Am Puls mit Noise

Mullbau, 10.1.2014: Das Publikum lauscht. Cymbals sirren, die Bassklarinette schwingt sich in eine leichte Melodie, der Gitarrist sitzt vornübergebeugt und schlägt monochrome Rhythmen. Ein Trio erfindet seine Musik. Sebastian Strinning, Manuel Troller und Gerry Hemingway generieren im Mullbau ihren Soundtrack des Moments. Die filigrane Intensität hält wach.

Schöne Atmosphäre im Mullbau. Die gute Impro-Stube im Lindenstrasse-Quartier ist vollbesetzt. Man könnte meinen, es wäre ein Headliner. Nun denn: In der improvisierten Musik ist grundsätzlich jede Konstellation ein Headliner, weil der Big Bang immer in der Luft liegt. Auf der Bühne stehen Saxophonist und Bassklarinettist Sebastian Strinning, Gitarrist Manuel Troller und Schlagzeuger Gerry Hemingway. Ihre Improvisation – je ein Stück vor und nach der Pause und eine Zugabe – ist ein Soundstream zwischen Noise, elektronisch induzierten Klangteppichen, perkussiven Patterns und freien Ausbrüchen. Die Zugabe fasst alles zusammen und bringt die Elemente aus melodischen Sequenzen, Puls, Freakout und lyrischen Zwischentönen schon fast wie ein Impro-Song auf den Punkt. Das erste und das zweite Set zeigen verschiedene Energielevels. Der erste Teil wirkt gebündelter, schlagkräftiger, gebettet in einen trockenen Sound. Kurze Motivsequenzen werden blitzschnell ausgetauscht und zünden eine Spannung, wie sie einst der Free Funk evozierte. Aber wenn Sebastian Strinning seine Hörner mal ausfahren lässt, berserkern die Geister des Free Jazz in den Ohren. Durchaus heftiger Shit. Aber anders als zu jener Zeit, werden hier diese Ausbrüche sparsam gesetzt. Sie erscheinen als Befreiungsschläge nach langen Phasen des Raunens in streng abgezirkelten Räumen, die dennoch ihr Ungefähres behalten. Auffallend ist die gelassene Hartnäckigkeit, mit der die Musiker die Monotonien auskosten, bis die Konturen eines neuen Territoriums erscheinen.

Das zweite Set hat seine langatmigeren Teile, die eher in sich kreisen, bevor sie einander wieder ablösen. Es gibt auch hier die grandiosen Passagen, in denen die Musiker ohne tastende Signale plötzlich wieder zusammen wachsen und in die nächste Ebene wechseln. Das ist weit entfernt vom gängigen Jazz. Eine perkussive Grundstruktur durchzieht die beiden Sets. Und kein einziges Gitarrensoli, ha! Troller benutzt sein Instrument als Klangmaschine, deren Saiten er mit den Fingern rhythmisch beklopft, mit scharfen Riffs auflädt, mit elektronischem Space unterwandert und auch mal mit einem filigranen Fingerpicking zum Drone bringt. Das klingt ganz kurz wie eine Space-Western Fantasy, bevor es ausknistert, das Trio einhakt und eine neue Böe aus Puls und ostinaten Figuren durchbricht. Der grosse Ermöglicher ist Gerry Hemingway, der in allen Dichtegraden die Musik fördert, in Austausch tritt, den andern Raum gibt. Seine grosse Erfahrung ist jederzeit spürbar: Die Art und Weise, wie er Schub gibt, die unregelmässigen Entladungen, dieser organisch durchwirbelte Puls, der immer dran bleibt, aber auch auf Sparflamme in klanglichen Subtilitäten seine Wirkung entfaltet. Einmal mehr wird einem bewusst, wie fantastisch es für hiesige Musiker ist, wenn sie mit dem Amerikaner zusammen spielen können. Hemingway hat  unter anderem mit dem Anthony Braxton Quartet oder mit BassDrumBone den zeitgenössischen Jazz auf die Spitze getrieben und ist auch in Luzern neben seiner Lehrtätigkeit an der Jazzabteilung weiterhin in verschiedenen Konstellationen im zeitgenössischen Soundgeschehen involviert. Das Trio wurde feierlich und lange beklatscht. Manchmal ist improvisierte Musik wie eine klirrende Entspannung. Sie besänftigt und hält wach. Wir sagen: Auf in den Mullbau. Jedes Konzert ist eine Wundertüte. Bald kommt das dreitägige Festival. www.mullbau.ch