Böse Rache über den Tod hinaus

Ein Stoff aus alter Zeit, der es in sich hat: Das Theater Stans bringt eine Romanadaption von A.C. Looslis Krimi «Die Schattmattbauern» auf die Bühne. Hannes Leo Meier hat das Stück «Schattmatt» von Simon Ledermann als hoch stehendes modernes Laientheater inszeniert. Gut gemacht.

«Habligen gehört bei weitem nicht zu den grössten, wohl aber zu den reichsten Gemeinden des Unteremmentals.» So hebt der 1926 entstandene Roman von Albert Carl Loosli (1877–1959) an. In Stans befinden wir uns auch im bernischen Bauerngebiet. Wir schreiben das Jahr 1893. Es ist ein Sommer, wie ihn die Gemeinde seit Urzeiten nicht mehr erlebt hat. Trocken, heiss. Ein Chor im Heute kommentiert anlässlich einer Jubiläumsausstellung. In Vitrinen unter anderem: Das Telefon. Es hat schon Eingang gefunden in die gegen die Jahrtausendwende gehende Landzivilisation. Es wird schon klar: Hier befindet sich eine Welt im Umbruch. Im selben Jahr übrigens wurde der FC Basel gegründet und der Betrieb der Stanserhorn-Bahn aufgenommen. Die Geografie von Habligen wird am Anfang anhand einer Gazewand mit darauf projizierter Gemeindeansicht erklärt. Ganz hinten liegt die Schattmatt, wo der Alte (Res Rösti) wohnt, der seinen Hof dem Schwiegersohn übergeben hat. Fritz Grädel (Urban Riechsteiner) lebt hier mit Röstis Tochter Bethli (Franziska Stutz) und den beiden Kindern. Eine Magd und ein Knecht. Idylle ist anders: Der Alte ist tot. Ein eigentlicher Haustyrann war der erfolgreiche Pferdezüchter. Immer habe er zleidgwärchet, sind sich alle einig. Da hatte einer den Teufel im Leib.

Also, der alte Rösi liegt tot darnieder, in der Nähe findet sich eine Dragonerpistole. Und am Baum hängt eine Schnur mitHaken dran. Staatliche Behördenvertreter kommen nach Habligen, um den Fall akribisch zu untersuchen. Die Investigationen der Herren gestalten sich nach den neusten kriminaltechnischen Methoden – «De Mörder hed kei Chance, hützutags.» Es kommt, wie es kommen muss: Fritz, der am Vorabend noch Andeutungen machte in der Beiz (bezüglich den Alten umbringen, aber es waren nur Worte), wird in Untersuchungshaft gesteckt. Obwohl er seine Unschuld beteuert («Ich habe nichts zu befürchten.»). Und eine Ahnung beschleicht ihn, ob nicht der Schwiegervater ihm hier einen letzten Streich gespielt hat. Vier Monate darbt er in der klinisch-kargen Zelle, bis ihn endlich der ihm gut gesinnte Gemeindepräsident und Fürsprech Brand (Josef Blättler) und auch die Familie besuchen kommen können. Gut getan hat ihm die Haft freilich nicht, er ist bleich und aufgeschwemmt. Und ein solcher Satz fällt: «Zwösche dene Muure verlüürt jedes Rächt sini Ornig.» Doch Hoffnung soll bleiben. Sowie: «Es ged nor ei Wohret.» Der Prozess steht an. Keinen einzigen stichhalten Beweis gibt es. Es wird ein Indizienprozess, Brand weist auf die nicht plausible Logik des angeblichen Mord-Geschehens hin. Die Geschworenen befinden auf Freispruch. Sie haben, so Fritz, ihm das Leben zurückgegeben «aus Mangel an Beweisen, aus Angst». Es ist inzwischen Winter geworden. Res Röstis Bruder Christian ist seltsamerweise über Nacht nach Montevideo verschwunden. Sein Brief aus der Fremde wird zur Klärung beitragen, darüber, was damals im August 1893 wirklich geschah und zum Tode des alten Rösti führte. Doch es ist zu spät. Fritz, ein gebrochener Mann, lässt sich freiwillig in die Psychiatrie einweisen, wo doch einer schon wusste: «Aus dem Irrenhaus ist noch keiner geheilt herausgekommen.» Oder lebendig. 10-köpfig ist der gemischte Chor, der im Stück als nicht nur sprechender und das Heute mit dem Gestern verschränkender Kommentarkorpus fungiert. Siebenmal wird auch gesungen, besonders gelungen dabei die Idee, originale Mundartlyrik von A.C. Loosli, die inhaltlich bestens passt, zu Liedern werden zu lassen. Dazu hat Christov Rolla mit Anklang an die Volkslied- und Chorliedtradition ebensolche als frappierende musikalische Pastiches eigens komponiert, im Nachhinein sozusagen Texten aus dem frühen 20. Jahrhundert einer neuen Bestimmung zugeführt.

Mit Blick auf «Schattmatt» (bzw. seine Romanvorlage) wird gerne darauf hingewiesen, dass Loosli (1926) den ersten modernen Schweizer Krimi schrieb. Ein Krimi ist es in der Tat. Und mehr. Ein grosse menschliches Drama, die kritische Betrachtung eines fragwürdigen Rechtssystems, eine Reflexion über das Böse. Ohne nun den Mörder zu verraten, soviel immerhin: Der alte Res Rösti, am Ende todkrank, hat eine folgenreiche Inszenierung vollbracht, um über seinen Tod hinaus Rache zu nehmen. Gleich an mehreren Menschen, wobei die «Hauptrache», wie es im Roman heisst, Gritli Grädel galt. Ihr, die ihn, den frühen Witwer, bei seinem Braut-Werben einst in jungen Jahren verschmähte und abblitzen liess, wo er doch als Reicher unwiderstehlich schien (eine Rückblende im Stück zeigt die damalige Aktion am Chalte Märt). «Rich gnueg, aber ned guet gnueg.» Und eben, eine gute Partie allein reicht nicht aus. Wenn einer die Pferde lieber hat als die Menschen. Gritli sollte letztlich bitter büssen, indem ihr Sohn, Res’ nachmaliger Schwiegersohn, ins Gefängnis gesteckt werden sollte. Der teuflische Plan ging für den alten Rösi aus dem Grab heraus auf. In Stans wird alles in geradezu gewohnt guter Manier auf die Bühne gebracht, wie man es hier seit vielen Jahren kennt und schätzt. Es ist hoch stehendes Laientheater, auf der Höhe der heutigen Zeit, wo nicht plan gespielt wird, sondern mit modernem Ansatz. Das betrifft die Inszenierung, die mit Verfremdungen arbeiten kann, die Bühne (Claudia Tolusso), die Naturalismus geflissentlich vermeidet, während die Kostüme (Irene Stöckli) die historische Zeit anzeigen. Die Sprache ist jedem und jeder belassen, da musste nicht etwa Emmentaler Mundart angelernt werden. So hört man von den Spielenden Nidwaldner bis Luzerner Hinterländer Dialekt. Es ist die Bewahrung des «Soziotopischen» (Regisseur Hannes Leo Meier), die angestrebt ist und gelingt. Und die Romanvorlage wird im Stück von Simon Ledermann und in der Inszenierung gut respektiert.

«Schattmatt», von Simon Ledermann, nach dem Roman «Die Schattmattbauern» von C.A. Loosli; Regie: Hannes Leo Meier Theatergesellschaft Stans, Theater an der Mürg Aufführungen bis 16. April