Bonnie Tyler im Sägemehl – Tschechow dekonstruiert

Luzerner Theater, Samstag, 12.10.2013; Melancholie und Spärlichkeit sind die typischen Ingredienzien in Anton Tschechows Bühnenwerken. In Luzern wird der «Kirschgarten» zum knalligen Spektakel.

(Bilder PD/Toni Suter)

Predrag Štrbacs Inszenierung will entstauben: Andauernd pusten die Schauspieler Staub weg, sei es vom alten Firs (Horst Warning), von Schachteln oder von dem mehr als in die Jahre gekommenen Landgut der Ranewskaja (Bettina Riebesel). Unentwegt wird hier beatmet und es scheint, es gelte einen Toten zu erwecken. Dem «Kirschgarten» in Luzern wird gehörig Leben eingehaucht: Die Kostüme (Dragica Lausević) und die Musik (Stefan Paul Goetsch) katapultieren das Geschehen kurzerhand in die grellen 1980er-Jahre. Streckenweise (ver)kommt die Komödie zum Musical.

So werden «Sprechakte» zu eingängigen Pop-Melodien geschmettert: «Vanilla Ice» soll das Eis zum Schmelzen bringen, die zeitliche Distanz zu Tschechows Klassiker überwinden. Dass derartiges gelingen kann, wurde jüngst mit «Woyzeck» am Zürcher Schiffbau bewiesen. Gerade bei Tschechow lohnt sich die Idee, Heiterkeit und Gelassenheit zu verbreiten, den leichten Staub der Tristesse kräftig aufzuwirbeln. Ein fruchtbarer Boden, Tschechow auf die Bretter zu bringen. Štrbacs postmodernes Gegen-den-Strich-Lesen von Tschechow artet allzu oft in kuriosem Musical-Klamauk aus. Dieses Sprengen von Genres – auf Teufel komm raus – ist etwas gestrig. Vesna Popovićs gelungene Bühne erinnert so mehr an Zirkus als an Theater. Ein Weiteres trägt dazu bei, dass der Ort des Geschehens, das Landgut, von Korkenpellets umgeben ist, die an eine Sägemehlmanege gemahnen. Offenbar ist, so will uns die Produktion, die in Kooperation mit CULTURESCAPES Balkan 2013 entstand, weismachen, dass der «Kirschgarten» schon von Beginn an abgeholzt ist. In dieser dekonstruierten – was auch handfest unter Beweis gestellt wird – Lesart liegt die Stärke der Inszenierung. Schonungslos kollidiert die innere Zeit der Figuren mit der äusseren. Sogar der Zuschauer sieht sich am Ende der Aufführung – das Bühnenteam bereits beim Abbauen – damit konfrontiert. Menschlich und mit dieser dem Balkan eigenen Mischung aus Resignation und Hoffnung entlässt das serbische Bühnenteam das Personal ins Leben. Derweil auf der inzwischen freigelegten, kahlen Bühne Firs letzter Hauch die Zukunft erblühen lässt. Altes weicht, Neues kommt.

Tschechows Kirschgarten. Schauspiel nach Anton Tschechow; Luzerner Theater