Abschied mit Premiere oder: Die Freude am Erzählen

Das war es also, das Ende von Barfood Poetry wie man es kannte. Bevor sich das Erfolgsformat im Südpol neu zu erfinden hat, gab es am Donnerstag verschiedene Lasagne, Kotelett nach Cordon-bleu-Art, Filet, mässiges Publikumsinteresse, eine eher verhaltene Stimmung. Und Wolf Wondratschek.

Beginnen wir in der Vergangenheit. Im September 2001 fand die erste Ausgabe von Barfood Poetry statt. Es traten damals die Surfpoeten auf, ein Berliner Autorenkollektiv. Es folgte eine ganze Reihe von illustren Namen, etwa Constantin Seibt (zuletzt letztes Jahr im Kolumnenduell gegen Dr. Mörgeli), Christian Uetz, Bern ist überall in dieser und jener Zusammensetzung, Exponenten des Titanic-Magazins, Etrit Hasler, Göldin (der manchmal sogar auftauchte), Jürgen Ploog, Carl Weissner, Jens Nielsen oder Harry Rowohlt. Viele davon immer wieder. Vermutlich werden wir viele davon auch noch öfters sehen. Dann aber im Südpol statt im La Fourmi. Zwischen 1974 und 1980 schrieb Wolf Wondratschek die Gedichtbände «Chuck’s Zimmer», «Das leise Lachen am Ohr eines andern», «Männer und Frauen» und «Letzte Gedichte». Die machten ihn scheissberühmt. So berühmt, dass er auf so lustige Ideen kam, wie etwa, für eine Veröffentlichung eine Kiste Gold zu verlangen oder ein Abendessen mit dem von ihm verehrten Friedrich Dürrenmatt. Beide Forderungen gingen an die Adresse des verstorbenen Daniel Keel vom Diogenes Verlag. Erfüllt wurde nur letztere. Dieses Jahr erschien «Das Geschenk», und Wondratschek verirrte sich zum ersten Mal nach Luzern. Dabei machte er Gebrauch von seinem Recht auf freie Textwahl und ignorierte den neuen Roman vollkommen. Stattdessen las der Deutsche querbeet durch sein Werk. Dabei begann er mit Anmerkungen über Reise- und sonstige Berichte, die er hie und da verfasste. Was einen guten Reisebericht ausmacht, ist laut Wondratschek Folgendes: Klarheit, Brillanz, Zärtlichkeit und Fremdheit. Man fand das dann auch tatsächlich alles wieder, in den daraufhin gelesenen Texten. Durchzogen allerdings auch von einer gewissen Brutalität. Nicht in den Sätzen und den Aussagen, eher in Wondratscheks Ausgangshaltung. Da ist Blut im Boden. Wenn die Mischung aus den genannten Punkten die richtige ist, dann ist Wondratschek überragend. Das beste Beispiel an diesem Donnerstagabend bot ein Text über Rainer Werner Fassbinder, den Wondratschek als Kommentar zur Dokumentation über dessen letzten Film «Querelle» schrieb. Es ist in erster Linie ein Nachruf, denn Fassbinder verstarb kurz darauf. Ein ebenso gnadenloses wie einfühlsames Porträt des Regisseurs. Aus unerfindlichen Gründen (denn eindrückliche Texte gab es genug, etwa den Gedichtzyklus «Orpheus in der Sonne», und nach nicht zu nennenden Ereignissen – Äätsch – war der Autor sehr redselig) blieb die Stimmung allerdings merkwürdig ... Ja, einfach merkwürdig. Immer wieder unangenehmes Schweigen. Als würde Wondratschek vom Publikum irgendeine spezielle Reaktion erwarten, die einfach nicht kam. Dieses undefinierbare Unausgesprochene verschwand nur einmal für kurze Zeit: beim Thema Dürrenmatt und Frisch. Nach Boxfan Wondratschek ist in diesem Verhältnis Frisch Joe Frazier und Dürrenmatt Muhammad Ali. Frazier war zwar auch ein grosser Boxer, hatte aber das Pech, in derselben Ära wie Ali aktiv zu sein. Dasselbe bei Frisch, der auf den Koloss Dürrenmatt traft. So sehr der Vergleich angesichts der stilistischen und persönlichen Merkmale des verwendeten Personals hinkt, Recht hat er doch, der Wolf Wondratschek. Und besser hätte er eine der wenigen Fragen aus dem Publikum nicht beantworten können, nämlich jene nach seinem Lieblingsstück von Dürrenmatt: «Romulus der Grosse». Sagen wir es, wie es ein pensionierter Deutschlehrer vielleicht ausdrücken würde: Inhaltlich war der Abend famos, aber formal passte irgendwas nicht so recht zusammen. Egal. Wir sehen uns im Südpol.