Binge-Thinking für die Zukunft

Neubad, Luzern, 21.09.2019: Ideen für eine bessere Zukunft gab es am laufenden Band bei TEDx-Luzern am Samstag. Die Vorträge bewegten sich zwischen Inspiration und Banalität.

Zukunft ist wieder in. Während vor einigen Jahren noch besonders Linke klagten, dass sie die Zukunft vergessen haben, tauchen heute dagegen Manifeste für einen vollautomatisierten Luxuskommunismus auf. An den jüngsten globalen Klimaprotesten fordern Hunderttausende entschlossene politische Maßnahmen, damit es überhaupt noch irgendeine Zukunft für die Menschheit gibt.

Auch im Luzerner Neubad füllten am Samstag Fragen zur Zukunft den Pool mit über einhundert Neugierigen. Unter dem Motto Emerging Futures (etwa «aufkommende Zukunft») wurden inspirierende Einsichten für eine bessere Zukunft versprochen. Nicht unwichtig für das grosse Interesse an der von Mario Stankovic für Luzern im Wandel organisierten Veranstaltung dürfte aber auch das weltbekannte Label TED gewesen sein. Beachtet man aber etwa auch die beliebten Neubad Lectures oder das sehr gut besuchte AHA-Festival im Januar im Südpol, zeigt sich bei den Luzerner*innen generell ein großer Appetit auf flott vorgetragenes Expert*innenwissen zu drängenden Fragen unserer Zeit.

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Über das Format der TED-Konferenzen mit standardisierten Vorgaben und enthusiastischen Performances lässt sich bekanntlich streiten. Auch die engmaschige Verstrickungen von TED mit milliardenschweren Propagandist*innen einer heilbringenden digitalen Revolution werden kritisch diskutiert (siehe den Kommentar von Evgeny Morozov in der Republik). Auf der anderen Seite erfreuen sich die kurzen Vorträge grosser Beliebtheit und werden online millionenfach angeschaut. Was aber liefert das Binge-Thinking mit sechs kurzen Inputs in Luzern? Was kann man über die titelgebene Emerging Future erfahren?

Kaum konkrete Ideen

Ralf Nacke forderte zum Auftakt eine Wirtschaft, die dem Gemeinwohl dient. Das Ziel des Unternehmensberaters ist ein gutes Leben für alle, welches durch die gegenwärtige Wirtschaft jedoch in Gefahr sei. Um Unternehmen, Schulen und Städte von nachhaltigen und sozial verträglichen Praxen zu überzeugen, schlägt Nacke ein freiwilliges Messinstrument vor, um den genauen Beitrag am Gemeinwohl zu ermitteln. Vielleicht liegt es an Nackes geschliffenem Beratersprech, eine genaue Vorstellung oder gar konkrete Massnahmen verschwinden leider in einer Fülle von glatten Allgemeinplätzen.

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So zeichnete sich bereits zu Beginn ein Muster ab, das sich leider fast den ganzen Abend fortsetzte. Mit Menschlichkeit, Solidarität, Nachhaltigkeit oder Achtsamkeit wurden ständig Dinge gefordert, die eigentlich niemand ernsthaft ablehnen kann. Abseits dieser Allgemeinheiten blieben die meisten Ausführungen allerdings recht vage. Kritik, Irritation und aktives Mitdenken kann sich so nur schwer entfalten.

Nora Wilhelm fragte anschliessend, warum manche Momente mehr Einfluss haben als andere. Wilhelm, Mitbegründerin von collaboratio helvetica und UNESCO Youth Leader, fand die Antwort dafür in ihrem Inneren. Dieses wenig überraschende Plädoyer für Self-Care ergänzte sie glücklicherweise durch Hinweise auf die aufreibenden Tätigkeiten von Aktivist*innen und die Gefahr von psychischen Folgen.

