To be or Splätterli! – Splätterlitheater in der Jazzkantine

Wenn das «Heldenblut» in Strömen fliesst und sympathische Handpuppen aufs Übelste massakriert werden, dann haben die «Tarantinos des Puppentheaters» ihre Finger im Spiel. Am Freitag feierte die Luzerner Erstaufführung von «Em Schnäuzli sine letschti Kampf» (reloaded) Premiere. Pirelli ging hin, duckte sich unter dem spritzenden Blut – und fands läss.

Mehrere Generationen Deutschschweizer Kinder wuchsen mit Jörg Schneiders «Chaschperli»-Hörspielen auf. Wir erinnern uns: «Potz Holzöpfel und Zipfelchappe!», «Uuf Widergüx!» – ganze Textpassagen der 41 Stücke wurden zu stehenden Begriffen. Dabei haben die jugendfreien LPs, die wir auf den Plastikplattenspielern durchsichtig laufen liessen, wenig gemein mit der eigentlichen Chasperli-Tradition, die sich seit je durch grosse Brutalität auszeichnete. Ihre Wurzeln reichen zurück zur Commedia dell’arte im Italien des 16. Jahrhunderts. Von dort fand sie im 17. Jahrhundert mit italienischen Schaustellern den Weg nach England, wo aus der Commedia-Figur Pulcinella Punch wurde, die «Punch and Judy Show» war geboren. Schnell entwickelte sich ein Handlungsfaden, der sich erst unter Einfluss der Political Correctness in den letzten Jahrzehnten veränderte: Punch wirft sein schreiendes Kind zum Fenster hinaus, bekommt daraufhin Streit mit seiner Frau, erschlägt sie und bringt danach der Reihe nach alle um, die sich ihm in den Weg stellen. Das sind neben dem Krokodil und dem Polizisten auch der Tod und der Teufel, Allegorien für die unterdrückende Obrigkeitsgewalt. Kein Wunder also, erfreute sich Punch über die Jahrhunderte grosser Beliebtheit – und fiel immer wieder der Zensur zum Opfer. Von England kam die Figur nach Frankreich (Guignol), dann mutmasslich nach Österreich und Deutschland und von dort in die Schweiz. Bei den Kindern wurde die sich ursprünglich an ältere Jugendliche und Erwachsene richtende Puppenspielform nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil sie sich an klare Spielregeln zu halten hat und aus vielen sich immer repetierenden Gestaltungselementen besteht. Jörg Schneiders Chasperli wird uns immer mit «Tra-tra-trallalla, tra-tra-trallala, de Chaschperli isch wieder da, de Chaschperli isch da» begrüssen und ein lautes «Sind er alle daa?» in die Runde schmettern. Immer wird er dann das Personal der Geschichte vorstellen, immer wird er ein linkes Ding durchziehen wollen, in grosse Bedrängnis geraten, dann wird sein an sich goldenes Herz obsiegen, und am Ende wird alles wieder gut und die Bösewichte sind bestraft. An das Grundmuster der Repetition hält sich auch das Splätterlitheater, das auf eine Idee von Dominic Deville zurückgeht, der als Kindergärtner auch im Handpuppenspiel unterrichtet wurde. Zusammen mit Nina Steinemann und Patric Gehrig (Ton: Javier Turiño, Licht: Onsja Egli) gründete er das Puppentheater, das mit «Em Schnäuzli sine letschti Kampf» bereits das fünfte Programm im Repertoire hat, im fünften Jahr seines Bestehens. Der «Schnäuzli» wurde schon 2006 im Sedel aufgeführt, mittlerweile wurde das Stück aber gründlich überarbeitet. «Vieles im Ablauf und im Timing wird uns erst klar, wenn wir das Stück einige Male vor Publikum gespielt haben. Dann passen wir an und straffen», sagt Deville. Schnäuzli, in dem unschwer der deutsche Diktator zu erkennen ist, lebt mit Freundin Eva von Thule und Sohn Siegfried in der Kanalisation. Seit einem «Unfall mit der Schrotflinte» fehlt ihm das Hirn, der rote Faden des Stücks ist nun die Suche nach zerebralem Ersatz. Mehr sei davon an dieser Stelle nicht verraten.

