Aline Wüst: Sexarbeit als fette Grauzone

Neubad, Luzern, 23.10.2020: Aline Wüst liest aus ihrem aktuellen Buch «Piff, Paff, Puff – Prostitution in der Schweiz» und setzt die Zuhörerschaft mit diesem Thema unter Strom. Doch wohl nicht so, wie sich die Autorin das wünscht.

Bild: zVg

Ohne grosse Umschweife beginnt Aline Wüst ihre Lesung mit einer Einleitung über ihr Unbehagen alleine auf dieser Bühne zu stehen. Die Nervosität merkt man ihr an, aber auch die Emotionalität, die dieses Thema in sich trägt. Sie hat die letzten zwei Jahre viele Frauen aus dem Milieu angehört, verbrachte mit ihnen Zeit in den Bordellen, begleitete sie auf den Strassenstrich und reiste mit ihnen in ihre Heimatdörfer. Auch ehemalige Prostituierte kommen zu Wort. Frauen, die ihre Dienste für Geld anbieten oder es getan haben, erläutern ihre unterschiedlichen Motivationen und Beweggründe.

Die Lesung ihres neuen Buchs «Piff, Paff, Puff – Prostitution in der Schweiz» ist gespickt mit eingespielten Audiosequenzen, in welchen die Frauen ihre Passagen mit starkem Akzent selbst vorlesen. Was nach einer halben Stunde bleibt, ist die Blaupause dessen, was man bereits von diesem Thema weiss: Frauen aus osteuropäischen Staaten reisen in die Schweiz, haben meist einen Mann im Heimatland, für den sie anschaffen. Sie machen es freiwillig, werden nicht gezwungen, stehen dennoch unter einem enormen Druck und würden es nicht tun, gäbe es diesen Geliebten in der Ferne nicht. Es sind vom Prekariat geprägte Stimmen, Stimmen welche die Aussichtlosigkeit der herrschenden Strukturen und Machtverhältnisse wiedergeben.

Auf die Lesung folgt ein Gespräch zwischen der Autorin Aline Wüst und Simon Steger, dem Chef der Fachgruppe Sexualdelikte der Kriminalpolizei Luzern. Beide verweisen auf die komplexen Machtgefüge, die hinter der illegalen Prostitution stehen und auf die schwierige Auflösung der Fälle. Diese seien verschachtelt, zumal die Frauen ihre Opferrolle vermeintlich selbst wählen.

Der Komplexität nicht gewachsen

In diesem Gespräch zeigt sich jedoch die einseitige Beleuchtung der Thematik in Wüsts Reportage. Der Fokus der Nachbesprechung liegt – analog zum Buch – auf der illegalen Prostitution und dem damit verbundenen Menschenhandel. Man wünschte sich hier noch eine weitere Position, die einen anderen Zweig der Prostitution in der Schweiz beleuchtet.

Die Möglichkeit im Anschluss Fragen zu stellen wird vom Publikum bereitwillig angenommen. Dass das Thema die Menschen im Neubadpool bewegt, ist spürbar. Es melden sich zwei Sexarbeiterinnen aus Luzern. Man merkt, sie können sich nicht zurückhalten, ihre Stimmen beben. Aufgebracht, weil Aline Wüst nur eine Seite der Prostitution beleuchtet, unter dem flachen Untertitel «Prostitution in der Schweiz». Die beiden Frauen aus dem Publikum erscheinen wütend, weil sie sich nicht gehört fühlen. Symptomatisch, dass die Autorin die Wortmeldung einer der Frauen nicht einmal bis zum Ende anhört.

Es ist klar, dass dieses Buch keine blosse Wiedergabe von Geschichten ist. Wüsts Recherche in Zusammenarbeit mit Polizei und Staat, ihre Argumentation und Haltung machen ihr Bestreben auf Missstände hinzuweisen und aufzuklären deutlich.

Doch man wünscht sich in allen Belangen mehr Präzision, wenn man sich im Feld einer solch komplexen Materie bewegt, die nach einer klaren Sprache und der dazugehörigen Differenzierung verlangt. Das Buch will aufklären, aber schürt den Voyeurismus und das Helfersyndrom. Offen bleibt, inwiefern dieses Werk zur Stigmatisierung des Berufs der Sexarbeit in der Schweiz beiträgt. Die Vermischung von legaler Prostitution und Menschenhandel scheint problematisch. Es gilt, auf den Eigenverstand aller Leser*innen zu hoffen.