André David Winter: Vom Leben geprägt

Der neue Roman des Luzerner Autors trägt den Namen «Die Leben des Gaston Chevalier». Der Protagonist durchschreitet dabei das Frankreich des 20. Jahrhundert, immer auf der Suche nach sich selbst.

Foto: Ayșe Yavaș

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André David Winter legt mit «Die Leben des Gaston Chevalier» seinen fünften Roman vor. Sein titelgebender Protagonist, geboren während der grossen Depression, lebe sieben Leben, heisst es in der Danksagung. Diese stehen stellvertretend für das von der ereignisreichen Geschichte des 20. Jahrhunderts geprägte Frankreich. Gaston verkörpert die äusseren Umstände: Seine Persona wechselt immer wieder vom Wohltäter zum Egoisten, vom Opfer der Nazis zum Mörder eines Trunkenbolds.

Es ist die tragische Geschichte eines Jungen, der trotz blitzgescheitem Kopf und unvergleichlicher Auffassungsgabe seine Rolle im Leben nicht findet – auch, weil ihm stets neue Ansichten vermittelt werden, denen er sich zwar verschliesst, die ihn aber dennoch prägen. Denn er nimmt sie auf wie ein Schwamm; so nennt ihn auch sein Privatlehrer heimlich: «éponge».

Nachdem er teils im Bordell und teils bei seinem profitgierigen, aber rückgratlosen Vater aufwuchs, gerät Gaston auf der Flucht vor der Gestapo an die Kirche, die ihm den Weg zu Gott zeigen will. Kaum aus dem Kloster wird Gaston zum Gewalttäter, sucht Schutz vor dem Verfahren in der Fremdenlegion. In der Wüste wird ihm die Nation als Ideal vermittelt. Er kämpft und ist dem Sterben nahe, bevor ihm wiederum die Flucht gelingt.

Dabei ist Gastons Charakter äusserst volatil: Während der Heimreise nach Frankreich betrügt er einen dubiosen Bankier um rund eine halbe Million Francs – dafür muss er aber auch das Herz der Tochter brechen und ihre Beziehung zum eigenen Vater ruinieren, was Gaston ohne Skrupel tut. Kurz darauf kommt er nach Paris, wo er sich ganz seiner Suche nach seiner verschollenen Liebe verschreibt. Bei einem herzlichen alten Antiquar heuert er für einen Bettellohn an, in wenigen Tagen wandelt er sich vom abgebrühten Kriminellen zum Intellektuellen mit Herz.

Trotz des hohen Ideals der Liebe, das er nun verfolgt: Dem Protagonisten fehlt die Fähigkeit, Lebenssinn bei sich selbst zu suchen. Sein Glück ist immer abhängig von anderen, von äusseren Umständen. Horcht er in sich hinein, hört er immer nur quälende Fragen, auf die er keine Antwort findet. So durchschreitet Gaston Chevalier seine sieben Leben, ohne sein eigenes wirklich kennenzulernen – so unterhaltsam wie tragisch erzählt von André David Winter.