Das Stück beginnt mit dem Eingang der «Reichspuppenführer» Deville, Steinemann und Gehrig in den kurzen Hosen der Schnäuzlijugend, die erst 10 Liter «Heldenblut» (es handle sich um hochwertiges Theaterblut, erklärt Deville) in Empfang nehmen und dann dem Publikum die Spielregeln des Abends erläutern. So ist auf Chaschperlis «Sind er alli daa?» natürlich mit einem herzhaften «Jawoll!!» zu antworten, was das Publikum sogleich mit Hingabe übt. Dann verziehen sich die Spieler und die Spielerin hinter die grosse Guckkastenbühne, und das fröhliche Handpuppenmassaker kann beginnen. Auftritt Anne-Käthi, die ihr Krokodil weinend der Kanalisation zu übergeben hat, von Chaschperli freudig kommentiert mit: «Wie kann ein Stück besser beginnen als mit einem heulenden blonden und blauäugigen Mädchen?» Überhaupt dieser Chaschperli … Deville gibt ihn natürlich auch mit verstellter Stimme, aber mit dem kinderbezogenen schneiderschen Charme hat das nichts gemein: Bös und fies ist er – man freut sich nachgerade, dass er nach der Vorstellung des Personals vom Krokodil gefressen wird, das inzwischen dank Wachstumstrunk zu hünenhafter Grösse herangewachsen ist. Das erste Markenzeichen des Splätterlitheaters und seine Antwort auf die oben erwähnte Repetition: Chaschperli wird immer brutal gemetzelt nach der Vorstellungsrunde, und er wird immer am Schluss des Stücks wieder auferstehen und als Einziger überleben. Und gleich widerfährt dem Publikum das zweite Erkennungsmerkmal der Splätterlis: Es wird ungemein viel gemordet, gefoltert und massakriert auf der Bühne, und jedes Mal wird das Heldenblut in rauen Mengen aus Druckflaschen in den Zuschauerraum gespritzt. Und weil man weiss, dass ohnehin alle, also auch die Sympathieträger, das Zeitliche segnen werden, kann man sich ganz auf das Wie freuen – hier kommt die Erfahrung der Splätterlis im Puppenbau zum Zug: Es wird geköpft, in bester «Kill Bill»-Manier gleich im Dreierpack enthirnt, zertrampelt, erdolcht, geschlitzt, in Säure gebadet. Und das Publikum, das in alter Chaschperli-Tradition immer mal wieder miteinbezogen wird, erfreut sich der Bösartigkeit und übernimmt sie: Als der beschränkte Siegfried nicht mehr weiss, ob er den orangen (schlecht) oder den blauen Knopf (gut) an der geheimnisvollen Maschine zu drücken hat und deshalb die ZuschauerInnen befragt, zeigt sich die Gemeinheit erwachsener Menschen – alle brüllen lauthals: «Orange!» Darauf kann man sich verlassen. Das Stück weist ein paar Längen auf, bietet aber beste Unterhaltung. Wer mit Chaschperli aufgewachsen ist – und wer ist das hierzulande nicht –, freut sich über die Transformation ins Erwachsenenreich, die letztendlich eine Rückbesinnung auf die alte Tradition ist. Und der Erfolg gibt dem Konzept recht: «In den fünf Jahren sind genau zwei Vorstellungen nicht restlos ausverkauft gewesen», sagt Deville. To be or Splätterli!

Nächste Aufführungen: 19./20. März, VEKA, Glarus; 15./16./17. April, Schlachthaus Theater, Bern. Reservation dringend empfohlen.