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Theaterkolleg Hannah Grüninger

01.04.24

Theater

Zu Tisch, bitte

Zu viel Arbeit, zu wenig Geld: Die Belastung für Theaterschaffende der freien Szene ist hoch. Eine Initiative aus der Zentralschweiz antwortet mit Vernetzung und gegenseitiger Unterstützung.

Valérie Hug (Text) und Hannah Grüninger (Bilder)

New year, sad news für die freie Theaterszene: Ende Januar berichtete das Basler Online-Magazin «Bajour» von der Schliessung des Produktionsbüros Produktionsdock. Das Büro, das per Ende 2024 seine Arbeit einstellt, unterstützt seit rund sieben Jahren Tanz- und Theaterschaffende in der Region und wurde mit dem Ziel gegründet, die Professionalisierung der freien Szene in Basel voranzutreiben. Ein Blick in die Zentralschweiz zeigt: Ähnliche Initiativen gibt es auch hier. Das Theaterkolleg mit Sitz in Luzern wurde 2021 initiiert und unterstützt Künstler:innen bei organisatorischen und administrativen Arbeiten. Ins Leben gerufen wurde es weniger aus einer Vision, sondern vielmehr aus Notwendigkeit.

Nirgendwo budgetiert

Diese Notwendigkeit wurde zwar nicht erst durch die Pandemie hervorgerufen, aber durch sie zusätzlich verschärft. Wie die gesamte Kulturlandschaft sah sich auch die freie Theaterszene der Zentralschweiz in diesen Jahren mit Herausforderungen konfrontiert: Laufende Produktionen standen von heute auf morgen still, die Energie floss in Fragen rund um Kurzarbeit und Ausfallentschädigung. «Je länger die Pandemie dauerte, desto schwieriger war es auch, bezüglich kurzfristiger Förderung à jour zu bleiben», erzählen Mirjam Berger und Patric Gehrig, Co-Betriebsleiter:innen des Theaterkollegs. «Eine Arbeit, die von jeder Theatergruppe einzeln gemacht wurde und die nirgendwo budgetiert und entsprechend auch nicht entlohnt wurde. Das machte schlichtweg keinen Sinn.» Schliesslich kam die Einsicht, dass zusammen mehr erreicht werden kann, und mit ihr die logische Konsequenz: die Gründung eines gemeinsamen Produktionsbüros.

Die Bündelung von Ressourcen und die Professionalisierung der Produktionsarbeit soll den Künstler:innen ermöglichen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: ihre Kunst. Ein weiterer Punkt, der Mirjam Berger und Patric Gehrig wichtig ist, ist die enge Zusammenarbeit mit anderen Gruppen aus der Region. Durch den Austausch unter den mittlerweile 15 Gruppen, die das Theaterkolleg betreut, werden gemeinsame Projekte und die gegenseitige Unterstützung gefördert. «Das stärkt nicht nur die Gruppen individuell, sondern die gesamte Szene», so Patric Gehrig, der die Bedingungen der freien Szene aus eigener Erfahrung kennt. Seit rund zehn Jahren steht er als freischaffender Schauspieler, Sprecher und Regisseur vor und hinter der Bühne. Auch Mirjam Berger ist in der freien Szene aktiv und leitet nicht nur den Betrieb des Theaterkollegs, sondern auch jenen der Kulturmühle Horw.

Finanziell ermöglicht wurde das Theaterkolleg als Transformationsprojekt von Kanton und Bund. Sein Betriebsbudget kann es bis 2026 mit einer Anschubfinanzierung des Kantons Luzern und verschiedenen Stiftungen stützen. «Unser Ziel ist es, bis 2026 grösstenteils selbsttragend zu sein», sagt Mirjam Berger. Patric Gehrig ergänzt: «Schliesslich möchten wir nicht, dass es uns in einigen Jahren wie dem Produktionsdock ergeht.»

«Die Forderung nach Professionalisierung ist spürbar, doch die finanziellen Mittel, die mit dieser Entwicklung einhergehen, bleiben oft aus.»

Patric Gehrig, Co-Betriebsleiter Theaterkolleg

Professionalisierung ohne finanzielle Mittel

So weit wie in Basel soll es in der Zentralschweiz also gar nicht erst kommen. Doch wie ist das zu schaffen? Trotz ihrer Bemühungen und Erfolge sah sich das Produktionsdock mit unzureichender finanzieller Unterstützung konfrontiert, was zur Entscheidung führte, den Betrieb einzustellen. Das Theaterkolleg beobachtet die Entwicklung in Basel und versucht die richtigen Schlüsse zu ziehen. «Aktuell werden circa 50 Stellenprozent über die Produktionen finanziert. Wir sind auf einem guten Weg, um unsere Ziele bis 2026 zu erreichen», sagt Mirjam Berger.

