Afro statt Coca-Cola

PlattenWechsler: «Azul» heisst das neue Album von Alois, mit dem die zum Quintett angewachsene Gruppe neues Terrain erforscht. Dabei wird neben den traditionellen Songstrukturen auch über den Tellerrand geschaut.

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Bild: zVg

«Wenn ich ein Album mache, soll man einsteigen können und eine Bandbreite von Sounds sowie musikalischen Inhalten hören», sagt Martin Schenker, Kopf der Band Alois – und lässt den Worten Taten folgen. «Azul», das neue Album seiner Combo, vereint klingende Begriffe wie Tropical Synth-Pop, Balearic Beat, karibische und afrikanische Disco oder Trap. Worte, die nur schon beim Darüber-Nachdenken die Gehörgänge aufheizen, derart farbig, entdeckungslustig und vielversprechend klingen sie. Dabei unterscheidet sich «Azul» stark von seinem Vorgänger «Mints»: Die Musik klingt wesentlich artifizieller, elektronischer und nicht mehr krautig-organisch nach Indie-Pop – Tropical Synth-Pop lautet neu die Devise!

Der gebürtige Oltner Schenker produzierte dafür mit einer Musiksoftware (kurz DAW) jeden Track vor und gab einen Grundgestus, eine Art Humus vor. Über diesen spielte der Rest der Band Basslinien, Drumbeats, Perkussions- und weitere Synthiespuren ein und brachte die Ideen zum Spriessen. Im Anschluss erhielten die imposanten Setzlinge dann noch eine letzte Behandlung mit Effekten und wuchsen zum Dschungel an. Dieser ist überhaupt eine gute Metapher für das Album, welches Alois wiederum ebenso passend mit einem Sonnenhimmel voller wohltuender Blautöne assoziieren. Beides passt: «Azul» ist schwül, vielseitig, ekstatisch respektive sehnsüchtig, melancholisch und verträumt geworden. Oder schlicht: ein kluger Knaller!

Schwimmbad, Ibiza, Agogo

Musikalisch gibt es unter dem Deckel der tollen Artworks von Dom Meuter (Radar Grafik) hungrige Hooklines, superbe Grooves und überhaupt unglaubliches Material für die Tanzfläche. Die erstveröffentlichte Single «Ocean Ground» beispielsweise ist mit ihren Balearic-Beat-Ibiza-Vibes bereits ein Hit, welcher zum Abtauchen einlädt. Doch auch der Opener «Light The Fire» wirkt wie ein Trancetitan: Das Stück funktioniert aufgenommen schon gut mit seinem charakteristischen Gitarrenspuren und dem trashigen Samba-Agogo-Pattern. Live steigert sich die Intensität noch, wenn die Band Ekstase anpeilt und anfängt, Teile zu strecken. «After Life» wiederum gibt sich mit einem knackigen Bassriff sommerlichen Fahrradtrip-Sehnsüchten hin und bei «German Oak» treffen die Pet Shop Boys auf den Electro-Soundtrack des Films «Drive».

«Ich jamme lieber eine Viertelstunde auf einem Afro-Riff, anstatt als Popsänger auf einer Coca-Cola-Bühne Mainstream-Songs spielen zu müssen.»

Neben solchen formidablen Songs gibt es zudem Instrumentals auf der Platte. Hervorzuheben wären «The Name Of The Game», ein Ambient-Werk, wo sich Schwimmbad- und Stadtsounds vermischen, oder «El Cielo Azul», das dank seinem Bangalore-Mellotron-Sample verzückt. Damit spielt Produzent Schenker einerseits auf seine Liebe zur elektronischen Musik an und verfolgt ähnliche Ansätze wie Caribou oder Mount Kimbie: Deren Alben gelten eben wegen ihrer reduzierten, minimalistischen Ästhetik als wichtige Popkultur-Werke und entfernen sich von traditionellen Liedformen. Selbige Wege verfolgt auch Schenker. Oder, wie er selbst noch zuspitzt: «Ich jamme lieber eine Viertelstunde auf einem Afro-Riff, anstatt als Popsänger auf einer Coca-Cola-Bühne Mainstream-Songs spielen zu müssen.»

Alois: Azul (Red Brick Chapel)
VÖ: 5.6.2020