Alles ist Kommunikation

Südpol, Mittlerer Saal, 5.12.2017: «Tune In», ein multimedialer Rausch der freischaffenden Kompanie Irina Lorez & Co. versetzte das Publikum erst in atemlose Stille, dann in tosenden Applaus.

Der Blick von oben auf die Welt verdeutlicht, dass alles ineinander fliesst. In der Landschaft besteht eine Verbindung, die – wenn man so will – eine Art von Kommunikation schafft. «Man kann nicht nicht kommunizieren», sagt Paul Watzlawick; Irina Lorez & Co spielen in «Tune In» mit dieser Theorie. Virtueller Seifenschaum breitet sich über der weissen Fadengardine aus, die im Kontrast zu dem schwarzen Boden steht und im Halbkreis um die Bühne (Michael Eigenmann) gespannt ist. Links und rechts finden sich Ton- und Videotechnik (Domenico Ferrari, Kevin Graber), sonst ist der Raum leer – noch. Im Südpol überlassen drei Tänzerinnen (Irina Lorez, I-Fen Lin, Emma Skyllbäck) der Musik den Vortritt und erscheinen dann selbst auf der Bühne. Sie verweilen zunächst statisch auf drei Hockern, die Bewegung findet hinter ihnen in Projektionen auf dem Vorhang statt. Schwarz-Weiss-Aufnahmen ihrer Gesichter fliegen vorbei, überlappen sich, ändern Tempo und Einstellungsgrösse. Das Publikum lernt sie, ihre Erscheinungen und Ausdrücke kennen.

Das anschliessende Aussetzen der Musik beschreibt einen Szenenwechsel. Der Tanz beginnt vorsichtig, ja, fast zurückhaltend. Erst scheint jede für sich zu sein, die anderen kaum wahrzunehmen; doch kommt es nie zu Kollisionen, was ein Erkennen und Kommunizieren voraussetzt. Im Verlauf steigern sich die Bewegungen. Es gibt Momente, in denen sich die Darstellerinnen auf jeweils anderen Ebenen mit der Musik verständigen und ihr Tanz im Kontrast steht. Mal erkennt man repetitive Bewegungen, die nacheinander aufgegriffen und nur selten synchron werden. Mal greifen sie ineinander wie Zahnräder, dann beginnen sie sich mittels Berührung zu verständigen.

Tune In

Reagiert dabei Musik auf Video, Körper auf Takt oder Installation auf Tanz? In der schweigenden Kommunikation sind alle Medien gleichberechtigt. Eine Hierarchie bleibt aus. Alles fliesst ineinander, um sich in einem multimedialen Rausch zu ergiessen. Hin und wieder entgleitet diese Einstimmigkeit: Wenn sich beispielsweise die Musik über den Körper stellt und versucht, diesen zu beherrschen, wird der Tanz auf der Bühne immer wilder und aggressiver, der Körper fällt hin und scheitert. Dann erscheint die Verständigung gestört, weil sich die Musik über den Körper stellt, versucht, ihn zu beherrschen.

Als ZuseherIn ist man immer wieder versucht, besonders aus der Bewegung in Tanz und Projektion, einer Geschichte zu folgen. Die Suche nach der erzählenden Stimme verliert sich bald, denn das Bühnengeschehen zieht in seinen Bann und beweist, dass Kommunikation viel weniger beziehungsweise viel mehr bedeutet als das Wort allein.

Abrupter Abbruch: Stille und Schwärze unterbrechen den Tanz, den Ton, die Projektion. Dann erhellt sich der Raum und das Leuchten auf der Bühne wird zu leuchtenden Augen im ausverkauften Zuseherraum, der mit anhaltendem Applaus dankt. Ein starker Abend an wortloser Kommunikation.

Fotos: Roberto Conciatori

«Tune In» kann noch am DO 7., FR 8. und SA 9. Dezember gelauscht und genossen werden.