Chliitheater & Chill

Kleintheater, Luzern, 25.05.2018: Binge Night! Die Kleintheater-Eigenproduktion «Visit Pyöngyang!» feiert ihren Abschluss und zeigt alle vier Episoden der Tourismuskomödie an einem Abend. Luzerns Kulturkuchen macht sich darin über alles lustig, nur nicht über sich selbst.

Ein Freitagabend, so schön und warm wie noch kaum einer in diesem Jahr. Die Stadt – der See – die Berge. Und bewegt man sich an diesem Tag mit dem Velo durch die verstopften Strassen, möchte man dem Luzern-Tourismus-Slogan hinzufügen: – der Verkehr. Aber bereits um 18 Uhr ertönt der Gong im Kleintheater. Eine Binge-Night steht auf dem Programm, inklusive Titelsong, Cliffhanger und einer sich weiterentwickelnden Geschichte. Die vier Episoden von «Visit Pyöngyang!», der Kleintheater-Eigenproduktion zum 50. Geburtstag, können am Stück reingezogen werden. Also zum Feierabend nicht etwa See und Berge, sondern Chliitheater & Chill in der Neustadt.

In vier Episoden werden unsere zugegeben beschämende Kantonsregierung mit ihrer unsäglichen Tiefsteuer- bzw. Sparpolitk und die kapitalistische Luzerner Tourismusstrategie auf die Schippe genommen. Das kulturaffine Publikum lacht dabei gemeinsam auf Kosten realer Menschen und realer Gegebenheiten, die nicht lustig sind, aber lustig gemacht werden. Es muss gesagt sein: Auch Regierungsräte sind Menschen. Auch ein nordkoreanischer Fussballer ist ein Mensch. Auch Tourismusbeauftragte mit externem Mandat sind Menschen. Es sei eine Sage, wie der Musiker Christov Rolla gegen Ende der vierten Episode das Gespielte singend einordnet. Eine kurze Erzählung also von fantastischen, die Wirklichkeit übersteigenden Ereignissen. Die Schere aber klafft zwischen Realsatire und Märchen. Die Charaktere der Serie (die mit Klischees arbeitet und immer wieder mit sogenannt politisch nicht korrekten, verkürzten Überzeichnungen provoziert und irritiert) stammen aus dem echten Leben: die fünf Regierungsräte, alle beim Vornamen genannt. Kim Jong-un und Il-Gwan Jong. Tourist*innen. Migrant*innen bzw. eine Afrikanerin. Einfache Bürger*innen. Die Zünftler. Promis.

Sagenhafte Story

Das Personal ist realitätsgetreu. Die Geschichte übersteigt die Wirklichkeit tatsächlich. Die Leuchtenstadt wirbt mit dem Gästival Touristen an, so weit, so real. Mit der Seerose kommen aber Migrant*innen. Auf dem Europaplatz bildet sich, angeführt von der Kölsch sprechenden «Afrikanerin» mit ihrer klischeetreuen Sippe, ein «Integrationsdörfli». Dem Regierungsrat stellt sich neben dieser Flüchtlingskrise zudem auch noch eine anbahnende Nordkoreakrise, denn Diktator Kim Jong-un lädt sich zur Meisterfeier des FC Luzern gleich selbst ein. Für ihn gilt die Gleichung, nordkoreanischer Spieler gleich unschlagbar. Die Luzerner Kantonsregierung also lässt per externem Mandat eine Meisterfeier inszenieren – die Zunft zu Safran feiert ihren Maskenball deswegen unter ebendiesem Motto und der inzwischen an den FC Wil ausgelehnte Il-Gwan Jong findet kurz zurück in die Leuchtenstadt.

