Austausch zur Zeit 1: Wem gehört die Alternativkultur

Aussagen während der offenen Gesprächsrunde vom Dienstag, 28. April im Südpol, Luzern. Die Diskussion dauerte rund zwei Stunden, das Spektrum der Aussagen war dementsprechend gross: kaum ein Extrem des Begriffs Alternativkultur, das nicht berührt wurde. Es wurde schnell klar, dass eine verbindliche Definition oder Wahrnehmung von Alternativkultur nicht vorliegt – wahrscheinlich ist gerade dies ein Merkmal des Begriffs: Kulturelle Alternativen ebenso wie künstlerische sind immer stark an individuelle Erwartungen geknüpft. Die folgende Zusammenstellung umfasst zentrale Aussagen zu Thesen, die abwechselnd an drei verschiedenen Tischen diskutiert worden sind.

Tisch 1 – Behauptung: «Alternativkultur ist eine Raumfrage.»

  • Die Verdrängung der Alternativkultur in die Agglomeration löst keine Probleme.
  • Alternativkultur braucht Zeit, um sich zu entfalten.
  • Damit Alternativkultur entsteht, muss man sich in Räumen wohlfühlen.
  • In der Stadt Luzern ist die Raumfrage bezüglich Alternativkultur übermächtig (die Alternativkultur hat einen Raumkomplex).
  • Alternativkultur braucht Raum ohne Strukturen.
  • Alternativkultur kann überall stattfinden, ohne räumliche Gebundenheit.
  • Räume sollten keine Hindernisse mit sich bringen, also Freiräume sein.
  • Vor der Raumfrage sollte zuerst die Inhaltsfrage kommen.
  • Raum kennt keine Wände.
  • Raum sollte nicht definiert sein, sollte Möglichkeiten schaffen und lernfähig sein. Er sollte eine Schutzzone darstellen, in der ausprobiert werden kann. Es geht um den Möglichkeitsraum: Raum geben um zu sehen, was passiert.
  • Die Gesellschaft / die Stadt soll Raum zur Verfügung stellen.
  • Wieso holt man sich die Räume nicht selber, wenn man Alternativkultur will?
  • Die Stadt Luzern ist «ausgebucht»: Viele Interessen müssen abgedeckt werden.
  • Kulturschaffende denken in Luzern zu kleinstädterisch.
  • Die Boa war Inbegriff der Alternativkultur.
  • Das mediale Bewusstsein, der mediale Raum für alternative Kultur fehlt in Luzern.
  • Das Selbstbewusstsein der Alternativkultur fehlt in Luzern.
  • Es fehlt an Zeit und Raum, um sich in der alternativen Kultur entwickeln zu können.
  • Alternativkultur findet in Industriegebäuden statt.
  • Es braucht neue Leerräume. Die Alternativkultur muss sich aber selber darum bemühen, sie muss die Räume suchen und sich darin organisieren.
  • Alternativkultur lässt sich nicht kuratieren.

Tisch 2 – Behauptung: «Alternativkultur ist eine Formfrage.»

  • Es gibt zentrale Teilgebiete, die alternativ sein können: Musik sehr ausgeprägt, Theater und bildende Kunst in einem schmaleren Sinne.
  • Es gibt keine rechte Alternativkultur: Alternativkultur ist dezidiert linke Subkultur.
  • Alternativkultur sollte den Ausbruch aus der etablierten Kultur bedeuten.
  • Es war in den 60er- und 70er-Jahren einfacher, die Grenzen des Begriffs zu ziehen.
  • Alternativkultur bedeutet, bekannte/etablierte Darstellungsformen zu durchbrechen.
  • Das Prinzip des Mitmachens (Partizipation) ist eng mit der Alternativkultur verknüpft.
  • Ästhetische Formvorgaben schränken die Alternativkultur ein.
  • Alternativkultur ist ständiges Experiment und ein ständiger Anfang.
  • Der Endpunkt von Alternativkultur ist das Label «Alternativkultur»; wenn sie zur Marke verkommt, ist sie nicht mehr alternativ.
  • Die Alternativkultur möchte Alternativkultur bleiben.
  • «Alternativ sein» heisst «in Bewegung sein». Sie ist dauerhaft temporär.
  • Auch der Mainstream kann progressiv sein; Innovation ist kein genuin «alternativer» Auftrag/Inhalt.
  • (Alternativ-)kultur ist die Innovationsabteilung der Gesellschaft. Sie baut neue Formen auf und braucht dementsprechend eine kontinuierliche Erneuerungsfähigkeit.
  • Alternativkultur hat eine Avantgarde-Funktion.
  • Alternativkultur kann ein Standortvorteil für eine Stadt sein (Bsp. Berlin); das ist aber politisch in Luzern noch nicht genügend kommuniziert.
  • Alternativkultur heisst: Einfach machen und Aufmerksamkeit suchen.
  • Es gilt für die Alternativkultur, allen einschränkenden Vorgaben und Ideologien zu trotzen und sämtliche bestehende Möglichkeiten zum Aufmerksamkeitsgewinn zu nutzen (Presse, Medien, etc.)
  • «Alternativ» ist eine hohle Phrase geworden.
  • Der Untergrund ist die Alternativkultur, welche nicht etabliert ist.
  • Es gibt keine professionelle Alternativkultur.

Tisch 3 – Behauptung: «Alternativkultur ist eine Förderungs- oder Finanzierungsfrage.»

  • Alternativkultur wird noch nicht wirklich gefördert, bräuchte jedoch Unterstützung.
  • Kultur muss sich öffentlich darstellen können, damit sie existiert.
  • Alternativkultur kennt keine Grenzen: Einfach machen, es gibt keine Regeln.
  • Alternativkultur heisst, der Prozess des Machens ist wichtiger als die Anerkennung durch das Publikum.
  • Alternativkultur ist ein Begriff aus den 80er-Jahren, als Alternativen zum Etablierten gesucht wurden.
  • Alternativkultur beinhaltet vor allem einen selbstgesteuerten Austausch, der auch im Privaten (im eigenen Wohnraum) stattfinden kann.
  • Alternativkultur darf nicht eine Frage von Förderung oder Finanzierung sein, sondern von Motivation.
  • Auch Beschränkung kann eine Förderung sein.
  • Alternativkultur ist der «Abschnitt» (auf dem Weg zum Mainstream), in dem sie passiert.
  • Alternativkultur ist keine Frage des Geldes; der Zugang zu ihr allerdings schon.
  • Alternativkultur soll da gefördert werden, wo sie passiert, nicht dort, wo sie passieren soll (nämlich in den dafür vorgesehenen Häusern).
  • Es ist legitim, nach Fördergeldern zu fragen: Kein Veranstalter will Verluste machen. Es ist jedoch eine grosse Herausforderung, mit alternativem Inhalt keinen Verlust zu machen.
  • Wenn die Alternativkultur gefördert wird: Wer soll die Unterstützung bekommen? Der Künstler, das Lokal oder die Veranstalter?
  • Wer definiert, ob ein Künstler alternativ ist?
  • Die Finanzierung der Alternativkultur ist Aufgabe der öffentlichen Hand.