«Bajass»: Ein Plädoyer für die Schwachen

Theater Pavillon Luzern, 17.01.2020: Hanspeter Müller-Drossaart zeigt in seiner Bühnenfassung von Flavio Steimanns «Bajass», warum er zu den besten Erzählern der Schweiz gehört. Die Bühnenfassung des Kriminalromans ist simpel gehalten – doch äusserst wirkungsvoll.

Fotos: Markus Flück

Er hat eine der begnadetsten Erzählstimmen der Schweiz: Hanspeter Müller-Drossaart. Der ursprünglich aus Sarnen stammende Schauspieler hat sich in den letzten Jahren aufgemacht, die Gegend seiner Herkunft stärker zu erforschen. So erschien 2018 sein Urner Dialekt-Gedichtband «gredi üüfe»; und am Freitag feierte sein neues Stück «Bajass» Premiere, eine szenische Fassung des gleichnamigen Romans, geschrieben vom Luzerner Autoren Flavio Steimann. Der Saal des Theater Pavillon im Luzerner Tribschenquartier war zum Bersten gefüllt.

Vom Verdingkind erschlagen

«Bajass» ist das dritte Werk Steimanns. Der Kriminalroman thematisiert den Tod eines Bauernpaars auf dem Gandhof, einem typischen Bauernhof im Luzerner Hinterland. Die unbeliebten Gandhöfer*innen waren mit einem Spalthammer erschlagen worden. Kriminalkommissar Albin Gauch nimmt die Ermittlungen auf. Bald wird klar: Der im Dorf unbeliebte Landwirt vom Gandhof hielt Verdingkinder, wie Sklaven hielt er die Knaben, schlug sie aus Jähzorn und sperrte sie weg.

Bajass im Theater Pavillon

Der Hauptverdächtige, ein junger Knecht vom Hof, der nur «Bajass» genannt wurde, flieht auf ein Auswanderungsschiff in die USA, hofft dort auf einen Neuanfang, wie so viele Europäer zu der Zeit. Ohne dass seine Vorgesetzten davon wissen, macht sich Gauch auf ihm zu folgen. Es gelingt ihm dank eines Fotos des Täters, ihn kurz vor der Ankunft in New York zu stellen – und trotzdem lässt er ihn gehen, entlässt ihn ins neue Leben.

Vom Hörspiel zur Bühnenfassung

Steimanns Text ist reich an Symbolen. Der Kommissar dient einem System, welches die Verdingung von Menschen rechtfertigt. Der Roman wirft die Frage auf, wie man mit den Schwächsten in einer Gesellschaft umgeht – und nach dem Unterschied von Recht und Moral. Der Name des Kommissars, Gauch, bedeutet soviel wie «Narr» oder «Dummkopf». Oder in Dialekt eben: «Bajass». So ist diese Reise ins Land der Freiheit (auf dem Dampfer «Liberté») für beide Figuren eine Befreiung aus diesem System und ein Plädoyer für die Verlierer*innen in einem unmoralischen System.

Bajass im Theater Pavillon

Müller-Drossaart befasst sich schon lange mit dem Roman. 2018 las er den Text als Hörspiel für das SRF ein. Schon damals führte Buschi Luginbühl Regie. Jetzt haben die beiden das Stück für die Bühne aufbereitet. Die Produktion kommt ohne viel Schmuck aus. Ein auf der Bühne versteckter Projektor wirft eine Reihe von Schwarz-Weiss-Fotografien aus dem Luzerner Hinterland, die der Inszenierung ihren Raum verleihen, auf eine mit Tüchern bespannte Installation mitten auf der Bühne. Im Raum steht ein kleiner Tisch, darauf das Skript, auf welches Müller-Drossaart selten schielt, und ein Glas Kafi Schnaps.

Bajass im Theater Pavillon

Die auftretenden Personen lässt Müller-Drossaart in Dialekt sprechen – schnell, manchmal nur knapp verständlich, aufgewühlt. Um jeder Figur einen signifikanten Charakter zu verleihen, variieren die Dialekte: Ein Pfarrer aus der Ostschweiz, ein Gerichtsmediziner aus dem Bündnerland, Anwohner aus Uri oder Nidwalden – eine nette Palette der Schweizer Sprachkultur, doch etwas zu divers für ein kleines Dorf aus dem Luzerner Hinterland zu Beginn des 20. Jahrhunderts (nicht, dass es dort heute viel diverser wäre, möchte man hinzufügen).

Dennoch stellt das Stück eine eindrückliche Verkörperung dieses poetischen Textes dar. Müller-Drossaart stemmt die Schwere der Thematik problemlos alleine, seine Bühnenpräsenz wirkt bis in die letzten Reihen des Pavillon-Saals. Zusätzlich dazu wird Musik von Till Löffler subtil doch genau richtig eingesetzt. Es ist ein Hörspiel auf der Bühne – und doch ist es mehr als das. Müller-Drossaarts Spiel kommt mit blossen Andeutungen in verschiedene Richtungen aus, doch schafft er es, dass die Bilder von alleine entstehen. Wie es nur die besten Erzähler*innen eben können.

Bajass
SA 18. Januar, 20 Uhr & SO 19. Januar, 17.30 Uhr
Theater Pavillon, Luzern

Text: Flavio Steimann

Künstlerische Leitung und Bearbeitung: Hanspeter Müller-Drossaart

Regie: Buschi Luginbühl; Ausstattung / Technik: Martin Burkhardt; Musik: Till Löffler; Kostüm:  Anna Maria Glaudemans; Fotos Projektionen: Hanes Eggermann

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