Christoph Schmitt ist davon überzeugt, dass klassische Beschulung Lernen verhindert. Schmitt, Coach in den Bereichen Bildung und Lernen, führte unterhaltsam aus, dass ganz neue Visionen geschaffen werden müssen, damit die Menschen wieder hungrig auf das Morgen seien. Durch Schule, repräsentative Demokratie und Lohnarbeit würden wir uns allerdings zu viel auf andere verlassen und verlernen, selber zu denken.

Bembet Madrid sprach kompetent zu ihrer Tätigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit auf den Philippinen. Madrid, Friedensaktivistin und Koordinatorin beim katholischen Hilfswerk Fastenopfer, fördert die Umstellung von landwirtschaftlichen Techniken, damit lokale Gemeinschaften resilienter werden. Überzeugend spannte Madrid hier einen globalen Rahmen auf und erinnerte die Luzerner*innen daran, dass diejenigen Gegenden am stärksten von Klimaschäden betroffen sind, die gar nicht den Grossteil der Verantwortung für diesen tragen.

Sidsel Andersen ist begeistert von Dialog und Gruppendynamiken. Andersen, Trainerin und wie Nora Wilhem bei collaboratio helvetica, plädierte dafür, Dialoge offen, persönlich und inklusiv zu führen. Der Inhalt blieb trotz guter Performance leider dünn.

Verschwörungstheorien und Esoterik

Den Abschluss machte Bilbo Calvez. Weil TEDx-Luzern im Voraus auf Facebook schon Werbung mit Calvez Engagement für zwei bekannte Tummelplätze für allerlei Verschwörungstheoretiker*innen, das Infoportal KenFM und die Mahnwachen für den Frieden am Brandenburger Tor, machte, war hier bereits vorher Skepsis angebracht. Auch die Ankündigung von Calvez‘ Vortrag zur Rolle des «Weiblichen» war getränkt von Essenzialismus, Biologismus und bodenlosen Behauptungen:

«Was meine Arbeit, alle meine Arbeiten, ausmacht, ist die tiefe Überzeugung, dass es das Weibliche in uns allen ist, was uns den Weg zum Frieden zeigt.»

«Das Weibliche in uns ist die mütterliche ernährende Kraft, die emotional intuitive Präsenz in jedem von uns.»

«Konkret heisst es, die Fähigkeiten der rechten Gehirnhemisphäre in unserer Erziehung zu fördern und diesen in der Gesellschaft allgemein mehr Aufmerksamkeit zu geben.»

Im Vortrag verzichtete Calvez aber weitgehend auf solchen Unfug. Sie redete stattdessen von einer Welt ohne Geld und wie schön dann doch alles sei. Die genauen Details wollte Calvez dem Publikum allerdings ersparen, obwohl hier doch bekanntlich der Teufel steckt. Die weiteren Ausführungen fransten an allen Ecken und Enden aus und beschränkten sich auf eine verkürzte Geldkritik. Problematisch waren die ständigen Individualisierungen von komplexen Zusammenhängen, denn meist wurden Gier und Profitsucht von einzelnen Menschen für die Übel unserer Welt verantwortlich gemacht. Dieses Gerede erreichte seinen Höhepunkt als Calvez nahelag, dass Reiche einfach nur in die Therapie müssten, um wieder bessere Menschen zu werden. Wer Missständen über eine solche Pathologisierung beikommen will, anstatt eine saubere Analyse wirtschaftlicher Zusammenhänge anzustrengen, muss sich in einem Strudel von Anekdoten und esoterischen Kalendersprüchen verlieren.

Veranstalter Stankovics Versprechen, dass alle Redner*innen für etwas brennen würden, wurde eindeutig eingelöst. Auch wenn viele Probleme sich natürlich nicht in 15 Minuten lösen lassen, hätten einige Vorträge trotzdem noch mehr Fokussierung und Konkretisierung vertragen können. Das Publikum begrüsste aber die Impulse und den Enthusiasmus der Redner*innen und liess sich über weite Strecken von ihrem Feuer anstecken.

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