Anschnallen bitte!

Luzerner Theater, 27.11.2019: In ihrer ersten Koproduktion zeigen das Luzerner Theater und das Kollektiv Fetter Vetter & Oma Hommage das vielleicht kleinste und intimste Stück der Luzerner Theatergeschichte. Die Bühne ist ein Auto. Einsteigen, mitfahren, bewegt werden.

 

Bilder: Ingo Höhn

In einen Wagen zu steigen und mit jemandem mitzufahren, den man nicht kennt, und nicht einmal weiss, wohin diese Fahrt überhaupt gehen soll, erfordert viel Vertrauen. Mit einer leichten Nervosität steigt man doch ein. Man hat gar keine andere Wahl, als sich auf das kommende einzulassen.

«Fremder – Das Autostück» ist genau das: ein Stück in einem Auto. Es ist die erste Koproduktion des Luzerner Theaters und des freien Luzerner Theaterkollektivs Fetter Vetter & Oma Hommage. Ursprünglich für die Spielzeit 18/19 vorgesehen, musste es aufgrund produktioneller Schwierigkeiten um ein Jahr verschoben werden und ist nun bereit für die Strasse. Mit nur drei Tickets pro Vorstellung. Im ersten Moment mag es komisch erscheinen, dass das Luzerner Theater eine so kleine Produktion zeigt, aber die Erfahrung, die man in diesem Auto macht, würde jeder kulturellen Institution gerecht werden. So privat, so intim wird man Theater auf diesem Niveau nicht so schnell wieder erleben. Der Regisseur Damiàn Dlaboha inszeniert «Fremder» auf der, selbsternannt, kleinsten Bühne Luzerns: Dem Fahrer- und Beifahrersitz. Mit Manuel Kühne und Antonia Meier in den Hauptrollen dieses winzigen Kammerspiels.

Fremder

Die Autotüren werden zugeschlagen; man sitzt angeschnallt auf der Rückbank eines leeren Autos und wartet unter dem Licht einer Strassenlaterne neben dem Theater. Bis das Stück vorbei ist, wird das dreiköpfige Publikum das Fahrzeug nicht mehr verlassen. Dann steigt ein Mann ein und die Fahrt geht los. Es ist Luc (Manuel Kühne). Zynisch blickt er auf die Gesellschaft, den Konsum, Trends, Gegentrends und lässt seiner Wut über alles, was falsch ist, freien Lauf. Der frustrierte und gebrochen wirkende Mann fährt durch die Strassen Luzerns und Umgebung, bis plötzlich Andrea (Antonia Meier) einsteigt. Die beiden scheinen sich zu kennen, und sofort schwappt die lebensfrohe Art der jungen Frau auf Luc über. Gemeinsam fahren sie weiter, machen Halt an verschiedenen Orten, und lassen Stück für Stück eine dunkle Vergangenheit aufleben.

Fremder

Voyeuristisch beobachtet das Publikum die beiden Figuren auf den Vordersitzen. Scheinbar unsichtbar gleitet man durch die nächtlichen Strassen und fragt sich ständig, was alles Teil der Inszenierung ist. Gehört der Wagen, der den Weg versperrt, dazu? Und die Frau, die so einsam am Strassenrand steht? Trotzdem bleibt es schwierig den Blick von den Schauspielenden abzuwenden, die so nahe am Publikum ein ganzes Stück tragen müssen. Die Leistungen von Kühne und Meier sind beeindruckend. Kühne überzeugt als verdrossener, müder Mann, der die Last der ganzen Welt auf den Schultern zu tragen scheint, mit dem Erscheinen seines Gegenübers jedoch eine neue Leichtigkeit findet. Meier gibt ihrer lebensbejahenden Figur viel Elan und unerwartete Tiefe. Die Schauspielenden machen die enge Bindung zwischen den Figuren mitreissend spürbar.

Mitreissend ist auch der Einsatz von Musik, welche die Szenen auf ein noch intensiveres Niveau hebt und ihnen eine cineastische Note einhaucht. Stille wird mindestens genauso effektiv eingesetzt und ist streckenweise so laut, dass man beinahe selbst etwas sagen will.

Fremder

So steuert «Fremder» immer weiter auf seinen Schluss zu und kulminiert in einem der besten Höhepunkte der jüngeren Erinnerung. Ohne zu viel sagen zu wollen ist es eine Szene, die subtil und elegant vorbereitet wurde, im Nachhinein unausweichlich scheint und krampfhaft in das Sitzpolster greifen lässt. Grossartig.

Am Ende steigt man verändert aus dem Wagen. Vieles muss verarbeitet werden, das Erlebnis muss noch richtig sacken. Das Gefühl von «Fremder» wird einen noch lange verfolgen.

Fremder – Das Autostück
Bis SO 10. Mai 2020
Luzerner Theater

Spiel: Manuel Kühne, Antonia Meier
Inszenierung: Damiàn Dlaboha; Ausstattung und Co-Regie: Savino Caruso; Dramaturgie: Béla Rothenbühler