt Koch.

«Für Aussagen, was die mittel- und langfristigen Auswirkungen angeht, ist es noch zu früh.» 

Marianne Schnarwiler, Geschäftsführerin AKS

Bei der Albert Koechlin Stiftung (AKS) liegt der strategische Schwerpunkt laut Marianne Schnarwiler auf Eigenprojekten. «Hier sind die Auswirkungen von Covid-19 je nach Ausgangslage unterschiedlich, aber eher organisatorischer als finanzieller Art», so die Geschäftsführerin. «Während die Musikinstrumentensammlung in Willisau als Museum geschlossen bleiben musste, konnten wir beispielsweise die Ausschreibung für das Kulturprojekt ‹Innereien› plangemäss lancieren.» Auch der Innerschweizer Filmpreis 2021 werde anfangs Juli im gewohnten Rahmen ausgeschrieben. Aber bei der AKS gilt wie überall: «Für Aussagen, was die mittel- und langfristigen Auswirkungen angeht, ist es noch zu früh.» 

Mit ihrem Kulturprozent gehört die Migros zu den grössten Kulturförderern aus der Wirtschaft. Das finanzielle Volumen ist dabei an den Geschäftsgang gekoppelt, ein Prozent des Umsatzes eben. Zwar konnte der Grossverteiler seine Geschäfte bislang durchgehend geöffnet halten, aber «die aktuelle Situation ändert sich fortlaufend, darum sind Prognosen schwierig», sagt Verena Randall, Leiterin Kulturprozent der Genossenschaft Migros Luzern. Sie bestätigt: «Das Budget des Migros-Kulturprozent würde bei sinkenden Umsätzen eindeutig unter Druck kommen. 2020 ist aber gesichert.» Mit Blick in die Zukunft meint Randall: «Die Gefahr einer stärkeren Rezession ist wahrscheinlich, was sich vermutlich negativ auf die Umsätze und somit das Kulturprozent auswirken wird.»

«Die Gefahr einer stärkeren Rezession ist wahrscheinlich, was sich vermutlich negativ auf die Umsätze und somit das Kulturprozent auswirken wird.»

Verena Randall, Leiterin Kulturprozent Migros Luzern

Auch andere Unternehmen sind durch ihre finanziellen Engagements Teil der Kulturförderung, vor allem als Sponsoren von Veranstaltungen. Gemäss Loredana Andreoli, Kommunikationsleiterin des Energiedienstleistungsunternehmens ewl, wäre das Budget vorhanden, wird aber nicht ausgegeben. «Wir haben Sponsoring-Ausfälle vor allem bei Anlässen mit grossen Menschenmengen wie Stadtlauf, Honky Tonk, B-Sides und Kinderfestival. Das heisst, die Veranstalter sagten ihren Anlass ab und entsprechend reduziert sich unser finanzielles Engagement. Wir haben aber aufgrund von Corona keine Budgetkürzungen im Sponsoring gemacht.»

Selbsthilfe per Crowdfunding

Antoinette Stocker, Leiterin Marketing und Kommunikation bei der Luzerner Kantonalbank, hofft, dass sich die Situation innert absehbarer Zeit wieder normalisiert. Als Hilfestellung für Corona-Betroffene habe man die Hürden für die hauseigene Crowdfunding-Plattform «Funders» gesenkt und verzichte bis mindestens Ende Juli auf die Gebühren von Projektlancierungen. Stocker: «Diese Aktion steht auch Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen offen.» Im Übrigen halte die Kantonalbank ihre bestehenden Engagements in den Bereichen Kultur, Gesellschaft und Sport aufrecht.

«So herausfordernd die Corona-Pandemie auch für uns als Klinik ist, darf sie kein Grund sein, die finanzielle Unterstützung für diese Kulturinstitutionen einzustellen.»

Ueli Bischof, Marketingleiter Hirslanden Klinik St. Anna

Was auffällt: Die Rückmeldungen der Institutionen ähneln sich über weite Strecken. Gerne wird die Langfristigkeit von Unterstützungen betont und dass man Kulturschaffende in laufenden Engagements nicht hängen lasse. Dabei stehe der persönliche Kontakt und die Suche nach individuellen Lösungen mit Empfängerinnen und Empfängern von Fördergeldern an erster Stelle. Was das aber für die Zukunft, für Neues, noch zu Entstehendes bedeutet, bleibt ungewiss, zumal niemand Zahlen nennen will. Auf konkrete Frankenbeträge oder prozentuale Budgetanteile will sich niemand einlassen.

Krise nicht «am Tropf von Fördergeldern aussitzen»

Die Hirslanden Klinik St. Anna unterstützt unter anderem das Kleintheater, den Kulturhof Hinter Musegg und das Luzerner Sinfonieorchester und ist als Gesundheitseinrichtung in dieser Zeit stark gefordert. Marketingleiter Ueli Bischof gibt Entwarnung: «So herausfordernd die Corona-Pandemie auch für uns als Klinik ist, darf sie kein Grund sein, die finanzielle Unterstützung für diese Kulturinstitutionen einzustellen.» Trotzdem sei dies nicht als Carte blanche zu verstehen. «Dazu sind wir finanziell nicht in der Lage und es entspräche wiederum nicht unserer Vorstellung einer Kooperation, wo man sich gegenseitig befruchtet. Die Pandemie darf auch für die Kultur kein Grund sein, im Stillstand zu verharren und die Krise am Tropf von Fördergeldern auszusitzen», meint Bischof.

«Wir rechnen mit einem sehr grossen Billettsteuer-Ausfall, der alle Fonds betrifft.»

Rosie Bitterli, Leiterin Dienstabteilung Kultur und Sport Stadt Luzern

Ein solcher Tropf, auf den bislang auch in Krisenzeiten zumindest vom Fördervolumen her Verlass war, droht aber zu versiegen. Die Rede ist von der öffentlichen Hand, denn das Veranstaltungsverbot der letzten Monate bedeutet beispielsweise im Fall der Stadt Luzern keine Einnahmen aus der Billettsteuer und damit fehlende Projektgelder für die Kultur. Rosie Bitterli, städtische Chefin Kultur und Sport, nennt das Kind beim Namen: «Wir rechnen mit einem sehr grossen Billettsteuer-Ausfall, der alle Fonds betrifft.» In diesem Ausmass ist das ein Novum und stellt die Behörden vor Herausforderungen. Bitterli: «Der Stadtrat prüft derzeit die Vorlage eines Nachtragskredit an das Parlament, unter anderem auch, um die Ausfälle bei den Kulturschaffenden und den Sportvereinen auszugleichen.»

Nothilfe auch von der Stiftung

Nicht nur der Staat eilt in diesem Fall zu Hilfe, sondern auch die Albert Koechlin Stiftung. Geschäftsführerin Marianne Schnarwiler verweist auf den stiftungseigenen Fonds für Soziale Nothilfe, den Personen in finanziellen Notlagen ergänzend zu den Leistungen der öffentlichen Hand und der Sozialversicherungen angehen können. «Auch Kulturschaffende können entsprechende Gesuche an den Fonds richten, sofern die anderen verfügbaren Gefässe wie Ausfallentschädigung und Kurzarbeit ausgeschöpft sind.» Aufgrund der unsicheren Lage beobachte man überdies die weiteren Entwicklungen sehr genau. Schnarwiler stellt dabei Hilfe in Aussicht: «Wir stehen diesbezüglich im Austausch mit Förderstellen, Kulturschaffenden, Branchenverbänden und weiteren Zentralschweizer Stiftungen, um möglichst wirksame Unterstützungsformen zu finden.