Bei den Ungedankten

Literaturhaus Stans lit.z, 21.11.1015: Das 7. Schweizer Symposium für literarische Übersetzerinnen und Übersetzer brachte ebensolche aus allen Landesteilen nach Stans. Für Berufsfremde wurde dabei klar: Die Leistung der ÜbersetzerInnen wird nicht genug gewürdigt.

Das Übersetzen eines literarischen Textes ist eine kreative Leistung. Die ÜbersetzerIn ist UrheberIn einer eigenständigen Textfassung. Diese zwei Punkte gilt es zunächst einmal festzuhalten. Sie sind ganz grundsätzlich, aber bereits bei ihnen beginnt die Diskrepanz zwischen der übersetzerischen Leistung und ihrer Wahrnehmung. Jede Besprechung eines übersetzten Buches, bei der eingedeutschte Zitate der AutorIn des Originaltextes zugeschrieben werden, ohne dass die ÜbersetzerIn genannt wird, legt davon Zeugnis ab. Dieses Problem der mangelnden Sichtbarkeit wirkt sich in diverse Richtungen aus, nicht zuletzt in eine finanzielle. Auftritte, Preise, Förderung; es wird dabei generell zunächst an die «PrimärautorInnen» gedacht. Die neue Kulturbotschaft 2016–2020 soll diese Situation etwas verbessern, wie Nicole Pfister Fetz, die Geschäftsführerin des Ads (Autorinnen und Autoren der Schweiz), am Symposium berichtete. Die darin enthaltene verbesserte Übersetzerförderung auf Bundesebene wirke sich auch positiv auf die Wahrnehmung des Themas auf kantonaler Ebene aus. Weitere Herausforderungen des Berufes haben weniger mit Öffentlichkeit und Institutionen zu tun. Die Zusammenarbeit mit den Verlagen bringt auch gewisse Tücken mit sich, wie die Beiträge von Dorothea Trottenberg und Regula Bähler, und Ulrike Schimming aufzeigten. Drei mal chancenlos Unter dem Titel «Die sieben Siegel des Verlagsvertrags» sprachen die Übersetzerin Dorothea Trottenberg und Regula Bähler, Rechtsberaterin des AdS, über Verträge und beantworteten Fragen aus dem Publikum. Allzu spezifisches soll hier unterschlagen werden. Aber einige Punkte, die sich aus dem Beitrag, Publikumsmeldungen und Gesprächen mit Teilnehmenden des Symposiums ergeben haben, sollen doch angesprochen werden. Natürlich soll nicht impliziert werden, dass Verlage generell unfair mit ÜbersetzerInnen umgehen. Aber an abschreckenden Geschichten mangelte es am Symposium nicht: von Übersetzungen, die seit über 10 Jahren ungenutzt beim Verlag rumliegen, über solche, die plötzlich anderswo veröffentlicht werden (ohne die ÜbersetzerIn jemals dafür zu bezahlen), bis hin zu kaputtlektorierten Texten. Diese drei Beispiele können gut einige rechtliche Punkte – und auch die teilweise Ohnmacht der Übersetzenden gegenüber der Nutzung ihrer Werke – illustrieren. Erstens also: Der Verlag macht einfach nichts mit dem Text. Das muss er nicht, wenn ein sogenannter Werkvertrag abgeschlossen wurde. Im wesentlichen ist die ÜbersetzerIn dabei einfach DienstleisterIn, die eine Textfassung anfertigt und dann abgibt. Liegt der Text dann ungenutzt herum, kann man nichts dagegen machen. Die bessere Variante als der Werkvertrag ist daher der Verlagsvertrag. Dabei wird die Textfassung dem Verlag ausdrücklich zum Zweck der Publikation überlassen. Zweitens: Die Übersetzung wird effektiv geklaut. Hier stellt sich die Frage: Hat man Zeit, Geduld und einige tausend Franken für einen Prozess angespart? Nein? Dann kann man da nicht viel machen. Drittens: Der Text wird vom Verlag verschlimmbessert. Die ÜbersetzerIn als UrherberIn hat das alleinige Bestimmungsrecht über Veränderungen am Text. Wenn aber der Verlag ohne Absprache Änderungen vornimmt, sind die Optionen dagegen anzugehen beschränkt. Man kann sich von der Fassung distanzieren, oder verlangen, dass die Änderungen bei der nächsten Auflage rückgängig gemacht werden. Will man aber die zer-lektorierte Auflage verhindern, siehe zweitens. Es gäbe mehr Beispiele. Laut Bähler hat lediglich Österreich von allen Nachbarländern der Schweiz noch weniger urheberfreundliche Bestimmungen. Das Schweizer Urheberrecht – es basiert laut Bähler grösstenteils noch auf der Fassung von 1921 – könnte wohl einige Veränderungen gebrauchen. Kreativ vs. konservativ  Ulrike Schimming sprach in ihrem Referat über die Besonderheiten beim Übersetzen von Kinder- und Jugendliteratur. Ihr Ansatz war dabei ausgesprochen interessant. Nicht so sehr die spezifischen Tücken der Textgattung stand im Fokus (hier ein ungenau zitiertes, von Schimming verwendetes Zitat aus unmitbekommener Quelle: «Kinder- und Jugendliteratur übersetzen ist genau so schwierig wie alle Textarten, aber noch schlechter bezahlt»), sondern die vorgegebene Übersetzungspolitik. Schimming stellte im Wesentlichen die Parameter «Werktreue» und «kulturelle Übersetzung» auf. (Noch ein ungenau zitiertes, von Schimming verwendetes Zitat aus unmitbekommener Quelle: Je jünger [die Leser], desto Deutsch. Je älter [...] desto Original».) Das heisst: Wie viel Fremdheit hält der Verlag oder die ÜbersetzerIn für dem Zielpublikum zumutbar? Ausführlich betrachtete Ulrike Schimming Enid Blytons «St. Clare’s», dass im deutschsprachigen Raum als «Hanni und Nanni» bekannt ist. Hier geht die kulturelle Adaption so weit, dass eigentlich kaum noch von einer Übersetzung gesprochen werden kann: Das elitäre der englischen Privatschule wurde ebenso getilgt wie Verweise auf die Monarchie. Wie Schimming nachwies, wurde in der deutschen Fassung rebellisches Verhalten entschärft, dafür Emotionen wie Wut und Trauer deutlich überhöht. Schimming vertrat die Ansicht, dass Kinder durchaus mit Informationen und kulturellen Verweisen, die sie nicht verstehen, umgehen können. Die Tendenz der deutschen Kinder- und Jugendbücher etwas gar didaktisch zu sein, habe sich aber in den letzten Jahren gelockert. Das dürfte für alle Beteiligten positiv sein: Für Kinder, die ohnehin nicht mehr in einer kulturell homogenen Gesellschaft aufwachsen. Für die ÜbersetzerInnen, die sich ihre Leser etwas mündiger denken dürfen. Und wohl auch für die Verlage. Bei Carlsen gibt es vielleicht heute noch Mitarbeiter, die mit Schrecken daran denken, dass sie «Harry Potter» einst für zu fremd hielten. Und glücklicherweise überstimmt wurden.