Wie prekär die finanzielle Situation der freien Szene ist, wird auch in der Zentralschweiz spürbar. Strukturelle Herausforderungen, Burnouts aufgrund hoher Arbeitsbelastung sowie kurzfristige Entscheidungen bezüglich finanzieller Unterstützung – teilweise kurz vor Probenstart – sind allgegenwärtige Probleme und erschweren die langfristige Planung. «Hier treffen wir derzeit auf ein Ungleichgewicht», merkt Patric Gehrig an. «Die Forderung nach Professionalisierung ist spürbar, doch die finanziellen Mittel, die mit dieser Entwicklung einhergehen, bleiben oft aus. Diese Notwendigkeit scheint noch nicht allen klar zu sein.» Hinzu käme die Forderung nach Diffusion, also der breiteren Streuung von Produktionen. Auch sie stösst auf Hindernisse, da die Realität oft eine andere ist: Die voranschreitende Professionalisierung der freien Häuser kann dazu führen, dass bestimmte Gruppen bevorzugt werden, während andere Schwierigkeiten haben, überhaupt Räume zu finden.

Trotzdem würden sich die städtischen und kantonalen Behörden offen für diese veränderten Bedingungen zeigen. Ein Austausch finde bereits statt. Dieser zeigt: Das Theaterkolleg kann auf kulturpolitischer Seite Stimmen und Anliegen bündeln. «Viele Mitglieder unseres Vorstandes engagieren sich aktiv in der Kulturpolitik», sagt Mirjam Berger. Damit macht sie deutlich, dass eine nachhaltige Unterstützung der freien Theaterszene eine gemeinsame Anstrengung erfordert. Patric Gehrig findet dafür klare Worte: «Ein Tisch, an dem alle Akteur:innen zusammenkommen, um die Herausforderungen zu diskutieren und Lösungen zu finden, ist unerlässlich.» Nur so könne die freie Szene langfristig bestehen bleiben und ihre künstlerische Vielfalt bewahren. Mit «alle» sind nicht nur die freie Szene und ihre Künstler:innen gemeint, sondern auch (nationale) Förderinstitutionen, politische Entscheidungsträger:innen sowie die grossen institutionalisierten Theaterhäuser.

Brennende Themen

An diesem Tisch soll es auch um die sogenannten «burning issues» gehen. Zwei Themen beschäftigen die Co-Betriebsleiter:innen besonders: «Zum einen ist da die Nachhaltigkeit, sowohl die ökologische wie auch die soziale», sagt Mirjam Berger. Mit einer Projektförderung von m2act habe das Theaterkolleg eine Gemeinwohlbilanz erarbeitet: eine Bilanz, die sämtliche Bereiche erfasst und sie nach ihrem Nachhaltigkeitswert aufschlüsselt. Nun werde ausgearbeitet, wie sich dieses Konzept auf die freie Szene anwenden lässt, beispielsweise auf Probebedingungen, Anreisewege und -mittel oder die Verpflegung. «Wie bei der Professionalisierung scheint auch bei der Nachhaltigkeit das Bewusstsein zu fehlen, dass nachhaltiges Handeln im Theater in einem ersten Schritt höhere Kosten verursachen kann», so Patric Gehrig.

Das zweite drängende Thema sind die Produktionsbedingungen. Denn Produktionsleitungen würden aufgrund der wachsenden Anforderungen öfter und schneller ausbrennen. Die Folge: Immer mehr Produktionen werden auf immer weniger Produktionsleiter:innen verteilt, die Arbeitsbelastung nimmt weiter zu, das Ausbrennen rückt näher. «Es ist ein Teufelskreis aus Überlastung und mangelnder Bestätigung, dem wir etwas entgegensetzen müssen», sagt Mirjam Berger. Im Raum steht die Frage nach angemessener Wertschätzung und realistischen Erwartungen, die dringend einer Antwort bedarf. Antworten, die nur gemeinsam gefunden werden können, und ginge es nach dem Theaterkolleg, an einem gemeinsamen Tisch mit allen Akteur:innen.

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