Alpines der einen wie der anderen Art

Internationales Musikfestival Alpentöne Altdorf, 18.–20.8.2017: 1999 gestartet, im Zweijahres-Takt durchgeführt, das gibt im Jahr 2007 20 Jahre Alpentöne und 10 Ausgaben des attraktiven Festivals. Ein paar auditive Einblick aus Uri.

Auftakt im Theater Uri (aka Tellspielhaus). Ein Mann mit Saxofon kommt auf die Bühne, spielt Sax und geht wieder. Es ist kein Geringerer als Gianluigi Trovesi, eine Art Galionsfigur des italienischen Jazz. Stunden später wird er zusammen mit Fabio Piazzalunga und Pierre Favre in der Kirche St. Martin auftreten. Vorerst aber noch Reden. Altdorfs Gemeindepräsident Urs Kälin hebt mit einer bilderreichen Ansprache zum Kommenden an. Danach Worte aus dem Tessin. Marco Solari, Präsident des Festivals Locarno, gibt Launiges zum Verhältnis Nord-Süd bzw. Uri-Tessin zum Besten. Unter anderem ist zu hören: «Nord und Süd suchen sich immer und finden sich nie.» – «Die Schweiz kann das Tessin nur erahnen, Uri versteht.» Der künstlerische Leiter Johannes Rühl sagt nicht mehr viel, das braucht es auch nicht. Er wird jeweils im kurzen Gespräch mit Moderatorin Nina Brunner die einzelnen Konzerte ansagen. Am Eröffnungsfreitag sagt er, dass die Alptentöne «so ausverkauft wie noch nie» seien (hievon später mehr).

Dann Musik.

stucky

«Papito – eine Metzgete mit Barockmusikern», featuring Erika Stucky, angekündigt als «Alpen-Diva», Andreas Scholl, FM Einheit und La Cetra Barockorchester Basel. Sängerin Erika Stucky hat ein neues Programm konzipiert, nicht zuletzt eine Hommage an ihren Vater (einem Metzger), mit eigenarrangierten Songs, die man kennt, und mit eigenen Liedern. Stucky tritt so Björk-mässig auf im exzentrischen Gewand, auf der Leinwand sieht man Visuals, Bilder und alte Familienfilme, Live-Schattenspiele. Toll, wann bekommt man das schon mal zu hören, die Gesangseinlagen von Countertenor Scholl. Und ein Barockensemble ist auch schon die halbe Miete. Bleibt FM Einheit (genau der: Einstürzende Neubauten). Er frickelt elektronisch und betätigt analoge Perkussionsgegenstände, den Akkubohrer nicht zu vergessen. Das Ganze wird ein opulentes Töne- und Bilderwerk mit dem falschen Titel. Nichts von eventuell erwartetem musikalischem Gemetzel. Immerhin haben alle Herren auf der Bühne sich eine  weisse Metzgerschürze umgebunden.

Jedenfalls erschliesst sich uns das Metzgete-Mässige nicht. Es ist einfach eine stellenweise faszinierende Abfolge von Songs, darunter «I Want You» ab dem Beatles-Album «Abbey Road» oder Randy Newmans grosses Liebeslied «Marie». Oder das musikethnologisch etwas gewagte Stucky-Wort: «Was macht e Bärgler, wenn er Angscht het? – Är muess gradhebe.» Will heissen, beim z.B. Zäuerlen einen Ton singen, auch Bordun genannt, wo man drüberjodeln kann. Nicht gewusst. Es wird dann am Schluss noch gejodelt, Stucky am Handörgeli. So geht’s gut, zwischen exaltiert und bodenständig.

Die perkussiven Beiträge des Berliners Einheit, bilden sie musikalisch einen zusätzlichen Gewinn? Ich weiss nicht recht. Stucky fragt sich und das Publikum, was man denn nun an ihr hätte: Jodel, Jimi Hendrix und jetzt Barock? Alles halt. Dagegen ist nichts zu sagen. Nur das ganze Brimborium – ich habe es noch nie verstanden und werde es wohl auch künftig kaum begreifen. Wie auch die Frage bleibt, was da das Alpentönige darstellt, ausser dass Erika Stucky, notabene eine äusserst einnehmende Sängerin, eben aus dem Wallis stammt.