Dort entpuppt er sich als nordkoreanischer Schläfer des launischen Kim Jong-un. Der Diktator feiert im Luzerner Saal des KKL mit Pistole und Raketen, fordert und feiert Hinrichtungen von Spielern, die den nordkoreanischen Stürmer in den Schatten stellen könnten und ist von den Feierlichkeiten derart begeistert, dass er eine Städtepartnerschaft zwischen Pyöngyang und Luzern verkündet. Derweil zieht sich der Luzerner Regierungsrat immer weiter zurück, zum Schluss ins U-Boot tief im Vierwaldstättersee. Das Integrationsdörfli wird zum Selbstläufer, sorgt weltweit für Schlagzeilen und eröffnet der durch und durch kapitalistischen Tourismusstadt ganz neue monetäre Möglichkeiten. Das Integrationsdörfli wird zur Touristenattraktion, die Schweiz sucht den Superintegrierten, Promis aus aller Welt reisen an. Die Eventtourismusmaschine läuft. Das U-Boot crasht mit dem Rütli und die bürgerliche Regierung findet ihr Grab im Vierwaldstättersee. Der Weltsong «City of Lights» feiert Premiere. Ende der Sage.

Die Posse wird zur Farce

Humor ist bekanntlich Geschmacksache und eine Komödie mit Personen aus dem echten Leben eine Gratwanderung. «Visit Pyöngyang!» setzt Luzern einen Spiegel vor die Nase und macht sich dabei über alles lustig, nur leider nicht über sich selbst. (Auch wenn in den beiden letzten Episoden so etwas wie eine Metaebene hinzukam, in der das eigene Spiel dann und wann kritisch/humorvoll hinterfragt wurde.) Der Spiegel wirkt dadurch verzerrt. Der Kulturkuchen versichert sich gegenseitig der Unfähigkeit der fünf älteren Mannen im Regierungsrat und sichert sich damit Lacher und Applaus des Kulturkuchens. Das verunmöglicht aber eine tatsächliche Auseinandersetzung mit unserem Lebensraum. Man wünscht sich auch darum, wie es in der Sage tatsächlich geschieht, nichts sehnlicher als den (metaphorischen) Untergang der Kantonsregierung mit seiner Tiefsteuer- und Sparpolitik. Denn die Posse wird so zur fünfstündigen Farce. Das Bashing der Bürgerlichen langweilt irgendwann nur noch, auch wenn die Schauspieler und Schauspielerinnen über die 4x45 Minuten einen guten bis sehr guten Job machen.

In der Pause zwischen der zweiten und dritten Episode sucht Luzerns «Junkie-Schriftsteller» (Zitat: Zentralplus) Lorenz Schaffner sein Glück im luftschnappenden Publikum. Ich kaufe eine seiner poetischen Postkarten und wünsche mir, dass er sich das zu mir passende Gedicht aussucht. Lorenz Schaffner blättert durch seine Postkarten und entscheidet sich schliesslich für das Gedicht mit dem Titel Sonnenschein: «Im Frühlingsblumentopf / steht die Welt auf dem Kopf / und sucht jenen Sinn / der auch fehlt in dem Vers hier drin» Und ich wünschte mir genau das: dass auch die Welt in der Tourismuskomödie auf den Kopf gestellt wird. Und ein Sinn gesucht wird, der womöglich gar nicht existiert. Dass man der bereits auf dem Kopf stehenden Welt nicht nur mit Trash und billiger Provokation begegnet, sondern dass man sich von ihr zu emanzipieren versucht. Die Welt eben auf den Kopf stellt, anstatt die auf dem Kopf stehende Welt lächerlich macht. So vermag «Visit Pyöngyang!» zwar das informierte Luzerner Kulturpublikum zu unterhalten, Inspiration sucht man darin hingegen vergebens.

 

Eine Eigenproduktion des Kleintheaters mit Martina Binz, Christoph Fellmann, Patric Gehrig, Matthias Ott, Christov Rolla, Julia Schmidt, Marco Sieber.

Text: Christoph Fellmann. Regie: Reto Ambauen. Musik: Christov Rolla. Ausstattung: Nina Steinemann. Technik: Alessandro Paci. Grafik: Edita Vertot. Produktionsleitung: Janine Bürkli.