Auch Briefe überwinden nicht jede Distanz

Luzern, 22.09. Unter der Regie von Sabine Bierich wurde A. R. Gurneys Stück «Love Letters» zum ersten Mal in der Leuchtenstadt aufgeführt. Als Spielort und teilweisen Kulissenersatz für die Premiere der neusten Sonah Theaterproduktion diente die Noblesse des Hotels Palace.

Schneeweisse Wölkchen auf einem Leinwandhimmel, der so blau ist wie ein Himmel eben nur sein kann, ein paar künstliche Sonnenblumen und zwei gläserne Stühle stehen im Raum. Dies ist die konzentrierte, kühle Oberflächlichkeit, die einen im kleinen Saal des Hotels Palace erwartet, nachdem man die für eine rare Spezies bestimmten Gänge und Lobby durchstreift hat. Die Kulisse soll «das Bild einer idealisierten Heiterkeit» symbolisieren. Idee ist es also, die  beiden Protagonisten als Kontrastelement in dieses Bild hineinzusetzen, der toten Idylle Leben einzuhauchen mit dem Gewaltakt des Lebens selbst. So erkennen und bewerkstelligen die Figuren Andrew Makepeace Ladd III und Melissa Gardner über 50 Jahre hinweg und in der Kommunikationsform des Briefwechsels gemeinsam und für sich selbst die unaufhaltsame, ungeschminkte Zerbröselung des schönen Scheins. Schon die Form des Stückes selbst, aber auch die Wahl der eigentlich beinahe unvorhandenen Inszenierung dieser Produktion mit ihrem bewusst spärlich gehaltenen Bühnenbild, birgt den Zwang in sich, die gesamte Wirkung des Werkes über eine glaubhafte, szenische Lesung des Textes zu transportieren. Dies haben die beiden Darsteller sicherlich versucht, manchmal ist es ihnen auch gelungen. Trotz sichtlicher Professionalität der beiden blieb aber eine gewisse Künstlichkeit der Aufführung unaufgebrochen. Zuerst aber nochmals zurück zum Stück: Das von A.R. Gurneys verfasste und 1990 für den Pulitzer Preis nominierte Drama «Love Letters» umreisst die Lebenswege mit ihren jeweiligen Höhenflügen und persönlichen Tragödien zweier Liebenden, die nie wirklich zueinander gefunden haben, den Kontakt aber mehr oder minder konstant durch Briefe und Postkarten aufrecht erhalten. Stets ist es das Leben – mal in Form von Eltern und Erziehern während der Kindheit, später in der Gestalt persönlicher Unfähigkeiten und unterschiedlicher Zukunftspläne - welches der glücklichen Vereinigung im Wege steht. Das anfänglich noch gemeinsame Land der Kindheit vor dem zweiten Weltkrieg ist geprägt von steriler Fassade und überbehütenden Erziehungsmethoden einer amerikanisch-bürgerlichen Upperclass. Bereits da zeichnen sich die ersten Brüche der Protagonisten mit der Welt, sich selbst und zwischen einander ab. Während der Musterknabe Andrew Ladd später zu einem Senator avancieren wird, entwickelt sich der Wildfang Melissa Gardner zu einer revoltierenden Künstlerin. So unterschiedlich diese Lebensläufe sind, so sehr ähneln sich die verschiedenen Gefühlstationen der beiden – wie die aller Menschen. Kurzum: Es sind Freude, Trauer, Verzweiflung, Hoffnung und Wut, die den Text zusammenweben und ihm die Kraft verleihen. Genau diese Auseinandersetzungen mit der eigenen und fremden Gefühlswelt – manchmal auch mit viel Witz und Ironie in den Text eingeflochten - bieten das Fundament dafür, während der Theateraufführung den Funken ins Publikum zu katapultieren. Sicher haben Wolfram Schneider-Lastin und Ursula Hildebrand ihre Redeparts schön und mit viel Ausdruck gelesen. Es wurde auch mit abwechslungsreichen wirkungs-ästhetischen Stilelementen gearbeitet, mit überlappendem Sprechen unter anderem. Beispielsweise fing Hildebrand in der Rolle der mittlerweile alkoholkranken, desillusionierten Melissa an, in manischer Manier das Lied «You Are My Sunshine» zu singen, während Andy Lad seine gekünstelte, blasierte Familienweihnachtskarte vorlas. Solche Effekte hätte man sich mehr gewünscht und leider wirkten  teilweise gerade emotionale Ausbrüche etwas vermittelt und vorhersehbar. Man hatte den Eindruck, der Glasdeckel, den Melissa und Andy über ihrem Leben zerschlagen vorfinden, sei gleichzeitig  nicht ganz von der Szenerie auf der Bühne zu heben. Der Selbstmord der weiblichen Hauptfigur zum Schluss ging Andy Lad zwar glaubhaft nahe, dem Zuschauer aber nicht tief genug. Die im Anschluss an die Aufführung servierten Lachshäppchen blieben nicht im Halse stecken, der Prosecco war erstklassig.

Weitere Aufführungen sind geplant. Die nächste ist am 7. Januar im Hotel Waldhaus, Sils-Maria.