pixner2Erfrischend unprätentiös und handgemacht ist alles, was der folgende Act zu bieten hat. Das Label lautet «finest handcrafted music from the alps». Am Werk ist das Herbert Pixner Projekt. Ich muss zugeben, die habe ich nicht gekannt. Eine Schande. Und eine schöne Bescherung. Eine wahre Entdeckung, was der aus dem Südtirol stammende Herbert Pixner (Jahrgang  1975) auf der diatonischen Handorgel und einer ganzen Reihe von Blasinstrumenten zusammen mit seinen drei MitstreiterInnen zu bieten hat. Von Weitem könnte Pixner prompt auch als Rockabilly-Musiker durchgehen. Seine güldenen Stiefel lassen sich sehen. Die Handorgel spielt er mit solcher Innigkeit, dass er oft auf die Knie geht. An seiner Seite Schwester Heidi an der Südtiroler Volksharfe, Pixners alter Studienkollege Werner Unterlercher am Kontrabass und Gitarrist Manuel Radi aus Bozen. Sie hätten nicht viel Zeit, nur eine Stunde – «da hauen wir jetzt voll aussi». Und los geht’s. Mit fabulösem Folk-Rock (Manuel Radi spielt neben exzellendem Gypsy-Jazzigem auch E-Gitarre, gerne auch verzerrt), mit Traditionellem, für die spezifische Pixner-Umsetzung arrangiert. Alpenländisch muss es nicht unbedingt sein wie das von der Ur-Schweizer Sage vom Sennentuntschi inspirierte «Hiatabua», die wehmütige Kindheitserinnerung «Cento Lire» (für die es für die Pixner-Bergbauerngeschwister eine Glacé gab) oder die kleine Suite «Breaking Bad. Eben nicht nur: «Volksmusik, aber nicht aus den Alpen» – so kündigt Pixner den «One Million Dollar Blues» an. Gerne wieder einmal.

Am Samstag stehen wir im Theater Uri, so übervoll ist es. An sich erfreulich, ein so schön grosser Publikumszuspruch für John Wolf Brennans Auftragskomposition «got hard». Es machen mit: das aus mehrheitlich einheimischen Musikerinnen und Musikern besetzte Alpentöne Blasorchester (Leitung: Philip Gisler, Michel Truniger), gut zwei dutzend Köpfe, Wolf Brennans eigene Band Pago Libre mit dem Russen Arkady Shilkloper (Flügelhorn, Alphorn), Florian Mayer (Geige) und Tom Götze (Kontrabass) aus Dresden, als Gäste der grossartige Vokalartist Christian Zehnder mit seinem, ich präge den Begriff hier mal: Nu-Yodel, Gitarrist Christy Doran und der für eine A-cappella-Drum-Einlage auch an der Bühnenrampe amüsant agierende Trommler Patrice Héral (Südfrankreich). Damit nicht genug: Am Ende kommen noch Junge dazu. Es sind Studierende der Irish World Academy of Music And Dance in Limerick. Mit Dudelsack, Tin Whistle, Concertina, Geigen und Gitarre gibt’s von ihnen Folkig-Lüpfiges, das sich ins grosse Ganze eingliedert. Überhaupt diese Komposition: Sie bringt die verschiedenen Klangkörper erstaunlich gut zueinander, da gibt’s berauschende satte Tutti, alle miteinander, und immer wieder gute Gelegenheit für einzelne Solo-Beiträge. Eingewoben sind diverse alpine Volksmusiken inklusive Postauto-«Dü-Da-Dos». Standing Ovations.

brennan_zehnderSo viel für diesmal. In zwei Jahren gibt es wieder eine Alpentöne-Ausgabe, dann die elfte. Die diesmaligen Wermutstropfen: Einerseits das «Problem» des grossen Publikumszuspruchs, was sich vor allem bei den kleineren Spielstätten auswirkte. Es hatte schlicht keinen Platz mehr. Schade. Ein Zweites: Auswärtige sehen sich mit dem Umstand konfrontiert, dass die ÖV-Anbindung Altdorfs eine etwas leidige ist. Um 22.58 muss man los, um beispielweise wieder heim nach Luzern zu gelangen. Besonders schade, wenn man etwa das Programm mit dem Peter Schärli Ensemble mit Beginn um 22.30 Uhr noch erleben wollte. Das ist nun kein Verschulden von Alpentöne, mehr ein Problem von Service public.

Zum Nachhören und -sehen für Daheimgebliebene. Radio und Fernsehen SRF haben fleissig Töne und Bilder aufgenommen, um sie wie folgt auszustrahlen:

Radio SRF 2 Kultur, 26.8.2017, 10.00–11.00: Musikmagazin, «Kaffee mit...» vom Musikfestival Alpentöne

Radio SRF 2 Kultur, 27.8.2017, 22.00–00.00: Musikabend, «Best-of» verschiedenere Konzerte des Musikfestivals Alpentöne

Fernsehen SRF 1, 3.9.2017, 11.55–13.00: «Sternstunde Musik», Alpentöne: Die Dokumentation zum Festival mit Christian Zehnder

© Bilder: Alpentöne