Besetzen vor besitzen

Stadt Luzern, 04.01.2017: Am Dienstagabend ist eine Menschengruppe in das teilweise leerstehende, rosarote Haus an der Güterstrasse 7 eingezogen. Sie möchten die leerstehenden Räume für den Betrieb der «Autonomen Schule Luzern» nutzen. Wer solche Vorhaben kriminalisiert, macht sich schweren Verbrechen an der Menschlichkeit, die nach 2017 vielleicht noch in einigen von uns steckt, strafbar.

Ein hübsches Wortspiel ziert die Fassade des Hauses an der Güterstrasse: «Schule Braucht Blatz.» Doch die Schweizerischen Bundesbahnen, wie der Verein richtig heisst, versteht keinen Spass. In einem ersten Kennenlernmail von «Rosa Lavache», der Besetzergruppe,  an die SBB hiess es: « … haben wir uns für diese unbürokratische Einzugsart entschieden, um lange Wartezeiten und Leerstand zu umgehen … sind an einer Regularisierung der Situation im Sinne einer solidarischen Nutzung interessiert … würden uns sehr freuen, wenn ein solcher Vertrag zwischen der SBB Immobilien AG und unserem Verein zu Stande kommen könnte.» Fern von piratischer Bsetzerli-Attitüde versuchte man in einen konstruktiven Dialog zu treten.

Die SBB jedoch leitet, wie man bei einem beliebigen der einander abschreibenden Luzerner Medien nachlesen kann, die «notwendigen rechtlichen Schritte» ein. Das heisst, sie erstattet Strafanzeige und wartet auf die Luzerner Kavallerie, die momentan von Sparmassnahmen und mit Wind überfordert ist. «Kriminell», «rechtlich», «Eigentum». In der Furzprovinz wird im selben Gähnjargon gesprochen wie bei der jüngsten Besetzung an der Obergrundstrasse.

Natürlich ist es kriminell, fremdes Eigentum zu besetzen. Natürlich ist das unrechtens. But that’s not the point. Man kann es nur unendlich wiederholen, bis es auch in die winzigen Köpfe der 20-Minuten-Kommentarspaltenschreiberlinge passt: Recht und Gesetz sind keine gottgegebenen Strukturen, nach denen wir zu leben haben. Es sind mensch- (wohlbemerkt meist mann-)gemachte Vorgaben, die ein sinnvolles Zusammenleben ermöglichen. Körperverletzungen sollte man nach wie vor ahnden, weil sie weh tun. Es gibt aber auch Dinge, die niemandem weh tun und schon gar nicht der SBB, deren Chef mehr verdient als der Bundesrat (und deren Züge trotzdem regelmässig Verspätung haben). Bevor also die Achse der Bürgerlichkeit mit der Rechtskeule um sich schlägt, sollte sie sich überlegen, ob eine Schule für Asylsuchende in einem leerstehenden Gebäude oder ein leerstehendes Gebäude der Gesellschaft mehr bringt. Und dann sollte sie sich fragen, ob ein pragmatischer Umgang mit Besetzungen ein gangbarer Weg wäre.

Man hört sie schon, die Stimme der Gemässigten, die ja eigentlich derartige Nutzungen gutheissen, aber auf die mangelhafte Sicherheit des Gebäudes hinweisen – die SBB hatte allen Mietparteien auf September 2017 gekündigt, nachdem ein SBB-Bauingenieur das Gebäude begutachtete und auf «Risse in tragenden Wänden» hinwies. Erstens: Erinnern Sie sich noch daran, wann das letzte Mal in der Schweiz ein Gebäude einfach so zusammengekracht ist? Eben. Zweitens: Drei Mietparteien haben vor dem Schlichtungsgericht Recht erhalten und befinden sich immer noch im Gebäude. Gefährlicher als das Gericht erlaubt wird es nicht sein.

Was für eine Chance für die SBB! Ihre Rösslimattüberbauungspläne stossen bei einem grossen Teil der Stadtbevölkerung sauer auf. Hier könnte sie einen gutmütigen Kompromiss eingehen, es wäre ja nur vorübergehend. Was für eine Chance für die städtische Baudirektion! In einer 3fach-Podiumsdiskussion gab Manuela Jost auf die Frage, wie sie die Situation bezüglich kreativem Freiraum in Luzern einschätze, zu: «Simmer dranne, aber hemmer velecht nonig gnüegend.» In diesem Fall könnte sie ihren Worten Taten folgen lassen und sich zwischen die SBB und die Besetzergruppe schalten.

Und was können Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, tun? Ich dürfte Ihnen natürlich niemals ans Herz legen, die neuen Bewohnerinnen und Bewohner an der Güterstrasse 7 zu besuchen, weil das ein Aufruf zu einer Straftat wäre. Und ich würde Ihnen auf keinen Fall ans Herz legen, Ihren Besuch dort zu geniessen, zum Beispiel am Freitag, 5. Januar, ab 18 Uhr bei Apéro, Konzert und Auflegerei oder am Sonntag, 7. Januar, ab 18 Uhr bei Znacht und Film.